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Bedrohte Arbeitsplätze in Wetzlar: Krise in der Metallindustrie

bedrohte arbeitsplätze in wetzlar: krise in der metallindustrie

Abschiedsstimmung: Dem Conti-Standort Wetzlar droht das Aus – trotz seiner Entwicklungserfolge

Vor dem Werkstor von Continental an der Philipsstraße in Wetzlar flattern rote Fahnen der IG Metall im böigen Wind. Zwei Männer halten ein mehrere Meter breites weißes Transparent. Darauf steht: „Wir können Zukunft. Darum Arbeitsplätze hier sichern.“ Genau danach sieht es aber nicht aus. Der börsennotierte Automobilzulieferer will seinen Standort in der Stadt an der Lahn schließen. Das hat das Management den Arbeitnehmervertretern mitgeteilt – und deshalb hat sich ein Großteil der rund 470 Beschäftigten zu einer Betriebsversammlung und anschließender Kundgebung getroffen. Zu den Gästen zählen außer Kollegen der Conti-Standorte Babenhausen, Frankfurt-Rödelheim und Karben auch Landtagsabgeordnete und Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD).

Sie drücken ihre Solidarität mit den Beschäftigten aus und hoffen auf eine Abkehr von den Schließungsplänen. Wagner hat dafür seinen Urlaub unterbrochen. Wagner und andere Stadtpolitiker müssen ebenso wie manche Einwohner derzeit durch ein Wechselbad der Gefühle gehen. Einerseits hat sich die vor zwei Jahrzehnten noch darbende Optikindustrie am Ort deutlich belebt. Andererseits leidet die Metallindustrie. Der österreichische Stahlkonzern Voest­alpine will Buderus Edelstahl in Wetzlar abstoßen. Diese Aussicht allein führt zu Alarm im Rathaus – auch wenn Wagner die Hoffnung hegt, dass sich ein Käufer finden und das Werk fortführen werde. „Wetzlar hat ein Herz aus Stahl“, sagt er. Und dieses Herz droht nun aus dem Rhythmus zu geraten. Gingen im Werk die Lichter aus, gliche das einem wirtschaftlichem Desaster für die Stadt. Schließlich arbeiten für Buderus Edelstahl rund 1150 Frauen und Männer. In den vergangenen 15 Jahren gab es schon fünf Sozialpläne im Unternehmen.

bedrohte arbeitsplätze in wetzlar: krise in der metallindustrie

„Wir können Zukunft. Darum Arbeitsplätze hier sichern.“: Mitarbeiter von Continental protestieren gegen die Schließung des Standorts Wetzlar.

Komplexe Bauteile

Anders sind die Vorzeichen für Optikfirmen. Die Produkte von Hensoldt und vor allem Zeiss sind gefragt. Zeiss baut den Standort für einen dreistelligen Millionenbetrag aus. Zählt die Firma derzeit rund 380 Mitarbeiter, sollen es künftig 150 mehr sein. Aber bei Buderus Edelstahl stehen im Zweifel ungleich mehr Stellen auf dem Spiel, als der Optikbetrieb neu schaffen will.

Das Unternehmen fertigt an der Lahn Lithographie-Optiken. Im Kern geht es dabei um Spiegel. Verwendet werden sie unter anderem vom niederländischen Chipmaschinenhersteller ASML, der als Technologieführer für Lithographiesysteme gilt. Die Bauteile von Zeiss sind sehr komplex, in ihnen geschieht vereinfacht gesagt Folgendes: In einem Optik-Strahlengang befinden sich verschiedene Spiegel, die einen Laserstrahl so leiten, dass er Strukturen für Chips auf den Wafer druckt, wie es heißt. Zeiss beansprucht für sich, die stabilsten und exaktesten Spiegel zu fertigen. Mit ihren Lithographie-Optiken befähigt die Firma die Chiphersteller weltweit, Mikrochips mit Nanometerpräzision herzustellen. „Denen werden die Produkte aus den Händen gerissen“, sagt Gewerkschaftssekretär Stefan Sachs.

Auch Continental in Wetzlar kann sich technologisch sehen lassen. Wie Betriebsratsvorsitzender Jörg Seidler sagt, liefert die Filiale etwa Kernkomponenten für den Aurora genannten selbstfahrenden Lastzug, der in Amerika auf bestimmten Strecken fahren darf. Und autonomes Fahren gilt nicht nur mit Blick auf Autos als zukunftsträchtig. Allerdings hält das Management den Standort für zu klein, und die Kosten sind laut Seidler nicht dort, wo sie sein könnten.

Aus Sicht der Stadt wäre ein Abschied weniger wegen der Gewerbesteuer ein herber Rückschlag – wichtiger wären der Verlust an Kaufkraft und ein Minus an Einkommensteueranteilen. Oberbürgermeister Wagner sieht aber noch einen Verlierer im Falle eines Schwunds hochwertiger Arbeitsplätze: Dann könnten weniger gewerblich ausgerichtete junge Frauen und Männer sich für ein Studium plus in Wetzlar entscheiden, wo die Technische Hochschule Mittelhessen mittlerweile einen Standort hat. Mithin hätte Wetzlar auch weniger Studenten in seinen Reihen. Nun wäre die Schließung nicht die erste Hiobsbotschaft von der Philipsstraße. Wie ihr Name schon sagt, betrieb dort einst der Philips-Konzern ein Werk. 2000 Menschen arbeiteten einmal für die Niederländer in Wetzlar. Im Laufe der Jahre wechselte der Standort mehrfach den Besitzer, was mit Stellenabbau verbunden war.

Bei genauerer Betrachtung ist Philips immer noch in Wetzlar zugegen. Wie Wagner sagt, gehört dem Konzern der Grund, auf dem – von Continental nicht benötigte – Hallen stehen. Die Stadt würde dieses Gelände gerne entwickeln. Doch habe sich der Automobilzulieferer nicht sehr interessiert gezeigt. Wagner meint, die Hallen stünden mit hohen Werten in den Büchern des Unternehmens, die sich am Markt nicht erzielen ließen. Folglich hätte Continental die Hallen abwerten müssen. Letztlich sei der Vorstoß der Stadt nicht als Chance begriffen worden, was Wagner bedauert. Schließlich gibt es Nachfrage nach Flächen – siehe Optikindustrie.

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