- Pleuellagerkappen und Nockenwellenräder
- Wut im Verkehr
- SUV-Fahrer als Einzelkämpfer
- Kein typischer Bleifußfanatiker
On the road again: Von allen Transportmitteln hat das Automobil die Vereinigten Staaten am deutlichsten geprägt
Natürlich macht Autofahren Spaß. Wenn man, als Landjugendlicher frisch mit dem Führerschein ausgestattet, in die nächstgelegene große Stadt düsen kann; wenn man die Möglichkeit hat, mit dem Mietwagen durch die amerikanische Prärie zu gleiten, auf Highways, die nur für einen selbst gebaut scheinen; wenn man spontan für einen Tag ans Meer fährt – dann verschafft einem dies ein Gefühl, das Coming-of-Age-Romane und Roadmovies vielfach einzufangen versucht haben. Man darf es getrost Freiheit nennen.
Matthew B. Crawford: „Philosophie des Fahrens. Warum wir gern am Steuer sitzen und was das mit Freiheit zu tun hat.“ Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Ullstein Verlag, Berlin 2022. 480 S., geb., 26,99 €.
Pleuellagerkappen und Nockenwellenräder
Mit seinen 57 Jahren ist Crawford nicht mehr ganz jung; er kaufte sich 1980 sein erstes Auto, nennt sich heute „Mechaniker-Philosoph“ und vermag als solcher mit Hingabe über Pleuellagerkappen und Nockenwellenräder zu referieren. Seit 35 Jahren werkelt Crawford am Aufbau seines „ultimativen VW-Motors“. Die Recherche nach den einzig passenden Stiften, mit denen die Kupplungsdruckplatte an der Schwungscheibe angebracht wird, hat ihn anderthalb Jahre gekostet, und wenn er in einem langen Kapitel seine Hochleistungsbastelei beschreibt, legt man entweder das Buch zur Seite oder sich hinterher am liebsten selbst einen Oldtimer zu.
Wut im Verkehr
Ein wenig Autonarrenfreiheit darf man Crawford also gewähren. Sein Buch ist aber auch mehr als ein auf fast fünfhundert Seiten ausgewalzter Traktat gegen grünideologische Verkehrsbegrenzungspolitik. Ihm geht es weniger ums schnelle Fahren als um das Fahren schlechthin, welches man als „Domäne des Könnens, der Freiheit und der individuellen Verantwortung“ bewahren müsse, bevor es zu spät sei. Gefährdungen sieht Crawford unter anderem in einem Verwaltungsapparat, der die Fahrer mit Ampelkameras und Radarfallen gängele, in den Navigationsgeräten, die uns das Selbstdenken abtrainierten, und im Primat der Sicherheit, dem Risikoverringerung über alles gehe – bis hin zur kompletten Ausschaltung des größten Risikofaktors: des Menschen. Das selbstfahrende Auto, eine der ältesten Visionen der Hightech-Fans, ist für Crawford eine Horrorvorstellung und letztlich ein Menetekel für die Demokratie, welche nur dann lebensfähig bleibe, „wenn wir bereit sind, einander individuell Kompetenz zuzugestehen“.
SUV-Fahrer als Einzelkämpfer
Besonders bedauerlich findet er das nicht. Im Gegenteil beklagt er die „unterschwellige Unzufriedenheit und sogar Selbstverachtung“, die vor allem Männer in einer bürgerlichen Gesellschaft empfänden, „in der die Gefahr physischen Schadens beinahe nicht mehr existiert“. Der Motorsport könne solche Grenzerfahrungen noch bieten: „Und wenn es vorbei ist, ist man begeistert, am Leben zu sein.“ Das mag stimmen, dürfte aber ebenfalls auf einen schiefgelaufenen Drogentrip zutreffen oder sogar auf einen Kriegseinsatz. Und die meisten Verkehrsteilnehmer möchten gewiss einfach nur heil von A nach B kommen. Zudem ist im Motorsport die Zahl der Cockpits zu begrenzt, um einer ganzen Gesellschaft die Lebensbegeisterung zurückzugeben.
Es wäre jedoch unfair, Crawford vorzuhalten, diese Gefahrenlust im normalen Straßenverkehr ausleben zu wollen. Er zählt einfach zu jenem nicht kleinen Lager, das Freude am Fahren erst bei einer gewissen „Körperlichkeit“ empfindet, welcher schon ein Automatikgetriebe im Wege steht. Das „Wettrüsten beim Fahrzeuggewicht“, das jeden SUV-Fahrer zum Einzelkämpfer mache, ist auch ihm ein Gräuel. Sein Argument, dass ein – durch Navis und Sicherheitssysteme – weitgehend fremdgesteuerter Fahrprozess den Fahrer zum Abschalten verleiten könne, ist schlüssig.
Kein typischer Bleifußfanatiker
Wenn schließlich wie beim fahrerlosen Auto nur noch Künstliche Intelligenz uns lenkte, dann, und hier wird Crawfords Plädoyer am eindringlichsten, beraube sich der Mensch eines Augenblicks in seinem Leben, der ihm „ein wenig geistigen Freiraum“ biete vor den Technokapitalisten und Datensammlern des Digital Valley. Die vom Lenkrad befreiten Finger könnten dann wieder über die Displays wischen, unseren Konsum ankurbeln und uns ein weiteres Mal entfernen von der uns umgebenden Wirklichkeit.
Und das Tempolimit, das es in den meisten anderen Ländern und auch in den USA längst gibt? Überhöhte Geschwindigkeit, schreibt Crawford, trage „sehr viel weniger zu tödlichen Unfällen bei als Alkohol am Steuer, als das Unvermögen, die Spur zu halten, oder als Abkommen von der Straße“. Erstaunlich, dass er all dies so genau trennen zu können vermeint; in den meisten Fällen dürften mehrere Faktoren zusammenkommen. Nicht korrekt jedenfalls ist seine Behauptung, der damalige deutsche Verkehrsminister Scheuer habe 2019 beim Tempolimit auf den Autobahnen „einen Rückzieher“ gemacht; tatsächlich hatte sich der CSU-Mann Scheuer diesem Vorschlag einer Regierungskommission von Anfang an entgegengestellt.
Ein typischer Bleifußfanatiker ist Crawford nicht, sondern ein Nostalgiker, der mit diesem Buch auch seine eigene Auto-Biographie vorlegt. Die Denkanstöße, die er liefert, sollten auch bei PS-Skeptikern keine Beulen hinterlassen. Fragen darf man dennoch, ob Freude am Fahren tatsächlich nur durch harte Arbeit entsteht. Gerade der von Crawford angeführte Iggy Pop ist da ein schlechter Kronzeuge. In dessen Song „The Passenger“ beschreibe er sich als isolierter, unbeteiligter Passagier „unter Glas“ und damit als Bürger, der „effizienter regiert werden“ könne, meint Crawford. Doch hat er das Lied je bis zum Ende gehört? Pops Passagier sieht den Himmel und die Sterne, er befindet, dass alles gut aussieht und – von wegen isoliert – „dir und mir“ gehört. Auch auf dem Beifahrersitz kann es nett sein.