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INTERVIEW - «Da war irgendwann kein Raum mehr für mich selber, ich war wie ein Roboter», sagt Valtteri Bottas über seine Zeit bei Mercedes

interview - «da war irgendwann kein raum mehr für mich selber, ich war wie ein roboter», sagt valtteri bottas über seine zeit bei mercedes

Valtteri Bottas hat in seinem zweiten Jahr bei Sauber sein Aussehen verändert. Eleanor Hoad / Imago

Valtteri Bottas, wie oft sieht ein Formel-1-Fahrer, der an der Côte d’Azur residiert, die Sauber-Rennfabrik in Hinwil?

In der Vorbereitung auf die Saison jede Woche, ich bleibe auch gerne mal in Zürich. Und ich liebe es, eine Runde um den See zu drehen – auf dem Fahrrad. Auch wenn die Arbeitstage in der Fabrik meistens superstressig sind, schnappe ich mir in der Mittagspause das Bike und vertreibe mir mit ein paar Leuten aus dem Team die Zeit im Sattel.

Wir hätten eher erwartet, dass ein zehnfacher Grand-Prix-Sieger vom Autofahren schwärmt. Erklären Sie uns doch bitte, was Sie an zwei Rädern so fasziniert.

Alles, was ich gern tue, hat mit Bewegung zu tun. «On the move» ist eine Art Lebensmotto.

Aber ein Velo kann doch gegen einen 1000-PS-Rennwagen nur verlieren . . .

Klar, im Cockpit wirken ungeheure Kräfte, dazu diese enorme Power der Maschine hinter einem, das ist wirklich einzigartig. Aber ich schätze auch das, was auf dem Fahrrad ganz anders ist: Da musst du selber der Motor sein. Ausreden gibt es keine, es kommt allein auf die eigene Leistung an.

Was ist anstrengender – auf zwei oder vier Rädern unterwegs zu sein?

Es sind beides sehr herausfordernde Sportarten, aber es handelt sich auch um komplett unterschiedliche körperliche Anforderungen. Ich denke, das Fahrradfahren übertrifft das Rennfahren sogar darin, wie tief man in die eigene Physis und auch in die eigene Psyche eintauchen muss, um erfolgreich zu sein. Du spürst auf zwei Rädern sehr genau, wozu du als Athlet fähig bist.

Können Sie etwas vom Fahrrad mit ins Formel-1-Auto nehmen?

Das Radtraining ist definitiv eine grosse Hilfe für mich, es hält mich über die lange Saison hinweg fit und gesund. Neben den Cardio-Werten ist da aber auch der mentale Aspekt, der mindestens so wichtig ist. Radfahren bringt mich nach einem Rennwochenende schnell wieder runter, der Kopf wird frei. Wenn ich nach Hause komme, setze ich mich zuallererst aufs Fahrrad und werde zum Easy Rider.

Sie spüren im Sauber-Rennwagen kein Easy-Rider-Feeling?

Die Rennstrecke hat ja klare Begrenzungen, die Freiheit fühle ich auf dem Fahrrad. Und mit einem Gravelbike habe ich die Freiheit, praktisch überall hinzukommen. Nicht limitiert zu sein in den eigenen Möglichkeiten, das ist ein klasse Gefühl und eine wunderbare Art der Selbstbestimmung.

Spielt es dabei eine Rolle, in welcher Stimmung Sie sich befinden?

Ich komme dadurch in Stimmung. Und spüre immer mehr, wie sehr ich das Biken brauche. Es ist für mich inzwischen eine Sucht geworden.

Wie ist es dazu gekommen?

Als ich 2013 nach Monaco umgezogen bin, entdeckte ich das Rennradfahren auf der Strasse, am Meer entlang oder in die Seealpen hinauf. Zunächst war es nur Teil meines systematischen Fitnesstrainings. Dann habe ich andere Radbegeisterte getroffen, Trainingspartner gefunden. Aber richtig eingetaucht in die Disziplin Radsport bin ich erst, als ich meine Lebensgefährtin kennengelernt habe.

Das war vor drei Jahren, Tiffany Cromwell ist eine australische Profi-Radrennfahrerin und Olympia-Teilnehmerin. Fahren Sie eigentlich Rennen gegeneinander, wenn Sie zusammen unterwegs sind?

Wir versuchen das zu vermeiden, weil wir beide ziemlich ehrgeizig sind. Das ist auch besser so, wenn wir anschliessend einen entspannten Abend zu zweit verbringen wollen . . . Aber wir trainieren sehr oft gemeinsam. Für Tiffany ist es natürlich auch ihr Job, aber es ist schön, dass wir beide so mehr Zeit zusammen verbringen können.

Wie fährt Ihre Freundin eigentlich Auto?

(Spontaner Ausruf) Ziemlich gut! Ich spüre keinerlei Angst, und das will etwas heissen, denn ich tauge eigentlich nicht zum Beifahrer.

Was fasziniert Sie gerade an den Gravelbikes? Hat das etwas mit der Rally-Tradition in Finnland zu tun?

Es gibt ja gute Gründe dafür, dass gerade dieses Segment enorm wächst. Der Einstieg fällt leichter als beim Strassenfahren, langweilig wird es auch nicht, weil es so viele verschiedene Routen gibt. Und meistens ist der Verkehr weit genug weg, man sieht weniger Autos.

interview - «da war irgendwann kein raum mehr für mich selber, ich war wie ein roboter», sagt valtteri bottas über seine zeit bei mercedes

Valtteri Bottas ist auch auf der Formel-1-Strecke wie hier in Jeddah mit dem Rennrad unterwegs. Das Easy-Rider-Feeling wird dabei aber nicht aufkommen. Zak Mauger / Imago

Das klingt merkwürdig für einen Formel-1-Rennfahrer.

Warum? Ich bin eben auch ein echter Naturbursche und trage einen Teil Heimat in mir.

Im Juni richten Sie die FNLD GRVL aus, ein Gravel-Rennen auf Schotter in Ihrer Heimatstadt Lahti.

Ich bin stolz darauf, wo ich herkomme. Wir haben ungezählte Schotterrouten rund um die Seen. Ich will mit dem Rennen auch zeigen, wie schön die Natur in Finnland ist und dass wir immer nachhaltiger leben. Da passieren gute Dinge.

Wie wichtig ist der Radsport für Sie als Ablenkung? Sie haben kürzlich erzählt, dass nach Ihrem Einstieg in die Formel 1 der Druck auf Sie so gross war, dass Sie unter Essstörungen litten.

Das Biken hält mich in der Balance, ich bin viel entspannter geworden im Umgang mit dem Rennsport. Ich habe tatsächlich auf die harte Tour lernen müssen, wie wichtig es ist, dass im Leben noch andere Dinge eine Rolle spielen als nur die Formel 1. Natürlich muss man hart gegen sich selber sein, wenn man tut, was man liebt, und dabei Erfolg haben will. Aber darüber vergisst man leicht, den Kopf im richtigen Moment auch einmal auszuschalten. Ich kann jetzt auch im Moment leben, das ist ganz anders als früher, als wirklich alle Gedanken nur um die Formel 1 gekreist sind.

Wie war das?

Da war irgendwann kein Raum mehr für mich selber, ich war wie ein Roboter. Das Resultat: Die Batterien waren schnell leer. Ich musste lernen, den Druck richtig zu dosieren. Wenn er heute zu gross wird, steht da immer ein Fahrrad.

Welche Rolle spielt Ihre neue Umgebung? Nach fünf Jahren im Champions-Team von Mercedes haben Sie im letzten Jahr bei Alfa Romeo angedockt.

In Hinwil bin ich auf eine echte Mannschaft getroffen, die einfach puren Motorsport betreiben will. Es herrscht eine gute Atmosphäre und fühlt sich ganz anders an als in einem Konzern.

Was ist denn konkret anders?

Ich muss keine Zukunftsangst mehr haben. Mein Vertrag läuft über einen längeren Zeitraum, ich kann mich also wirklich auf meine Arbeit konzentrieren. Das macht einen riesigen Unterschied – in allem und für alle. Es ist einfach gesünder.

Erkennen Sie eine Seelenverwandtschaft zwischen Schweizern und Finnen?

In der Tat gibt es viele Gemeinsamkeiten – von der Pünktlichkeit über den trockenen Humor bis hin zur Liebe zur Natur.

Am Schluss zählt aber nur der Erfolg. Im letzten Jahr waren Sie Zehnter der Fahrer-Weltmeisterschaft. Was ist der nächste Schritt?

Ich bin in Hinwil auch mit dem Ziel angetreten, die Mannschaft zu motivieren, voranzubringen. Wir waren noch nicht ganz so zuverlässig wie erhofft, aber wir wurden Sechster in der Konstrukteurs-Wertung. Das war gegenüber den Vorjahren ein Sprung.

Ihr Teamkollege Zhou Guanyu ist mit 23 Jahren gut zehn Jahre jünger als Sie und fährt erst im zweiten Jahr Formel 1. Klar, dass Sie der Leader sind, oder?

Natürlich bin ich der alte Hase. Es ist ein ganz anderes Gefühl als bisher in meiner Karriere: Ich werde mehr gehört, habe ein Mitspracherecht wie noch nie. Selbstverständlich hilft mir all das, was ich bei Mercedes gelernt habe. Davon profitiert das ganze Team. Die Leute schätzen meine Erfahrung. Und ich trage gern mehr Verantwortung.

Im letzten Jahr beim Debüt in Bahrain sind Sie gleich Sechster geworden. Kann sich das wiederholen?

Das war sehr wichtig damals, mein Debüt hat bei allen die Augen leuchten lassen. Das würde ich gerne wieder sehen. Auch dafür will ich in vielen Details besser werden – bei den Starts, auf der ersten Runde, auf den Qualifikationsrunden.

Sie haben im letzten Jahr gut 5588 Rennkilometer im Auto absolviert. Welche Distanz haben Sie auf dem Fahrrad zurückgelegt?

Mehr: ganz genau 7777,7 Kilometer (die 77 ist seine Startnummer – Anmerkung der Red.).

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