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Ingenieurskunst von 1990 im Test - Audi 100 2.5 TDI (C3)

Es mag kurzweilig sein, sich Untugendbolde zum Vorbild zu nehmen. Etwa Keith Richards, der meinte: “Ich hatte nie Probleme mit Drogen – nur mit der Polizei.” Doch lernen wir mehr von den Strebensweisheiten der Tugendhaften. So einer war der Audi 100 C3: ein Ingenieursauto, Aerodynamik-Weltmeister, Wegbereiter von Vollverzinkung und Direkteinspritzung. Klingt nach keiner selbstzündenden Ausgabe des “Alten im Test”? Doch!

ingenieurskunst von 1990 im test - audi 100 2.5 tdi (c3)

Der Alte im Test: Nach 32 Jahren kommt der Audi 100 als Oldtimer zum Test. Unter der Haube nagelt ein 5-Zylinder-Turbodiesel.

Ambitionen sind nichts ohne Konsequenz. Ach, genügte der gute Vorsatz allein, beherrschten wir doch jeder acht Sprachen, den Ausgang des nächsten Ironman auf Hawaii oder gar das Harfenspiel. Doch liegt es im Wesen der Mühen, sich so selten nur nach Vergnügen anzufühlen. Erst recht, da sich wahrer Erfolg bloß einstellen mag, mutest du sie dir stetig zu. Lässt du darin nach, verschwindet der Erfolg, den du erreicht hast, im Rückspiegel, wie etwa das … das Kreuz Walldorf. Mist!

Daher geht diese Fahrt über die Anschlussstelle Schwetzingen in eine Extra-Schleife. So eine drehen sonst ja immer nur die Gedanken auf einer Reise nach Hockenheim, die im grellen Neonlicht der Tiefgarage beginnt. Um darauf durch Stuttgart hinaus auf die Autobahn zu führen durch die Zeit, in der die alte Nacht in die Vergangenheit und die Zukunft des neuen Tages in die Gegenwart rückt. Warum wir auf der Tour zum Treffpunkt an unserer Hockenheimer Stammtankstelle am Steuer eines “Alten im Test” immer so ins Gedankenkreisen kommen? Weil die Zukunft, für die diese Autos entwickelt wurden, heute Geschichte ist. Wir kennen die Ideen, die Erwartungen und die Ambitionen, die ihnen mit auf den Weg gegeben wurden. Doch wir wissen auch, ob sie sich erfüllt haben. Selten waren sie größer als beim Audi 100 C3, dessen 40. Geburtstag wir hier feiern.

Aero, Allrad, Anti-Rost

1977 beginnt die Audi NSU Auto Union AG mit der Entwicklung des Typs 44. Der soll die Marke im VW-Konzern wie im ganzen Hersteller-Ranking weiter nach oben heben – am liebsten so etwa über das Niveau von BMW und Mercedes. Für solch ambitionierte Ziele haben sie den perfekten Chefkonstrukteur: Ferdinand Piëch, der zuvor unter vielem anderen für Porsche den 917, für Mercedes den Fünfzylinder-Diesel und schon in frühen Jahren einen brennenden Ehrgeiz entwickelt hat (“brennend” nicht im Sinne eines Teelichts, da reden wir eher so in den Dimensionen des Fege- feuers), der Welt zu beweisen, dass er der brillanteste aller Techniker ist.

Das technische Unterzeug soll der neue 100 vom Vorgänger C2 übernehmen, also die grandiosen Reihenfünfzylinder sowie die der Grandiosität nicht gar so verdächtigen Reihenvierer. Dazu auch das, nennen wir es, zweckmäßige Fahrwerkskonstrukt aus MacPhersons vorn und Verbundlenker-Hinterachse (die behält der 100 noch bis 1997, da nennt er sich in Generation C4 schon A6). Klar wird der C3 auch mal den permanenten Allradantrieb bekommen (dann natürlich mit Mehrlenker-Hinterachse), den die Techniker gerade für den Quattro entwickeln. Aber den gibt es nur optional, und man sähe ihn dem Wagen nicht an. Also braucht es eine sichtbare Sensation, und am besten eine, mit der man kein Geld in den Wind schießt. Oder eben genau das, aber nur wenig: die Aerodynamik.

Schließlich hat VW einen Windkanal und Audi mit Hartmut Warkuß einen Designer, dem es gelingt, dass der 100 nicht aussieht wie eine Zigarre mit Glaskuppeldach ohne Regenleisten – die stören die Aero. Wobei: Schaust du ihn dir von der Seite an, wirken die Proportionen schon etwas, nun, speziell – der knappe Radstand, die langen Überhänge. Der Bug reckt sich so weit nach vorn, weil sich das Getriebe nicht weiter zurückversetzen lässt. So hängt der Motor vor der Vorderachse, stößt mit seinem fünften Zylinder bis an den Kühler.

Aber da braucht es ja noch ein paar Zentimeter für eine angeschrägte Front und die windschnittigen Stoßfänger. Am Heck soll die Luft über die flach geneigte Rückscheibe auf den auskeilenden Kofferraumdeckel strömen. So bleibt von den 4,79 Metern gar nicht mal so viel Länge für den Passagierraum, den zudem große, stark eingezogene, karosseriebündige Seitenscheiben gleichermaßen beengen wie zuverlässig aufheizen. Doch durch die konsequente Umsetzung wird der Audi 100 Meister einer neuen Disziplin: Der cW-Wert, beim C2 noch nachtspeicherofige 0,42, sinkt auf weltrekördliche 0,30 – aber wie allseits bekannt nur in der Basisversion ohne Beifahrer-Außenspiegel. (Der Mensch hat einen cW-Wert von 0,8. Dagegen liegt ein Kofferfisch bei 0,06. Mit 0,03 erlangt der Pinguin in der Natur den Bestwert – wäre es nicht gerade solch ein subtiler, verrucht gewisperter Vergleich zwischen Kofferfisch, Pinguin und Ihrer Gemahlin, mit dem Sie sie auch nach fortgeschrittenen Jahren der Partnerschaft wieder einmal in die Stimmung auflodernder Romantik der früheren Zeiten komplimentieren könnten?)

Warkuß’ Design jedenfalls setzt sich gegen einen Entwurf von Giorgetto Giugiaro durch. 1982 startet die Produktion des C3, der danach stetig optimiert wird. Ab Sommer 1985 ist er vollverzinkt, ab Januar 1988 sacht karosseriegeliftet – mit bündig eingefassten Türgriffen. Im Januar 1990, im letzten Modelljahr, stecken sie ihm eine Revolution unter die Haube: den Turbodiesel-Direkteinspritzer.

Verdichter und Denker

Solch einen hat 1987 Fiat auf den Markt gebracht, gefolgt von Rover 1988. Selbst wenn sie brillant funktioniert hätten – allein die Entscheidung, mit ihnen Croma und Montego anzutreiben, vermochte den Durchbruch der Technik zu verhindern. So ist es am Audi 100, dafür zu sorgen.

Basis des TDI ist der 2,4-Liter-Fünfzylinder-Saugdiesel. Mit mehr Hub kommt er auf 2460 cm³, dazu zwirbeln die Techniker ihm Ladeluftkühler, Abgasturbolader und eine neu entwickelte Verteiler-Einspritzpumpe an. Sie drückt den Kraftstoff mit 900 bar durch zweistufige Fünfloch-Einspritzdüsen. Wegen des enormen Drucks platzen viele der hochverdichteten (21,0 : 1) Testmotoren. Doch das bekommen die Techniker letztlich in den Griff. Wegen starker Vibrationen bei niedrigen Drehzahlen lagern sie den Selbstzünder auf Hydraulikdämpfern, die um 1600/min von der weichen auf die straffe Kennlinie schalten. Und weil der Motor so ruppig anspricht, regeln sie die Gasannahme elektronisch statt per Gaszug.

Damit ist der 2.5 TDI – der erste Diesel von bald drei Dutzend “Alten im Test” – ein echter Ingenieursmotor. Es geht mit einer versprochenen Verbrauchsreduzierung von 20 Prozent um ein Höchstmaß an Effizienz, nicht um Eleganz in der Darbietung.

So rumpelt sich der TDI im ersten Licht des Morgens in der Boxengasse kurz warm – frisch getankt, gewaschen, gewogen –, während wir die Messelektronik einbauen. So, jetzt aber schnell los … nun, oder nicht. Denn beim ersten TDI flaut der Ladedruck bei niedrigen Drehzahlen noch so sehr, dass er kaum auf Schwung kommt. Erst dann so um 2000/min – genau wissen wir das nicht, statt eines Drehzahlmessers hat dieser 100 eine Analoguhr stattlichen Formats – lässt der Fünfzylinder die ganze aufgeplusterte Meute seiner 265 Nm durch den Antriebsstrang und auf die Vorderräder marodieren. Doch Ottos zartfühlender Gasfuß bekommt das sensibel geregelt, bevor wir auch nur die unerhebliche Tachoabweichung und die schon erheblicheren Innengeräuschpegel gemessen haben.

Also bestens trainiert in die Auslaufzone der Spitzkehre gefahren und dort Aufstellung genommen für die Beschleunigung. Drehzahl hoch, Kupplung schnappt, und der Audi 100 nagelt los, als habe er ein Hammerwerk statt eines Reihenfünfzylinders unter der Haube. Eilig den zweiten Gang reingeknorpelt und den dritten hinterher – weil die Kraft eh schon vor 4000 Touren verebbt und der 100 sonst nicht über 100 kommt. So aber genügen ihm 10,3 Sekunden. Das ist – Heidebimbam und potz Blitz! – acht Zehntelsekunden schneller als beim ersten Testauftritt des 100 2.5 TDI bei uns vor 32 Jahren.

Ein unter so großer Kraft- und Geräuschanstrengung errungenes Tempo mag die Scheibenbremsanlage nicht allzu rigide wieder verzögern. Wobei wir gerade das Werk der gut 8 m/s² besser in seiner Zeit interpretieren und vielleicht mittels des ansonsten ja sehr nutzlos gewordenen Euro-DM-Kurses schönmultiplizieren sollten.

Besser aber: rüber zum Slalom. Denn bald müssen wir von der Strecke, um sie selbstüberschätzenden Herren vorgerückten Alters zu überlassen, damit sie im Bemühen, doch noch einem Talentscout aufzufallen, ihre startnummerbeklebten Sportwagen in das eine oder andere Kiesbett stopfen können. Also Anlauf, los, und nicht zu niedertourig, sonst purzelt der Motor wieder in die Ladedruckgrube. So lässt sich herausfahren, dass der Audi auf zwei Arten sicher ist: fast unerschütterlich fahrsicher erstens. Und zweitens ganz sicher ein Wagen von bemerkenswert geringem Handlingtalent. Das liegt an der Bugschwere: 876 der 1377 kg Gesamtgewicht lasten auf der Vorderachse, was selbst der 80-Liter-Tank im Heck nicht besser austariert bekommt. Die Masse stützt sich schwer auf das kurvenäußere Vorderrad. So taucht der Bug tief ein, was dem Fahrverhalten eine geradezu exzentrische Dimension des Untersteuerns verschafft – gefördert von der indirekten Servolenkung, die bei schnellen Richtungswechseln so entschlossen verhärtet, dass sich die Richtung nicht mehr schnell wechseln lässt.

Geizüberflutung

Na, bis zum ersten Sieg eines Audi TDI in Le Mans sollte es 1990 noch 16 ehrgeizige Jahre dauern. Zuerst ging es ja darum, Ansehen, Tempo und Effizienz des Diesel zu steigern, erzählen Otto und ich uns von früher. Derweil vermessen wir den Innenraum mit seinen plüschigen Velourssitzen samt Rahmenkopfstützen, dem seltsam nach rechts versetzten Lenkrad (seit 1987 mit der Proconten-Seilschaft verbandelt) und dieser ingenieurigen Ablage über der Mittelkonsole. Die sieht aus, als sei sie maßgefertigt, um sorgsam gespitzte Ingenieursbleistifte aufzunehmen. Was daran liegt, dass sie maßgefertigt wurde, um sorgs… Sie wissen schon.

Was Sie noch nicht wissen: was der TDI verbraucht. Also auf nun zur Eco-Tour. Der Audi 100 nagelt los, doch geruhsam gefahren hämmert er weicher. Der Wind umsäuselt die Karosserie, die weiche Federung überschmiegt Unebenheiten. So ziehen Weg und Zeit dahin bis zur Tankstelle. 5,6 l/100 km werden wir später als Eco-Verbrauch errechnen können. Der konsequente Audi 100 macht seinem Ehrgeiz mit Geiz alle Ehre.

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