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Mit dem E-Motor begann die Erfolgsgeschichte des Lastenrades

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Die Mobilität von morgen: Hier stellt die Firma Riese und Müller ihre beliebten Lastenradmodelle „Long John“ und „Long Tail“ her.

In Deutschlands Großstädten sind Lastenräder ins Stadtbild eingezogen. Die passen auch ideal zur Strategie der Verkehrswende weg vom privaten Auto, die von vielen größeren Städten verfolgt wird. Der Absatz der Lastenräder in Deutschland wuchs 2022 um mehr als 37 Prozent auf rund 165.000. Dies berichtet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Die Marktdaten zeigen, dass die Dynamik des Marktes von elektrisch betriebenen Lastenrädern getrieben wird. Diese zum Teil eher großen Vehikel mit einem Gewicht zwischen 25 und 50 Kilogramm blieben vor der Zeit des Elektroantriebs mehr den durchtrainierteren Personen vorbehalten. Mit Elektroantrieb lassen sich diese Räder nun auch von allen bewegen, ohne weitere Mühe auch über kleine Steigungen.

„Lastenräder werden immer mehr Teil der allgemeinen Mobilität“, sagt Sandra Wolf, die auf Unternehmensstrategie und Marketing spezialisierte Geschäftsführerin von Riese und Müller, einem der führenden deutschen Anbieter von E-Bikes mit Sitz in Mühltal bei Darmstadt. Das Lastenrad ermögliche es nun eben auch einem fahrradbegeisterten Single, einen Kasten Bier oder Mineralwasser mit dem Rad nach Hause mitzunehmen. Inzwischen werde das Lastenrad auch immer mehr als Ersatz für das Zweitauto angesehen, sagt Heiko Müller, einer der drei Geschäftsführer und zusammen mit Markus Riese Mitbegründer des Unternehmens: „Gedanklich gesehen haben diese Kunden genug Budget für den Kauf eines teuren Lastenrades. Die meinen, wenn ich schon auf das Auto verzichte, dann will ich etwas Gescheites.“

Hohe Preise? Kein Problem!

„Zu den Käufern von Lastenrädern gehört auch der immer schon autofreie Haushalt, wo man kein Auto kaufen will, auch wenn Kinder kommen“, sagt Arne Behrensen, Experte für Lastenräder vom Branchenverband Zukunft Fahrrad: „Für die löst das Lastenrad den Großteil der Transportbedürfnisse, und im Notfall nutzt man noch Carsharing.“

Befeuert wird die Entwicklung gerade in Deutschland zudem durch die Möglichkeit, teure Fahrräder zu leasen oder über den Arbeitgeber Diensträder finanziert zu bekommen. Insgesamt sind damit die hohen Preise für viele Interessenten kein Problem. Bei Riese und Müller etwa beginnt das Angebot mit einem Grundpreis von 5200 Euro für ein Rad mit speziellem Träger für ein Kind oder Lasten, das sich von einem E-Bike auf den ersten Blick wenig unterscheidet. Für viele Produkte sind aber mehr als 8000 Euro nötig, und für ein mit allen Extras ausgestattetes Modell kann der Preis auch 11.000 Euro erreichen. Zu den Spitzenmodellen gehören Lastenräder, die als sogenanntes S-Pedelec eine Höchstgeschwindigkeit von 45 Stundenkilometern erreichen, nur auf der Straße fahren dürfen und wie ein Mofa eine Haftpflichtversicherung sowie ein Kennzeichen benötigen.

Die Anbieter unterscheiden zwischen einem Lastenrad oder englisch „Cargo­bike“ mit langem Vorbau, unter dem Fachbegriff „Long John“, sowie dem Lastenrad mit einem hinteren Anbau für den Lastentransport, mit Namen „Long Tail“. Im Straßenbild fällt vor allem der „Long John“ auf, der wegen des langen Vorbaus nicht so wendig ist wie ein normales Fahrrad, aber dafür Kisten mit bis zu 60 Kilogramm Gewicht oder Boxen für bis zu 3 kleine Kinder transportieren kann. Der Schwerpunkt liegt dabei sehr tief, was der Stabilität des Fahrens entgegenkommt.

Beim „Long Tail“ muss dagegen die Ladung verteilt werden, auf eine Box auf dem Gepäckträger und Satteltaschen. Oder es können Kinder hinter dem Fahrradfahrer oder der -fahrerin aufgereiht werden. Der Schwerpunkt liegt dabei höher, die Fahrt kann deswegen etwas wackeliger sein.

Sandra Wolf von Riese und Müller etwa findet, sie fahre am liebsten den Long John, weil man da auch mit den gegenübersitzenden Kindern reden könne. Immer mehr Marktanteil gewinnt allerdings der „Long Tail“. Der habe vor drei Jahren erst 20 Prozent der verkauften Lastenräder von Riese und Müller ausgemacht, derzeit sei es die Hälfte. Für die Zukunft sei aber ein Wachstum des Anteils von „Long Tail“ auf 60 Prozent des Verkaufs an Lastenrädern zu erwarten. Grund sei der Umstand, dass solche Fahrräder etwa 10 Kilogramm weniger wögen und etwas handlicher seien. Die können daher im Zweifel auch einmal über eine Stufe in den Hausflur getragen werden oder über eine Treppe in einen Keller.

Mit dem Cargobike in Richtung Umsatzzuwachs

Die immer weiter aufgefächerte Vielfalt beflügelt wiederum die Nachfrage und hilft offenbar ebenfalls Riese und Müller, auch 2022/23 (31. Juli) einen zweistelligen Umsatzzuwachs zu erreichen. Der durchschnittliche Verkaufspreis für Lastenräder fällt deutlich höher aus als der für normale E-Bikes. Damit liegt der Umsatzanteil der Lastenräder noch einmal höher als deren Anteil an den Verkaufszahlen. So stützt das Cargobike die Entwicklung des Unternehmens.

Weil der Handel nach Corona-Jahren mit knapper Produktversorgung und langen Lieferfristen 2022 mit Lieferungen überschwemmt worden ist, gibt es Turbulenzen für normale Fahrräder und E-Bikes. Dagegen zeigt eine Umfrage unter den europäischen Herstellern, dass nach deren Erwartungen die Nachfrage nach Lastenrädern 2023 um mehr als 7 Prozent steigen wird, nach einem Absatzplus von 36 auf dem europäischen Markt im Jahr 2022.

Die Produkte werden immer differenzierter, etwa mit Klappmechanismen oder dem „Long John“ mit zwei Rädern vorne. Demgegenüber glauben Sandra Wolf und die beiden Mitgeschäftsführer bei Riese und Müller nur an das einspurige Lastenrad, das sich sportlicher fahren lasse. Wolf gibt aber zu, dass sie sich mit ihrem gewohnten Tempo im gemächlichen Kopenhagener Fahrradverkehr eher gestresst gefühlt habe. Aber nicht nur mehr oder weniger Ansprüche an sportliches Fahren seien Merkmale für die Differenzierung der Produkte, auch die Auslegung auf Kurzstrecken oder eben auf mehr als 10.000 Kilometer Fahrt im Jahr, das Zubehör für Lastentransport oder Kinder. Für die teuren Räder können auch technische Entwicklungen geboten werden, die für ein Normalrad eher undenkbar sind, wie etwa ein elektronisches Antiblockiersystem für die Bremsen. „Das Marktsegment ist geprägt durch viele kleine Pioniere, von denen viele inzwischen aber gar nicht mehr so klein sind und zu mittelgroßen Unternehmen herangewachsen sind“, kommentiert Arne Behrensen.

Vom Firmenwagen zum Firmenrad?

Längst sind die Lastenräder auch attraktiv für Handwerker oder Lieferdienste. Für die gibt es ebenfalls speziell zugeschnittene Aufbauten, sogar Wechselcontainer für die Verteilung von Post und Päckchen in den Städten.

Während viele Städte die Nutzung von Lastenrädern statt Autos begrüßen, steckt andererseits die Entwicklung von entsprechenden Parkplätzen für die bis zu 2,50 Meter langen Gefährte oft noch in den Anfängen. Zugleich gibt es andererseits regional oder lokal – auf eher unübersichtliche Weise – auch Fördermittel für den Erwerb von Lastenfahrrädern. Das Bundesland Hessen etwa gibt 1000 Euro Zuschuss für den Kauf eines Lastenrades mit Elektroantrieb. Das muss dann aber ein verlängertes Rad sein, nicht nur ein E-Bike mit größerem Gepäckträger, es muss mindestens 40 Kilogramm Zuladung haben und mindestens fünf Jahre im Besitz des Käufers bleiben.

Für den Handel sind Lastenräder ebenfalls besonders von Interesse. Denn in diesem Segment sei kein großes Wachstum des Internethandels zu erwarten, sagt Branchenexperte Arne Behrensen von Zukunft Fahrrad: „Das Lastenrad ist nicht prädestiniert für den Internethandel. Die meisten wünschen sich dafür eine umfassende Beratung und lokalen Service vor Ort. Da verlässt man sich lieber auf den Händler um die Ecke.“

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