Finanzen

Wirtschaft

Wirtschafts-nachrichten

Autobesitzer wartet seit Monaten auf Reparatur - „Wir glauben nichts mehr“: Aus Hagelschaden wurde eine Odyssee durch ganz Bayern

autobesitzer wartet seit monaten auf reparatur - „wir glauben nichts mehr“: aus hagelschaden wurde eine odyssee durch ganz bayern

Der VW-Bus von Carl J. wurde in einem Hagelsturm demoliert – die Reparatur zieht sich. Hagel-Gutachten an Carl J.

Hagelstürme gehören zunehmend zu Deutschlands Jahreszeiten – und demolieren Hunderttausende Autos. Viele Autobesitzer sind versichert und können die Schäden richten lassen – doch kommen die Versicherer überhaupt noch hinterher? Ein Fall aus Bayern gibt zu denken.

Carl J.* wartet seit einem halben Jahr auf sein Auto. Er hat es nicht neu bestellt, sondern zur Reparatur eines schweren Hagelschadens in die Vertragswerkstatt seiner Versicherung gegeben. Schon im Frühjahr hätte er es wiederbekommen sollen. Doch statt seines Autos bekam der Bayer nur Ausflüchte zu hören.

Der Hagelschauer, der im August 2023 über den Tegernsee zog, hinterließ eine Spur der Verwüstung: eingeschlagene Dachfenster, zerborstene Gewächshäuser, gestrandete Rettungswagen und abgesoffene Porsche am Straßenrand. Und natürlich Dellen und gesprungene Scheiben an zehntausenden Autos. Allein im Landkreis Miesbach, wo der Tegernsee liegt, waren 20.000 Fahrzeuge betroffen.

Eines davon war der weiß-rote VW-Bus T6 von Carl H.. Die Bilanz nach zehn Minuten Hagel: Hunderte Dellen in Motorhaube, Karosseriekante und Dach, Blinker und Heckscheinwerfer zerschlagen, Heckscheibenwischer zertrümmert, Scheibe gerissen. So ein Schaden ist natürlich ärgerlich, aber Unwetterschäden zahlt in Deutschland die Teilkaskoversicherung, und die hat J…

Hagel-Odyssee durch ganz Bayern

Er meldet den Schaden der Allianz. Diese lässt ein Gutachten erstellen. Drei Wochen später steht der Schaden fest: 20.000 Euro Schaden bei einem Zeitwert von 35.000 Euro. Die zerstörten Teile müssen größtenteils ersetzt werden. Was einfach klingt, zumindest einfacher als das Ausbeulen, bringt dem Miesbacher nur Ärger. Es beginnt eine Odyssee durch ganz Bayern, die auch heute, ein Jahr nach dem Schaden, noch nicht beendet ist.

Nach der Begutachtung im Herbst 2023 verweist ihn die Allianz aufgrund der vertraglich vereinbarten Werkstattbindung an ihren Werkstattpartner „Know-How-Systems“, kurz KHS, mit Sitz auf Malta. Die Firma hat eine Werkstatt im Landkreis beauftragt, die Reparaturen für sie durchzuführen. Die Mitarbeiter dort bereiten J. auf eine längere Wartezeit vor: VW habe Lieferschwierigkeiten, Ersatzteile gebe es nicht. „Ich habe Verständnis dafür, dass alles etwas länger dauert, schließlich waren zehntausende Fahrzeuge in unserem Landkreis betroffen und kurz zuvor gab es auch im Nachbarlandkreis einen großen Hagelschaden“, betont J..

Im Januar geht es endlich los. H. gibt sein Auto ab und bekommt von der Allianz einen Leihwagen: einen VW Polo mit Schaltgetriebe. „Ich wusste, dass man in so einem Fall immer ein kleineres Auto bekommt, ich dachte, das ist nicht für lange“, stellt J. klar. Doch das kleinere Auto bereitet dem Ehepaar J. im Alltag Probleme, sie sind die Gangschaltung nicht gewohnt und brauchen für ihr Hobby viel Platz für den Transport ihrer Ausrüstung. Außerdem planen sie eine Urlaubsreise mit der Familie. Aber der Sommer ist ja noch eine Weile hin.

Ersatzdächer defekt

Im März meldet sich KHS erneut mit der Information, dass das Dach nicht wie geplant ausgebeult werden könne, sondern ein neues bestellt werden müsse. Einige Wochen später heißt es: Das gelieferte Dach ist da, aber kaputt, das nächste gelieferte Dach ist laut KHS ebenfalls unbrauchbar. Irgendwann ist die Werkstatt nicht mehr erreichbar, stattdessen teilt KHS mit, dass alle Schäden im Bezirk abgearbeitet seien, alle Werkstätten im Bezirk würden entsprechend aufgelöst. H. ist verunsichert: „Die meinen wohl alle Schäden, nur unseren nicht”.

Schließlich wird ein drittes Dach geliefert, das intakt ist. Doch die KHS-Werkstatt im Landkreis Miesbach habe keinen Termin mehr, um das Dach zu montieren, erfährt J. am Telefon. Sein Bus wird nach Ulm gebracht. Zu diesem Zeitpunkt hat KHS sein Fahrzeug bereits seit vier Monaten auf dem Hof.

Aber auch in Ulm passiert nichts. Auf Nachfrage bei der Hotline der KHS erhält J. unterschiedliche Auskünfte: Die Mitarbeiter der Lackiererei seien krank oder im Urlaub. Endlich, im Juli, mehr als ein halbes Jahr, nachdem das Auto bei KHS abgegeben wurde, bestätigt ein Mitarbeiter am Telefon: Das Auto werde nächste Woche Montag geliefert. J. sagt seine Termine ab, nimmt sich Urlaub und wartet. Und wartet. Einen Montag nach dem anderen. Nie sagt jemand ab, immer wieder vertrösten ihn die Mitarbeiter, und das Auto kommt nicht.

„Das ist doch eine Hinhaltetaktik“

„Man glaubt gar nichts mehr, das ist eine Hinhaltetaktik“, klagt Carl J. Er hat seinen Urlaub storniert und zweifelt schon, ob er sein Auto wiederbekommt. Deshalb wendet er sich an FOCUS online: „Dass es bei den vielen Schäden nicht so schnell geht, war klar, aber wie wir von Woche zu Woche vertröstet wurden, hat mich schon stutzig gemacht.“

Im Nachhinein gibt ihm das ganze Prozedere zu denken: Ein Übergabeprotokoll hat er von der Werkstatt nicht erhalten, alle Informationen gab es nur telefonisch, als er per Mail oder wenigstens per WhatsApp nachfragte, wurde er vertröstet. „Zum Glück habe ich wenigstens noch den Fahrzeugbrief”, sagt J.

Er wendet sich mehrmals an seinen Allianzvertreter, der wiederum seine Kollegen in der Bereichsleitung anschreibt, die wiederum das Hagel-Orga-Team der Allianz benachrichtigen. Das wiederum gibt den Fall an KHS weiter, die fast zwei Wochen braucht, um zu antworten. Es sei nach der Reparatur im Karosseriebau zu einem Austritt von Silikon gekommen, schreibt der KHS-Schadensachbearbeiter an den Allianz-Ansprechpartner. Dadurch habe das Fahrzeug zerlegt, wieder zusammengesetzt und neu lackiert werden müssen, was zu einer erheblichen Verzögerung geführt habe. Diese Information schickt er jedoch erst auf Nachfrage des Allianz Sachbearbeiters an den Allianzvertreter am Tegernsee. Der nächste Liefertermin wird von KHS auf die erste Augustwoche festgelegt.

Endlich kommt Bewegung in die Sache

Doch der Wagen kommt nicht. Erst auf Anfrage von FOCUS online tut sich etwas. Die Allianz teilt mit: Die Werkstatt habe Betriebsferien und öffne erst wieder Anfang September. KHS verweist alle Presseanfragen an die Allianz.

Die Allianz räumt in dem Statement zudem ein: „Generell entspricht dieser Schadenverlauf natürlich nicht unser Anspruch an eine Schadenregulierung, welchen wir als Kaskoversicherer für unsere Kunden haben. Für die Verzögerung der Reparatur des Fahrzeuges unseres Kunden entschuldigen wir uns ausdrücklich.“ Insgesamt 60.000 Hagelschäden habe sie im vergangenen Jahr bearbeitet.

Man werde sobald wie möglich mit der Werkstatt in Kontakt treten: „Entweder kann die Reparatur unverzüglich beendet werden oder wir lassen das Fahrzeug auf unsere Kosten in eine Werkstatt nach Wunsch des Kunden transportieren, um weitere Verzögerungen zu verhindern.“ Eine Antwort auf die Frage, wie lang eine Reparatur nach einem Hagelschaden normalerweise dauert, blieb die Allianz allerdings schuldig.

Dafür schreibt sie, sie sei in Kontakt mit dem Kunden und habe ihm angeboten, ihm einen geeigneten Mietwagen bis zum Ende der Reparatur sowie für seine Urlaubsreise zur Verfügung zu stellen. Damit ist die Allianz zwar zu spät, trotzdem freut sich J. über das größere Auto: „Das macht immerhin den Alltag wieder einfacher.“ Die Frage ist allerdings, wann er sein Auto wieder sieht. Bisher hat er nichts weiter dazu gehört.

 

*Name geändert, der richtige Name ist der Redaktion bekannt

TOP STORIES

Top List in the World