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Mitfahrer gesucht: Unterwegs mit einem Longtail-Lastenrad

mitfahrer gesucht: unterwegs mit einem longtail-lastenrad

Etwas kompakter als der Ahn: Das Multitinker rollt auf 20-Zoll-Rädern und ist gegenüber dem anderen Longtail von Riese & Müller, dem Multicharger, auch deshalb um knapp zehn Zentimeter auf eine Länge von 1,89 Meter geschrumpft.

Ob dreirädriges Cargo-Bike mit der großen Kiste zwischen den Vorderrädern oder einspuriges Long John für rasantere Kurvenfahrten. Ob Schwerlastenrad mit gesteigerten Zuladungstalenten oder klassisches Bäckerfahrrad mit Korb über dem geschrumpften Vorderrad. Lastenfahrräder werden in vielerlei Gestalt gebaut, je nach Anwendungszweck und Vorlieben.

In den Fokus von Familien ist seit geraumer Zeit auch eine weitere Unterart gerückt: das Longtail-Lastenrad, auch Backpacker genannt. Sie sind so robust, dass auch schwerere Mitfahrende auf dem langen Gepäckträger Platz nehmen können.

Doch erst seit der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) im Frühjahr 2020 dürfen auch Menschen transportiert werden, die älter als sieben Jahre sind. Voraussetzung: Der Fahrer oder die Fahrerin muss mindestens 16 Jahre und das Fahrrad «zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet» sein.

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Die Batterie lässt sich nach oben entnehmen – weit praktischer als bei Akku-Öffnungen an der Unterseite des Rahmens.

Wir waren mit dem Multitinker der Firma Riese & Müller zu Testzwecken mit kleinem Sozius an Bord unterwegs.

Einsatzzweck

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Die beiden Packtaschen fassen zusammen 84 Liter. Sie verdecken aber die Fußleisten – vor allem wenn sie prall gefüllt sind.

Der Einsatzzweck: Geht es um Lastenräder, zaubern viele Hersteller den Pkw-Vergleich aus dem Hut. So auch Riese & Müller bei seinem jüngsten Backpacker-Modell: «Das Multitinker ist der ideale Autoersatz in der Stadt», so der Slogan. Zwei Kinder umher kutschieren, den Großeinkauf bewältigen, dafür sei das Modell gedacht. Das zulässige Gesamtgewicht von 200 Kilo unterstreicht diesen Anspruch.

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Der Frontgepäckträger (49,90 Euro extra) darf mit acht Kilo beladen werden. Ladung findet mittels Spanngurten halt, oder man kauft eine passende Tasche (18 Liter) dazu.

Aber kein Vorteil ohne Abstriche: Mit 36 Kilo ohne Extras wie Packtaschen oder Frontgepäckträger schert das Longtail nicht aus dem Heer der schweren Lastenräder aus. Man kann es nur unter Kraftanstrengung anheben, was den urbanen Alltagsnutzen unter Umständen einschränkt, etwa wenn es zum Schutz vor Diebstahl auch nur einen Treppenabsatz herauf in den Hausflur getragen werden muss.

Die Technik: Am Testrad wirkt passenderweise Boschs «sportlichster Motor», der Performance Line CX mit bis zu 85 Newtonmeter, zusammen mit einer stufenlosen Enviolo-Hecknabenschaltung, die eine Entfaltung von 2,19 Meter bis 8,30 Meter pro Kurbelumdrehung ermöglicht.

Damit bietet die Schaltung eine auch jenseits der elektrisch unterstützten 25 km/h taugliche Übersetzung. Da die Nabe über eine sogenannte Dauerschmierung verfügt, verspricht Enviolo über die gesamte Produktlebensdauer Wartungsfreiheit.

Fahreindruck

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Praktisch für Kleinkram: das abschließbare Handschuhfach. Allerdings füllt es den Rahmen aus, der auch an anderer Stelle keine Lücke freilässt, durch die man ein Kettenschloss legen könnte.

Um das Multitinker auch mit Lasten an Bord verlässlich zum Stehen zu bringen, sind fest zupackende hydraulische Scheibenbremsen von Magura montiert, vorn mit vier Bremskolben für mehr Biss, hinten, wo weniger Bremskraft wirkt, mit ausreichenden zwei Kolben. Dieses Bremsen-Set-up gab während der Testfahrten keinerlei Anlass zu Kritik. Ausreichend dimensioniert auch der 625-Wattstunden-Akku. Einmal vollgeladen zeigte das Display knapp 70 Kilometer Reichweite im Eco-Modus.

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Kann man verkuppeln und abnehmen: In Verbindung mit Boschs E-Bike-Flow-App lassen sich auf dem aufpreispflichtigen Kiox 300 Display (49,90 Euro) etwa Navi-Hinweise anzeigen.

Der Fahreindruck: Sicher fühlt die die Fahrt mit dem Multitinker dank tiefem Schwerpunkt immer an. Doch etwas Eingewöhnung ist gefragt, vor allem, wenn Lasten an Bord sind. Je mehr Kinder oder Gepäck hinten mitfahren, desto fremdbestimmter fühlt sich das Heck, desto unverbindlich das Lenken des dann immer nervöseren Vorderrades an.

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Sicherheitsplus: Die Schlosskette, für 49,90 Euro extra mit passender Satteltasche zu haben, kann fest mit dem serienmäßigen Abus-Rahmenschloss am Vorderrad verbunden werden.

Seine einschlägige Kompetenz mag man dem Rad trotzdem nicht absprechen: Zwei Getränkekisten oder bis zu zwei Kinder mitnehmen zu können, das löst das Autoersatz-Versprechen zumindest in den beschriebenen Größenordnungen durchaus ein. Und wendiger als Lastenräder mit großen Kisten vor dem Lenker ist das Multitinker auch.

Am Testrad ist das Safety-Bar-Kit als Zusatzausstattung montiert, eine umlaufende Rohrkonstruktion, die passgenauer Ladung Halt und dem Nachwuchs die Möglichkeit zum Festhalten gibt. Allerdings: Mehr als 50 Kilogramm dürfen hinten laut Herstellervorgabe nicht drauf. Konfiguriert man das Multitinker mit dem sogenannten Passagier-Kit, darf aber ein bis zu 65 Kilogramm schwerer Mensch mitfahren.

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Am Testrad ist das Safety-Bar-Kit montiert, eine umlaufende Rohrkonstruktion.

Material

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Höhen-und winkelverstellbar: Dank variablem Vorbau lässt sich das Bike im Zusammenspiel mit der Sitzhöhe an Körpergrößen von 1,40 bis 2,00 Meter anpassen.

Weitere Bauteile, Zubehör, Peripherie: Am Testrad ist ein Frontgepäckträger für Taschen oder Einkäufe bis acht Kilo angebracht, der sich vor allem dann als praktisch erweist, wenn die hinteren Plätze belegt sind. Ansonsten bleibt er wegen der Lademöglichkeiten am Heck oft reine Zierde und kostet ohnehin 50 Euro Aufpreis.

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Wie gängige Kompakträder fährt auch das Multitinker auf kleinen Rädern, auf denen das schwere Bike satt, aber nicht sehr laufruhig abrollt.

Anders die zwei passenden Cargo-Taschen für hinten: Die kosten sogar 100 Euro Aufpreis, fassen aber je 42 Liter. Wocheneinkauf für die Familie? Damit kein Problem. Nachteil: Man muss sich zwischen vollen Taschen und Passagieren entscheiden. Denn sind die Taschen prall gefüllt, müsste man unbequem breitbeinig auf der Sitzbank Platz nehmen. Zudem versperren die Taschen die Sideloader genannten Fußleisten.

Auf Wunsch wird das Multitinker auch zum Connected Bike. Im Konfigurator anklicken müssen Kunden dazu die Option «RX Chip» – und weitere 150 Euro lassen die Herstellerkasse klingeln. Über eine App lassen sich dann per GPS Fahrdaten aufzeichnen. Das Fahrrad kann dann auch aus der Ferne geortet werden. Und es gibt mit «RX Chip» auch eine digitale Lock-Funktion, mit der sich das Fahrrad auf dem Smartphone meldet, wenn es unerlaubt bewegt wird.

Im ersten Jahr sind diese mit dem «RX Chip» verbundenen Services ohne Aufpreis nutzbar, danach werden dafür 60 Euro jährlich fällig. Zubuchbar ist auch eine Fahrradversicherung, die etwa einen Wiederbeschaffungsservice bei Diebstahl umfasst. Nach Möglichkeit lokalisiert der Hersteller zudem das Bike und informiert die Polizei.

Preis und Leistung

Der Preis: Ab 6200 Euro ist das Multitinker Vario gelistet. Damit bewegt es sich preislich je nach Ausstattung auf dem Niveau anderer vergleichbarer Markenräder. Das Testrad kam mit nützlicher Zusatzausstattung allerdings schon auf rund 6820 Euro. Sparen kann, wer statt der Enviolo-Nabenschaltung eine Zehn-Gang-Kettenschaltung von Shimano (Deore) ordert. Die kostet 500 Euro weniger.

Das Fazit: Zu zweit oder gar zu dritt macht Radeln gleich doppelt oder dreifach Spaß. Dass man als Multitinker-Besitzer das Auto für viele alltägliche Wege stehen lassen kann, freut Geldbeutel und Umwelt.

Positiv bemerkbar machen sich auch die gute Verarbeitung und die robuste Bauweise. Minuspunkte gibt es fürs leicht zappelige Fahrverhalten und die kleinen 20-Zoll-Räder, die weder Schlaglöcher noch lockeren Untergrund verzeihen. Dafür ist das Multitinker aber wiederum auch wendiger als viele andere Lastenräder.

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