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Avatr 12 soll Audis e-tron GT das Fürchten lehren

Unter der Submarke Avatr bringt Chinas Autobauer Changan seine ersten E-Autos nach Europa. Entwickelt wurden sie zusammen mit CATL und Huawei.

Nein, Avatr heisst nicht die Automarke für blaue Avatare aus James Camerons gleichnamigen Science-Fiction-Filmen. Vielmehr stecken eine Tochtergesellschaft des realen und sehr vitalen chinesischen Autogiganten Changan sowie deren Kooperationspartner CATL und Huawei hinter dem Markennamen. Initial war auch NIO dabei. Aber nach Unstimmigkeiten zog das Unternehmen sich wieder vom Projekt zurück.

Changan verkauft jährlich rund eine Million Fahrzeuge in China, vorwiegend Verbrenner. Seit Kurzem bietet das Unternehmen über die Submarke Avatr batterie-elektrische Personenwagen für echte Menschen an. Vom ersten Modell, dem SUV Coupé Avatr 11, wurden in China bislang allerdings nur magere 12.000 Einheiten verkauft. Nicht nur in der Farbe Blau – und demnächst auch über die Grenzen Chinas hinaus.

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Blaue Stunde Die Sportlimousine Avatr 12 aus China nimmt vor allem den Audi e-tron GT ins Visier. Aber auch dem Mercedes EQS könnte sie gefährlich werden, mit Startpreisen wohl um 80.000 Euro. Fotos: Avatr

Nach NIO und HiPhi nimmt mit Avatr nun die dritte neue Automarke aus China traditionelle westliche Premiumanbieter ins Visier. Avatr preist seine Produkte vernünftiger ein als HiPhi und tritt expressiver auf als NIO. Und Avatr zielt, daraus machen sie keinen Hehl, vor allem direkt auf Audi. Mit gleich vier neuen Modellen noch in diesem und im nächsten Jahr. Nach dem SUV Avatr 11 legt die Marke mit der Sportlimousine Avatr 12 in den kommenden Monaten in China und Europa nahezu gleichzeitig nach. Weil diese Fahrzeuggattung zumindest  in China beliebter ist als SUV Coupés, werden höhere Verkaufszahlen erwartet.

Sechs neue Modelle bis 2030

Und schon in 2024 sollen mit dem Avatr 15 ein weiterer SUV sowie die Limousine Avatr 16 folgen. Bis 2030 kommen noch einmal vier neue Modelle hinzu. Darüber hinaus hat Changan mit Deepal und Qiyun noch zwei Submarken unterhalb von Avatr ins Leben gerufen, die in den nächsten 7 Jahren sechs beziehungsweise zehn Modelle einführen sollen.

Die beachtliche Entwicklungsgeschwindigkeit wird durch sorgfältig geplante Skaleneffekte möglich. Alle neuen Changan-Marken nutzen aktuell die skalierbare CHN-Plattform von CATL. Doch schon bald dürfte diese durch das innovative, besonders flache CATL „Skateboard“-Chassis ersetzt werden.

CATL und Huawei liefern Kernkomponenten

EV-Plattformen zu entwickeln bedarf keiner lange gewachsenen Kompetenz im komplexen Maschinenbau. Nockenwellen gesteuerte Verbrennungseinheiten, Getriebe, Abgasanlage und Kupplung kommen nicht zum Einsatz. Vielmehr zählen Batterien, Elektromotoren und elektronische Steuerungssysteme zu den Kernkomponenten. Während westliche Hersteller sich das Knowhow dafür erst erarbeiten müssen, besitzen es chinesische Unternehmen bereits seit dem Aufbruch ins Computer-Zeitalter.

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Nio ET7 lässt grüßen Ursprünglich war auch Nio an dem Projekt Avtra beteiligt. Der Konkurrent ist inzwischen aus der Kooperation ausgestiegen. Stilistisch ist er gleichwohl immer noch präsent, wie der Blick auf die Heckpartie zeigt.

Deren Entwicklungsschritte folgen nach immer gleichem Rezept: Eine neue Automarke wie Avatr kauft E-Komponenten als fertig entwickelte Zutaten ein – in diesem Fall bei CATL und Huawei. Das Fertigungs-Knowhow besitzt die Muttermarke Changan, und für die ästhetische Kompetenz werden ausländische Designer eingekauft. Avatr hat den Ex-BMW-Mann Nader Faghihzadeh an Bord, der nun in München ein 50-köpfiges Designteam führt. Dem hauseigenen Entwicklungsschwerpunkt folgend sieht CEO Tan Benhong Avatr als „Marke für emotionale Intelligenz“.

Auto soll Identität des Besitzers abbilden

Repräsentiert wird dieses Etikett durch den sehr dynamisch anmutenden Fünfsitzer Avatr 12 im Porsche-Panamera-Format. Den Avatr soll man „eins zwei“ aussprechen. Er dürfte in Europa nicht unter 80.000 Euro kosten. Audi ruft für seinen e-tron GT über 20.000 Euro mehr auf.

Chefdesigner Faghihzadeh lobt den monolithischen Karosseriekörper seines mutig gezeichneten „Babies“, der die Identität des Besitzer (deshalb die Assoziation zum Avatar) abbilden soll. Oder meint er, es solle dem Besitzer eine Identität verleihen?

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Nicht originell, aber funktionell Bei höheren Fahrgeschwindigkeiten – immerhin 200 km/h sind möglich – fährt aus der Heckklappe ein kleiner Spoiler aus.

Den blumigen Worten steht eine 5,02 m lange, 1,99 m breite und 1,64 m flache Karosserie mit niedriger Gürtellinie und hoher Eigenständigkeit gegenüber. Das viertüriges Gran Coupé tritt mit 3,02 m langem Radstand und muskulösen Radhäusern über riesigen 22-Zöll-Rädern sportlich auf. Seine konturenscharfe Front wird von schmalen, doppelstöckigen LED-Bändern und bündig integrierten LiDAR-Sensoren eingerahmt. Das lang abströmende Glasdach mündet in ein hohes, imposantes Heck, das nicht zuletzt durch seine Leuchtengrafik an Mercedes-AMG, Porsche, aber auch Jaguar erinnert. Auffällig ist zudem, dass wie beim Polestar 3 auch hier ein Heckfenster fehlt. Der Blick auf den nachfolgenden Verkehr erfolgt durch Seiten- und Heckkameras, der auf den entfliehenden Horizont durchs abströmende Glasdach. Dieses reicht bis in die filigrane Heckklappe. Den automatisch ausfahrenden Heckspoiler kennen wir u.a. vom Porsche Taycan.

Helo-Display kommuniziert mit Fußgängern

Zum Einsteigen fährt bei Annäherung an eine Tür deren versenkter Griff aus. An ihm kann, muss man aber nicht ziehen. Über ein berührungsempfindliches Feld wird ein Elektromotor angesteuert, der die Tür öffnet. Deren Öffnungswinkel orientiert sich an möglichen Hindernissen, etwas am daneben parkenden Fahrzeug. Ob so viel Zukunftsmusik auch einen zehn Jahre alten Avatr 12 noch verlässlich bespielen wird? Wir sprechen uns später…

Ein Novum im Automobilbau markiert das unter der Windschutzscheibe in die Fronthaube integrierte Black-Panel LED-Feld. Avatr nennt es „Helo-Display“. Es dient zur Kommunikation mit der Außenwelt und textet beispielsweise Aufforderungen an Passanten, die Strasse zu überqueren. Ob solch mobile Leuchtschrift hierzulande zulassungsfähig ist? Wie gesagt, wir sprechen uns später…

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Traumschiff Surprise Ohne Zentralbildschirm im i-Pad-Format läuft in China kein Auto mehr vom Band. Im Avatr 12 kommt unter der Windschutzscheibe noch digitales Infoband hinzu, das sich über die gesamte Fahrzeugbreite erstreckt.

Die Gestaltung des Interieur folgt dem gängigen, von Tesla vorgelebten Muster neuer Elektrofahrzeuge aus China: Nacktes Armaturenbrett mit Zentraldisplay zur Steuerung aller Fahr- und Komfortfunktionen sowie Fahrerdisplay hinterm Lenkrad. Fertig! Doch halt – bei beiden Modulen geht Avatr noch einen Schritt weiter. Erstens gibt es unter dem Zentraldisplay willkommene mechanische Schalter für primäre Komfortfunktionen. Und zweitens wächst das Fahrerdisplay über die gesamte Armaturenträgerbreite unter der Windschutzscheibe zu einem Info-Band für Pilot und  Beifahrer. Wie zweckmässig die Panorama-Show ist, muss sie im Fahrbetrieb beweisen. Nicht alle Bereiche sind vollständig einsehbar, werden teilweise vom davor thronenden Zentraldisplay verdeckt.

Materialgüte auf Audi-Niveau

Die im Vorserienmodell verbauten Materialien lassen keine Zweifel aufkommen, dass Gestaltungsmeister Audi im Visier liegt. Sie sind tadellos verarbeitet und werden von vielfach konfigurierbarem Ambiente-Licht in Szene gesetzt. Auch ergonomisch passt alles. Hoffentlich schafft es das abgeflachte Lenkrad in die Serienausstattung! Es liegt perfekt in der Fahrerhand.

Unterm Blech treibt den Avatr 12 eine E-Maschine mit 230 kW/313 PS über die Hinterachse an. Für den Allradler kommt eine zweiten an der Vorderachse hinzu. Sie stockt zur Systemleistung von 425 kW oder 578 PS auf, die würdiger zum sportlichen Auftritt passt. Zumal damit eine Spitzengeschwindigkeit von 200 km/h möglich ist, die man zumindest kurzfristig gern einmal auskosten möchte.

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Liegt gut in der Hand Der Trend geht zum achteckigen Lenkrad mit wenigen Funktionstasten. Für Tesla-Fahrer ist das aber nichts neues.

Für die E-Motoren, Fahrsicherheitssysteme und ihre Steuerungselektronik kommt der Elektronik-Riese Huawei ins Spiel. Der sei an der Marke zwar nicht finanziell beteiligt, wie Avatr-Marketingchef Li Pencheng bestätigt, liefere aber die neuste antriebsseitige Hard- und Software. Bestromt werden beide Motoren von CTP-Lithium-Ionen-Akkus, deren Energiegehalt 94,5 kWh beträgt.

Chassis mit integrierten Batteriezellen

Die ausgelobte Reichweite von bis zu 700 km (nach chinesischer Messmethode) dürfte in der Praxis indes nicht erreicht werden. Es sei denn, man bucht die Sportlimousine mit Hilfe ihrer adaptiven Geschwindigkeitsregelung auf der Autobahn in den Windschatten eines Lkw ein. CATL liefert das Chassis mit integrierten Batterien (Cell-to-Pack) direkt ans Produktionsband. Geladen wird mit bis zu 200 kW, was einem Reichweitenpolster von 200 km in 10 Minuten entspräche.

Wie im Segment üblich, kommt die elektrische Sportlimousinen mit einem umfangreichen Strauß KI-gestützter ADAS-Funktionen. Die selbstlernenden Systeme stammen von heimischen Zulieferern. 29 Sensoren, inklusive dreier mit LiDAR Technik sowie die gesamte Elektronikplattform stammen von Huawei. Ein Hochleistungsrechner verarbeitet alle Daten, um autonomes Fahren nach Level 4 zu erlauben. CEO Tan erklärt, man blicke bereits auf 200.000 Stunden erfolgreiches Level-4-Fahren zurück.

Börsengang für 2025 geplant

Wie nahezu alle neuen Marken aus China plant auch Avatr mit einer jährlichen Fertigungskapazität von 350.000 Einheiten. Gebaut werden Avatr 11 und 12 in Chongqing. Der nächste unternehmerische Schritt führe Avatr in 2025 an die Börse, prognostiziert Li Pencheng. Nach der jüngsten Finanzierungsrunde im August beträgt der Markenwert des Unternehmens 2,6 Milliarden Euro. Er garantiert Avatr einen langen Atem fürs operative Geschäft. Ob damit auch das Markenimage auf Augenhöhe mit Audi gehoben werden kann, muss sich zeigen. Denn nur schöne Autos zu bauen wird nicht reichen, um diese auch gut zu verkaufen. Das lehrt uns die Automobilgeschichte schon mit Blick auf Aston Martin und Alfa Romeo.

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