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„Was haben VW und Co. gemacht?“ – die harte E-Auto-Schelte des Stellantis-Chefs

Angesichts drohender Strafen fordern Europas Automanager Lockerungen bei der CO₂-Regulierung. Aber nicht alle: Stellantis-Chef Carlos Tavares hält dagegen. Er spricht sich demonstrativ für die bestehenden EU-Ziele aus – und macht Konkurrenten wie Volkswagen harte Vorwürfe.

„was haben vw und co. gemacht?“ – die harte e-auto-schelte des stellantis-chefs

Carlos Tavares, CEO von Stellantis, auf der Pariser Automesse REUTERS

Auf Europas Autoindustrie kommt ein schwieriges Jahr zu. Ab 2025 gelten strengere Flottenziele für den CO₂-Ausstoß von Neuwagen in der EU. Bei Verstößen dagegen drohen den Unternehmen hohe Strafen.

Die Industrie verlangt von Brüssel nun, die Regeln zu lockern. Renault-Chef Luca de Meo, derzeit Vorsitzender des europäischen Autoherstellerverbandes Acea, bekräftigte diese Forderung auf der Automesse in Paris.

Volkswagen-Chef Oliver Blume verlangt bereits seit Monaten Änderungen der Ziele oder zumindest eine Verringerung der drohenden Strafen. Vor allem für seinen Konzern scheint der neue Durchschnittswert von 94 Gramm CO₂ pro 100 Kilometer kaum erreichbar zu sein. Analysten zufolge müsste VW dazu den Anteil von Elektroautos an seinen Verkäufen im kommenden Jahr auf 25 Prozent steigern. Derzeit liegt er bei etwa zehn Prozent.

Doch es gibt eine andere, gewichtige Gegenstimme aus der Industrie: Carlos Tavares, Chef des zweitgrößten Autobauers in Europa, Stellantis, spricht sich demonstrativ für die bestehenden Regeln aus. Sein Konzern, zu dem Marken wie Peugeot, Fiat und Opel zählen, sei bereit für die neuen Ziele, sagte er in Paris.

„Wenn andere nicht bereit sind, sollte man sie fragen, wie das kommt, obwohl sie die Vorschriften schon seit vielen Jahren kennen. Was haben sie in den vergangenen fünf Jahren getan?“, fragte Tavares mit Blick auf Konkurrenten wie Volkswagen.

Er müsse viel Kritik einstecken von Leuten, die sagten, er setze seine Mitarbeiter zu sehr unter Druck. „Aber wir haben sehr hart gearbeitet, um bereit zu sein. Und jetzt sind wir es.“

Stellantis-Marken radikal ausgedünnt

Tatsächlich hat Tavares die Produktpalette der Stellantis-Marken radikal ausgedünnt. Viele Verbrennerfahrzeuge mit hohem CO₂-Ausstoß hat der Konzern aus dem Programm genommen. So bietet Fiat in Deutschland aktuell nur noch ein Dieselmodell an, der Rest sind Hybride und E-Autos.

Ähnlich wird das Angebot auch bei den anderen Massenmarken des Konzerns bald aussehen. Peugeot zum Beispiel stellt auf der Messe in Paris ausschließlich Elektromodelle aus.

Aktuell rächt sich allerdings der radikale Sparkurs bei Stellantis und der starke Umbau des 2021 aus Fiat-Chrysler und PSA (Peugeot-Citroën) fusionierten Unternehmens. Nach zweistelligen Umsatzrenditen in den vergangenen Jahren sind die Gewinne von Stellantis in diesem Jahr massiv gefallen, Tavares musste seinen Ausblick deutlich nach unten korrigieren.

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Infografik WELT

Bis Anfang 2026 hat er höchstens noch Zeit, um die Ergebnisse wieder zu verbessern, dann läuft sein Vertrag als Vorstandschef aus. Er wird dann 68 Jahre alt.

Dass den Konkurrenten im nächsten Jahr mögliche Strafen erlassen werden könnten, passt Tavares nicht. „Die anderen sagen, sie seien noch nicht so weit und wollen die Ziele verschieben. Was für eine Art von Wettbewerb ist das?“, fragte er.

„Sind Sie sicher, dass sie beim nächsten Mal bereit sein werden, wenn man ihnen mehr Zeit gibt? Nein. Ich erwarte also von der Europäischen Union, dass sie den Wettbewerb zum Wohle des Verbrauchers weiterhin schützt.“

Veränderte Bedingungen für die Autoindustrie

Das Bundesumweltministerium und Öko-Verbände wie Transport & Environment argumentieren ähnlich. Sie erinnern daran, dass die Industrie auch vor früheren Verschärfungen der Grenzwerte Lockerungen gefordert hatte.

„Betrachtet man die Jahre vor den vergangenen Zielwertstufen, so wird ersichtlich, dass die Hersteller Ihre Erfüllungslücke erst jeweils im Zieljahr geschlossen haben und nicht vorzeitig. Die Schließung dieser Lücken im Zieljahr ist den allermeisten Herstellern jedoch weitestgehend gelungen, obwohl diese in der Vergangenheit teils größer waren als die aktuelle“, antwortete das Umweltministerium im September auf eine Anfrage von WELT AM SONNTAG.

Ob sich das so im kommenden Jahr wiederholt? „Es gibt niemanden, der die Richtung bestreitet. Wir müssen den Verkehr dekarbonisieren“, sagte Renault-Chef de Meo. Allerdings basierten die Vorgaben auf einem Beschluss von 2018 und Daten von 2016. Er verwies darauf, dass sich die Bedingungen für die Industrie in der Zwischenzeit völlig verändert haben, durch Corona, den Krieg in der Ukraine, die Inflation und fehlende Rahmenbedingungen für die Elektromobilität wie etwa günstige Strompreise oder ausreichende Ladeinfrastruktur.

„Ein paar Philosophen gaben uns das Ziel vor, ohne eine Analyse der Auswirkungen vorzunehmen und die Auswirkungen aus technischer Sicht wirklich zu verstehen. Sie haben nie mit uns gesprochen“, beklagte de Meo. „Und Sie wollen, dass wir die einzigen nützlichen Idioten sind, die eine Geldstrafe zahlen.“

Tesla und die chinesischen E-Auto-Hersteller müssen dagegen nicht bezahlen, weil E-Autos direkt kein CO₂ ausstoßen. Sie könnten den europäischen Herstellern sogar noch Ausgleichs-Zertifikate verkaufen, beklagte der Manager.

Die EU-Kommission hat sich von solchen Argumenten bisher nicht erweichen lassen. Am 7. Oktober hatten die Chefs von BMW und Mercedes-Benz mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel gesprochen, geht aus ihrem öffentlichen Kalender hervor. Eine Woche zuvor hatte sie den Aufsichtsratschef von Stellantis getroffen.

Stellantis fordert staatliche Kauf-Subventionen

Dass sich der Konzern mit rechtlichem Sitz in Amsterdam politisch gegen die Konkurrenten positioniert, hat sich schon länger abgezeichnet. Stellantis war vor zwei Jahren aus dem Herstellerverband Acea ausgetreten. Das habe er getan, weil er frei sprechen wolle, sagte Tavares. „Dies ist der Moment für die Automobilindustrie zu zeigen, dass wir keine Lobbyindustrie sind.“

Der Portugiese führt die zunehmenden Klimaereignisse auf der Welt als Argument für einen schnellen Umstieg zum E-Auto an. „Aus meiner Sicht muss ich dafür sorgen, dass meine Kinder und Enkelkinder einen Planeten haben, auf dem sie sicher leben können“, sagte er.

Die Waldbrände im Sommer in Portugal und Temperaturen von 46 Grad seien ein Problem, das man nicht ignorieren könne. „Wir wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen“, sagte Tavares.

Bezahlen soll aus seiner Sicht aber nicht allein die Autoindustrie. Er fordert staatliche Kauf-Subventionen: „Natürlich müssen die europäischen Regierungen den Kunden aus der Mittelschicht helfen, sich die Elektroautos zu leisten, denn für sie sind sie trotz unserer jetzigen Maßnahmen immer noch zu teuer.“ Zumindest in diesem Punkt ist sich die Industrie einig. Subventionen würde kein Automanager ausschlagen.

In anderen Feldern sind die Signale aus der Industrie aber widersprüchlich. Das betrifft auch den EU-Verbrennerausstieg im Jahr 2035, an dem Tavares festhalten will.

BMW-Chef Oliver Zipse dagegen fordert, diesen Beschluss zu kippen. Er plädiert schon lange für Technologieoffenheit. Trotzdem hat er BMW zum führenden Elektroautohersteller in Europa aufgebaut: Keiner der etablierten Konzerne kommt derzeit auf einen höheren Anteil an reinen E-Autos an seinem Absatz. Die CO₂-Ziele für 2025 sind deswegen für Zipse kein Problem.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.

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