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Togg verschiebt Deutschlandstart des türkischen E-Autos

togg verschiebt deutschlandstart des türkischen e-autos

Präsentabel für Präsidenten: Erdogan mit Scheich bin Zayed al-Nahyan vor einem Togg-Auto

Mit überwältigender Nachfrage ist das erste türkische Elektroauto, der Togg T10X, Ende März an den Start gegangen. Die ersten 20.000 Fahrzeuge wurden unter 177.400 Bewerbern zum Preis von je 47.500 Euro ausgelost. Ende Dezember soll jeder sein SUV haben. Noch ist es selten auf türkischen Straßen: Im Mai wurden laut dem Autohändlerverband ODMD 306 Togg ausgeliefert. Bis Ende Juli soll die Produktion aber jetzt von 40 auf 160 Fahrzeuge am Tag vervierfacht werden.

Dennoch werden Interessenten in Deutschland länger als erwartet auf das Fahrerlebnis im „türkischen Tesla“ warten müssen, mit seinen – je nach Batterieleistung – 314 oder 523 Kilometer (Norm-)Reichweite. Statt wie angekündigt im kommenden Jahr, sollen die ersten Fahrzeuge nun erst 2025 oder 2026 in Zentraleuropa verkauft werden – deutlich später als die der chinesischen Konkurrenz, die derzeit den Markt flutet. Allein in Deutschland bieten acht chinesische Marken E-Autos feil.

Aber Togg-CEO Gürcan Karakas muss zunächst die Nachfrage zu Hause befriedigen und Kinderkrankheiten ausbügeln. „Wir sollten erst einmal im eigenen Markt den Erfolg nachhaltig zeigen“, sagt er der F.A.Z. im Gespräch im nagelneuen Werk in Gemlik, zwei Autostunden von Istanbul am Marmarameer. So eine Markteinführung „in unserem Heimatland organisiert zu haben heißt noch lange nicht, dass wir das auch in anderen Märkten können“.

Ein „smart device“ wie aus dem Nichts

Die will er auch erobern, aber nicht überstürzt. „In den Markt hineinzukommen ist einfach, dortzubleiben aber eine Herausforderung.“ Die nimmt der Mann, der 29 Jahre lang eine internationale Karriere bei Bosch gemacht hat, gerne an. Und zwar ab 2025 auf dem Umweg über Skandinavien.

Karakas hat dafür mehrere Gründe. Skandinavier seien für E-Autos offener, auch hätten sie weniger Hemmungen, neue Marken auszuprobieren. Das sei der richtige Markt, „um zu lernen“, bevor Togg sich Deutschland und Frankreich zuwende. „Ob wir dann ein paar Monate früher oder später kommen, darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, dass wir eins nach dem anderen tun.“

So wie beim Aufbau des Mitte 2018 gegründeten Unternehmens. Binnen fünf Jahren wurde ein neues Produkt kreiert, eine Organisation mit mehr als 4000 Beschäftigten aufgebaut, ein Werk auf einem ehemaligen Militärgelände zwischen Olivenhainen aus dem Boden gestampft, dem jetzt eine Batteriefabrik – ein Joint Venture mit dem chinesischen Hersteller und Lieferanten Farasis Energy – folgt.

„Sie können es auch als Auto nutzen“

Wegen seiner vielen digitalen Features nennt Karakas seinen Togg lieber ein „smart device“. Das ständig mit dem Internet vernetzte Gefährt soll Lebens- und Arbeitsraum in einem sein, mehr als ein Transportmittel, das seine Insassen von A nach B fährt. „Sie können es auch als Auto nutzen“, sagt Karakas, die Betonung liegt auf dem „auch“.

Togg bedeutet in der Türkei weit mehr als das, was die Übersetzung von Türkiye’nin Otomobili Girisim Grubu in Türkische Automobil-Initiativgruppe nahelegt. Es ist das erste Auto, das, wenn auch in internationaler Kooperation, in der Türkei entwickelt und gebaut wurde. Togg, der Stolz von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, ist eine türkische Staatsangelegenheit. Erdogan, der im Alltag eher mit Luxuslimousinen aus Baden-Württemberg gefahren wird, fuhr den ersten Togg aus dem Werk. Er schenkte zwei dem Präsidenten von Aserbaidschan. Vor dem Champions-League-Finale in Istanbul am vorigen Samstag musste sich Scheich Mohamed bin Zayed al-Nahyan, der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, hinters Togg-Steuer klemmen, mit Erdogan auf dem für ihn ungewohnten Beifahrersitz.

Für die türkische Autoindustrie sei Togg ein willkommener Treiber, der beim Umbau Richtung Elektromobilität helfe, sagt Albert Saydam, der Präsident des türkischen Autozulieferverbands Taysad. Bis 2019 hätten alle nur über Elektromobilität geredet. „Seit Togg es tut, sagen alle: Warum nicht auch wir?“ In der Türkei wollen auch ausländische Hersteller ­E-Autos und Hybridmotoren in großen Stückzahlen produzieren.

Eigentümer verzichten auf Dividende

Die Autoindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig. Sie reklamiert ein Viertel der gesamten Exporte für sich. Karakas hebt hervor, dass mehr als die Hälfte der im Togg verbauten Produkte aus der Türkei kämen. Wie der markante Stoßfänger, dessen chromsilbern glänzende Rippen vorn an Tulpen erinnern sollen. Er wird bei Assan Hanil in Izmit gefertigt, wo Direktor Mustafa Demir Özacan zufrieden ist, zum Togg-Lieferantenkreis zu gehören.

Es gibt auch kritische Stimmen, die sich namentlich nicht zitieren lassen wollen. Einer beklagt, Togg werbe Ingenieure ab. Ein anderer sagt, wozu andere nicken: „Togg macht alle glücklich: die Kunden, die Ingenieure, das Management, den Staatspräsidenten – nur die Eigentümer nicht.“ Ob, wann und wie deren Kapital verzinst werde, sei offen.

Eigentümer sind die vier Konzerne Anadolu Group, BMC, Turkcell und Zorlu Holding und die Kammerorganisation TOBB, alle mit der Regierung verbandelt. Die Konzerne halten je 23 Prozent der Togg-Aktien, TOBB 8 Prozent. Sie haben 3,5 Milliarden Euro investiert. Hinzu kommen 2,2 Milliarden Euro für die Batteriefabrik und 100 Millionen für Ladesäulen. Auf Dauer von 15 Jahren verzichteten die Eigner auf Dividenden, also bis 2033, sagt Karakas und: „Das gibt uns Freiraum, zu planen.“

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