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EU-Verbrenner-Aus für 2035: Neue Debatte über beschlossenen Termin

Der Abschied von Benzin- und Diesel-Pkw ab 2035 steht wieder zur Disposition. Konservative und Liberale im EU-Parlament machen Druck, Autobauer wie Mercedes ändern ihre Strategie.

eu-verbrenner-aus für 2035: neue debatte über beschlossenen termin

Klimaneutral werden. Elektromobilität statt mit Benzin und Diesel betriebene Autos, die viele Abgase produzieren, spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Die Kommunikatoren von Mercedes-Benz haben dem Chef immer ein Hintertürchen offen gehalten. Wenn Ola Källenius über die „Electric only”-Strategie, also seine ambitionierten Absatzziele für Elektroautos, sprach, fügte er stets einen Satz hinzu: „…überall dort, wo es die Marktbedingungen zulassen“. Seit dem vergangenen Donnerstag weiß man, dass der Satz künftig nicht mehr nötig sein wird. Denn Källenius hat „Electric only” weitgehend kassiert.

Die Marktbedingungen werden aus Sicht von Mercedes-Benz im Jahr 2030 nicht so sein, dass der Autobauer sein ursprüngliches Ziel, „bis zum Ende des Jahrzehnts vollelektrisch zu werden”, erreichen kann. Stattdessen sollen Verbrennungsmotoren ein längeres Leben bekommen.

Die Europäische Volkspartei (EVP) im EU-Parlament hört die Signale aus Stuttgart gerne. Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende, hat gerade bekräftigt, dass die EVP das in dieser Legislaturperiode de facto beschlossene Verbrenner-Aus für 2035 rückgängig machen will. So steht es auch im Europa-Wahlprogramm.

Ein starres Festhalten am Verbrenner-Aus ist nicht zielführend.

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr (FDP)

Reaktionen aus dem Bundesverkehrsministerium ließen nicht lange auf sich warten. „Ein starres Festhalten am Verbrenner-Aus ist nicht zielführend“, postete Volker Wissing (FDP) bei „X“. Die FDP deutete Äußerungen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Überprüfung der EU-Verordnung als Entgegenkommen. „Ich denke, oft wird vergessen, dass im Jahr 2026 eine Bestandsaufnahme und eine Überprüfung stattfinden wird“, hatte von der Leyen gesagt. Dies sei „sehr wichtig“.

Die Christdemokratin, die als Spitzenkandidatin der CDU in den Wahlkampf für die Europawahl ziehen soll, zögert allerdings, die EVP-Forderung nach einem „Aus vom Aus“ des Verbrenners explizit zu übernehmen. Das stößt in der eigenen Partei auf Kritik.

„Person und Programm müssen zusammenpassen“, forderte Jens Gieseke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Von der Leyen erwarte Unterstützung für ihre Wiederwahl, „und wir erwarten, dass sie die Ziele im Wahlprogramm unterstützt“, sagte Gieseke Tagesspiegel Background.

Einige EU-Parlamentarier, die zähe Debatten über die CO₂-Flottenziele für Pkw hinter sich haben, sind alarmiert. Würde sich die amtierende Kommissionspräsidentin vom Verbrenner-Aus verabschieden, „würde nicht nur die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit europäischer Politik in Bezug auf Klimaschutz untergraben“, sagte der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Thomas Rudner Background. Von der Leyen würde damit auch „signalisieren, dass kurzfristige politische Kalküle über langfristigen Umweltschutz gestellt werden“.

Aus einer anderen Richtung unter Druck gesetzt wird die EU-Kommissionspräsidentin von der FDP. Sie erinnert von der Leyen an den Last-Minute-Verhandlungserfolg in Sachen E-Fuels. Die Kommission hat zugesagt, dass eine neue Fahrzeugkategorie für den CO₂-neutralen Verbrenner geschaffen wird. Dies müsse jetzt auf den Weg gebracht werden, sagte Jan-Christoph Oetjen, FDP-Politiker und Vizepräsident des EU-Parlaments, dem Tagesspiegel Background. „Wir erwarten jetzt Taten statt leerer Worte.“

Sollte Frau von der Leyen wiedergewählt werden, dann erwarte ich, dass die Revision vorgezogen und vor 2026 behandelt wird.

Jens Gieseke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament

Um die Zulassung von Verbrennungsmotoren in der EU auch nach 2035 zu erlauben, bleiben nur zwei rechtliche Stellschrauben: die Aufweichung der Flottengrenzwerte bei der Revision der EU-Verordnung im Jahr 2026 und die Zulassung von Pkw, die nur mit CO₂-neutralen E-Fuels fahren.

Beide Optionen sind für die Industrie unkalkulierbar. Jens Gieseke mahnte deshalb Tempo an. „Sollte Frau von der Leyen wiedergewählt werden, dann erwarte ich, dass die Revision vorgezogen und vor 2026 behandelt wird“, sagte der Verkehrspolitiker. Die EU-Politik müsse sich an der „wirtschaftlichen Wirklichkeit ausrichten und nicht an Zahlen, die nicht erreichbar sind“.

So verlockend für Autohersteller und -zulieferer die Aussicht sein mag, ihr profitables Verbrennergeschäft länger als gedacht betreiben zu können, so problematisch ist die Unsicherheit für die Investoren, ob es tatsächlich so kommt. Gleichzeitig drängen neue Wettbewerber aus China mit E-Autos auf den europäischen Markt.

Freilich haben auch die Chinesen als Treiber der Elektromobilität inzwischen ein differenzierteres Verhältnis zum Verbrennungsmotor. Betankt mit Wasserstoff, Ammoniak, flüssigen Biokraftstoffe oder erneuerbaren synthetischen Kraftstoffen, könnten Autos mit Verbrenner noch bis ins Jahr 2060 fahren, hieß es jüngst in Peking. Auch auf den beiden wichtigsten Exportmärkten der deutschen Autobauer USA und Großbritannien wurden Fristen für die Elektrifizierung nach hinten verschoben.

Ola Källenius betonte, Mercedes-Benz habe seine Milliarden-Investitionen in die Elektromobilität nicht gekürzt. Mit Blick auf die Revision der EU-Verordnung zu den Flottengrenzwerten im Jahr 2026 gab Källenius dem Gesetzgeber einen Rat: „Wenn die Politik das Datum nutzen will, um zu überprüfen, wie weit wir gekommen sind, sollte sie dies rational mit Zahlen, Daten und Fakten tun – und dann die richtigen Entscheidungen treffen.“

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