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Auf in den Sommer

Hoyerswerdas wahrscheinlich größter fahrbereiter Oldtimer ist für die Saison vorbereitet. Trotz H-Kennzeichen muss der Ikarus 55 so fit sein wie ein moderner Bus. Das hat seine Gründe.

auf in den sommer

Die VGH verfügt in ihren denkmalgeschützten Fahrzeug- und Werkstatthallen auch über diese Grube und Technik, die man zur Wartung und zum Unterhalt von Bussen benötigt. © Foto: Uwe Schulz

Hoyerswerda. Der Schalthebel will mit Nachdruck und über eine Distanz von gut 30 Zentimeter aus dem zweiten in den dritten Gang bedient werden. Die Kupplung muss wirklich getreten werden und das große Lenkrad überträgt die Richtungsanweisungen an die Lenkung zwar schon mit Druckluftunterstützung. Doch wer einen Ikarus 55 bewegen will, der braucht nicht nur die entsprechende Führerscheinlizenz, er muss zudem beim Schalten an die umgekehrte H-Schaltung und das Geben von Zwischengas denken und er muss mit vollem Körpereinsatz arbeiten. „Hier weiß man noch, warum Kraftfahrer Kraftfahrer heißt“, lächelt Sebastian Gloxyn. Der 32-Jährige ist Busfahrer bei der Verkehrsgesellschaft Hoyerswerda (VGH) und einer der wenigen aus der Belegschaft, die das Traditionsfahrzeug fahren dürfen, fahren können. Drei Stammfahrer haben sich herauskristallisiert.

Hoyerswerdas vermutlich größter fahrbereiter Oldtimer ist tatsächlich etwas Besonderes. Vor einem halben Jahrhundert zu Tausenden in der DDR unterwegs begeistert er auch heute noch nicht nur Technikfans bis heute durch das, was man seinerzeit unter einem stromlinienförmigen Heck verstand.

Die VGH hat sich das Traditionsfahrzeug vor einigen Jahren angeschafft und leistet sich den Unterhalt des Traditionsfahrzeugs durchaus zur Imagepflege.

Beim großen Ikarus-Treffen 2017, als die VGH zwar Dutzende Bus-Oldtimer auf dem Hof und in den denkmalgeschützten Fahrzeughallen hatte, kam die Frage auf, warum denn das Unternehmen, das zumindest vom Areal her in der Tradition des einstigen Kraftverkehrs Schwarze Pumpe steht, kein Traditionsfahrzeug hat. Man entschied sich natürlich dafür ein Fahrzeug eines Typs zu suchen, der hier einst auch stationiert war. Man machte sich also auf die Suche nach einem Ikarus 55, wurde in Ungarn fündig und holte das Fahrzeug auf eigener Achse nach Hoyerswerda. Es hat keine Heizung, aber dafür den Original Csepel-Motor mit 8 Litern Hubraum. Es dauerte aber seine Zeit, bis das Fahrzeug mit Erstzulassung am 1. Juli 1971 fit für die erste Fahrt unter VGH-Regie war. Der große Ungar hat zwar das “H” im Oldtimerkennzeichen. Doch da der Bus kein Privatvergnügen ist sondern zur Personenbeförderung verwendet wird, unterliegt er den entsprechenden Vorschriften wie jeder andere Bus auf dem VGH-Hof auch.

Also mussten im Innenraum die vorgeschriebenen Warnschilder und die Beschilderung der Sitzplätze montiert, im Fahrgastraum hinten rechts eine zusätzliche Tür und im Cockpit ein digitaler Fahrtenschreiber eingebaut werden, um nur einige Dinge zu nennen. Die Hoyerswerdaer nahmen dafür die Dienste von Oldtimerspezialisten in Chemnitz in Anspruch und was in Eigenleistung zu erledigen war, wurde erledigt. „Neben der Hauptuntersuchung erfolgt alle drei Monate eine intensive technische Durchsicht, weil auch der Ikarus 55 wie jeder andere Bus regelmäßig der sogenannten Sicherheitsprüfung unterzogen wird und dafür die SP-Plakette bekommt“, schildert Robert Arlt, Leiter Technik bei der VGH. Da werden Lenkung, Bereifung, Bremsen und Bestuhlung gecheckt. Diese Prüfung erfolgt auf dem VGH-Gelände durch einen externen Prüfer. Bei 22 VGH-Bussen sind jede Woche zwei Busse dran, so auch der Oldtimer.

Im Gegensatz zu den modernen Bussen sieht der Ikarus jetzt weder Streusalz noch Splitt. Von November bis März hält er Winterruhe, mal abgesehen von kurzen Bewegungsfahrten auf dem Betriebsgelände, wenn es denn vom Wetter her passt. So bekommen die Reifen keine „Standplatten“. Die Batterie hängt natürlich in der Winterzeit am Batterieerhaltungsladegerät.

Verbrauch wie ein neuer Bus

Im Winter werden dann auch größere Reparaturen durchgeführt. Sebastian Gloxyn kennt den wassergekühlten Sechszylinder-Wirbelkammer-Dieselmotor des ungarischen Herstellers Csepel aus dem Effeff. Der wurde seit den 1950er-Jahren auf Basis einer Lizenz von Steyr mit einem Hubraum von 8.275 Kubikzentimetern gebaut. Eigentlich ist die Motorkonstruktion ein Vorkriegsmodell. Bei der VGH wissen sie, dass der mit 26 Litern Diesel auf 100 Kilometer aber nur genauso viel Treibstoff verbrennt wie ein moderner Bus. Die Abgaswerte dürften freilich etwas anderes sein, aber über solche Regelungen ist der Oldtimer dank seines Alters erhaben. Dafür hatte der Oldie vor geraumer Zeit so seine Sorgen und Probleme. Da hat der gelernte Nutzfahrzeugmechatroniker den Motor im Winter 2019 eben in seine Einzelteile zerlegt, hat Zylinderköpfe ausgetauscht, Dichtungen ersetzt, alles wieder zusammengefügt und eingebaut. Selbstverständlich ist alles prima geschmiert und gefettet. Da ist kein falsches störendes Geräusch bei der Fahrt. Technik, die begeistert. Das Handbuch ist beim Unterhalt eines solches Fahrzeugs natürlich Gold wert. Beim Wechseln der Zwillingsbereifung auf der Hinterachse zeigte sich aber, dass man manches erst lernt, wenn man es auch selbst tut. Jetzt weiß es der 32-Jährige. Denn von den alten Mechanikern, die beim Kraftverkehr einst den Ikarus 55 warteten, ist keiner mehr da.

Doch an den Dimensionen hat sich ja nichts geändert. Alles, was man so braucht, um einen Bus bei Laune zu halten, halten die VGH vor: eigene Betankungsanlage, die Grube, eine Radgreifanlage zum Anheben des ganzen Fahrzeugs. Und zum Abschmieren kommt die Profi-Akkufettpresse zum Einsatz. Wenn das Öl des Ölbadluftfilters gewechselt werden muss, dann stehen ordnungsgemäße Entsorgungsmöglichkeiten und neues Öl parat. Werkstatt, Werkzeug, alles da. Und vor allem viel Platz.

Angesichts der geltenden Vorschriften dürfte der Ikarus 55 somit nicht nur der größte Oldtimer der Stadt sein, sondern auch der, der am regelmäßigsten kontrolliert gewartet wird. „Vor jeder gebuchten Fahrt werden bei unserem Oldie dann noch einmal alle Betriebsstoffe gescheckt und er wird Probe gefahren. Die gründliche Innen- und Außenreinigung gehört natürlich ebenfalls zur Vorbereitung und wird teilweise von unseren Azubis durchgeführt, die sich auch schon in den Bus verliebt haben“, sagt Robert Arlt.

Seit Anfang April kann der Ikarus nun wieder gebucht werden und wird hauptsächlich für Fahrten im Lausitzer Seenland eingesetzt. Anlass sind meistens Familienfeiern, insbesondere Hochzeiten. Der Bus ist nämlich zugleich als rollendes Standesamt von Hoyerswerda zugelassen. „Jeden vierten Samstag im Monat kann eine Eheschließung im Bus angeboten werden“, so Robert Arlt weiter. Des Weiteren ist man mit ihm auf verschiedenen Oldtimer-Treffen unterwegs. Aber auch Geburtstage und Junggesellenabschiede hat der Bus in seinen ersten fünf Jahren bei der VGH schon erlebt. Wer weiß, was da noch alles an Ideen kommt.

Technische Details

  • Produktionszeitraum: 1955-1973
  • Baujahr des Hoyerswerdaer Exemplars: 1971
  • Motor: Original Csepel, 8.275 cm³, 106 kw/145 PS
  • Gewicht: Leer 9.500 kg, zulässige Gesamtmasse 15.000 kg
  • Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h
  • Sitzplätze: 41
  • Mindestmietdauer: 4 Stunden

Kontakt: 03571 469620 / [email protected]

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