Jeder Lamborghini ist ein Supersportwagen, der Millionen von Autofans in aller Welt begeistert. Doch so einen Boliden wie den Sterrato hat es in 60 Jahren Lamborghini-Geschichte noch nicht gegeben. Er ist mit einer Höchstgeschwindigkeit von gerade einmal 260 km/h der langsamste Lamborghini seit Jahren und doch ist das Urteil von Gaetano Santoro eindeutig: „Kein Huracan kann mehr Fahrspaß garantieren als der Sterrato“, strahlt der Verantwortliche für die Huracan-Modellreihe. Nardo ist mehr als eine Hochgeschwindigkeitsstrecke allein. Zahllose Autohersteller wissen das sogenannte Nardo Technical Center in Süditalien seit Jahrzehnten als streng gesichertes Testgelände zu schätzen, weil sie hier die Fahrzeuge von morgen und übermorgen weitgehend ungestört auf Herz und Nieren martern können.
Eine staubige Angelegenheit
Lamborghini Sterrato in Nardo 2023
Das Nardo Testcenter wurde im Jahre 1975 von Fiat mit Unterstützung der Region Apulien sowie der Provinz Lecce eröffnet und im Jahre 2012 an Porsche verkauft. Es gibt auf dem Gelände im süditalienischen Niemandsland nicht weniger als 17 Teststrecken, die über das gesamte Areal verteilt sind. Nur eine davon ist das berühmte vierspurige Hochgeschwindigkeitsoval mit seinem Umfang von 12,5 Kilometern Metern und einer Breite von 16 Metern. Dabei sind die Fahrspuren so geneigt, dass ein Fahrer auf der äußersten Spur bei einer Geschwindigkeit von 240 km/h das Lenkrad nicht einschlagen muss. Diese neutrale Geschwindigkeit ist auf den einzelnen Fahrspuren höchst unterschiedlich: 100 km/h auf der niedrigsten, 130 auf der zweiten und 190 auf der dritten Fahrbahn. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 260 km/h. Es sei denn, die Piste wird ausschließlich an einen Kunden vermietet, denn dieser kann das Maximaltempo nach Belieben aufheben.
Ebenso berühmt wie berüchtigt ist auch die 6,2 Kilometer lange Handlingstrecke, die sich innerhalb des Hauptovals befindet. Und auch die als Strada Bianca – die weiße Straße – bekannte Schotterpiste mit zwei Strecken von je 2.130 Metern Länge ist vielen Autoentwicklern ein Begriff. Bevor es auf einer der beiden Strada Bianca losgeht, gibt Mario Fasanetto, Leiter der Testfahrerabteilung von Lamborghini, wichtige Tipps zum Sterrato und zur Schotterpiste, die er bei bis zu zehnstündigen täglichen Testfahrten wie seine Westentasche kennengelernt hat. „Wir werden Ihre Runden auf Video aufnehmen und auch die gesamte Telemetrie wird ordnungsgemäß registriert, so dass Sie dann in der Unica-App nachsehen können, was Sie richtig und was Sie falsch gemacht haben und in welchen Bereichen noch Verbesserungsbedarf besteht”, lächelt Fasanetto.
Die Unterschiede zwischen dem auf 1.499 Fahrzeuge limitierten Lamborghini Sterrato und den normalen Huracan-Versionen sind ebenso offensichtlich wie schnell erklärt. Gaetano Santoro: „Die Hauptunterschiede im Vergleich zu einem Evo 4×4 ergeben sich aus der um 44 mm erhöhten Bodenfreiheit, den vorderen Metallelementen, Seitenschwellern, einem geänderten Heckdiffusor und natürlich den Schutzelementen am Unterboden.“ Die seitlichen Lufteinlässe des 5,2-Liter-V10-Saugmotors wurden verschlossen und stattdessen gibt es ein zentrales Ansaugrohr über dem Dach, das sicherstellen soll, dass die Luft so sauber wie möglich ist. Die Aufhängung mit ihren Magna-Ride-Stoßdämpfern und die LDVI- Bordelektronik wurden ebenfalls auf den schnellen Einsatz auf lockerem Untergrund abgestimmt. Der Radstand wuchs Dank der Offroad-Bereifung um neun Millimeter und der vertikale Radweg wurde vorne um 25 Prozent und hinten um 35 Prozent verlängert. Zudem glänzt der Sterrato mit einer um 3 beziehungsweise 3,4 Zentimeter verbreiterten Spur. Dabei trägt der Kunststoff, der in den unteren und exponierteren Teilen der Karosserie verwendet wird, trägt dazu bei, das Gewicht auf 1.470 Kilogramm zu senken. Zudem gibt es eine Aluminium-Motorhaube, Heckflügel sowie Karbon-Keramikbremsen.
Im Rally-Modus, der die Federn der Aufhängung spürbar weicher macht, begünstigt der permanente Allradantrieb die Übertragung des Drehmoments auf die Hinterräder, während gleichzeitig die Stabilitätskontrolle die Zügel lockerer hält. Dadurch wird der Sterrato im Schlamm, Sand und Schotter oder in einer Mischung aus allen dreien wie auf der Strada Bianca zu einer schamlosen Driftmaschine, die bei Belieben lieber zur Seite als nach vorne spurtet. Auskeilen garantiert. Wenn die Drifts im Dauerstaub einmal nicht reichen? Auf dem Testgelände werden selbst Donuts keine Grenzen gesetzt. All dies geschieht unter dem kehligen Sound des V10-Saugmotors, der zusammen mit dem spektakulären Design dazu führt, überall und unentwegt für Aufsehen zu sorgen. Doch genau deshalb holt man sich den 313.000 Euro teuren Spaßmacher in die eigene Fahrzeugsammlung. Unterhaltsamer als der langsamste Lamborghini der vergangenen Jahrzehnte kann ein Sportwagen kaum sein. Versprochen. Doch jetzt geht es erst einmal in Waschanlage.