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Absatzkrisen und Pleiten: Ist der Fahrrad-Boom wirklich am Ende?

„Die Fahrradbranche im Krisenmodus“: Eine Roland-Berger-Studie stellt ein dickes Fragezeichen hinter den Fahrrad-Boom. Absätze brechen ein, Fahrradhersteller gehen pleite. Nur ein Geschäftsfeld verspricht Wachstum.

Absatzkrisen und Pleiten: Ist der Fahrrad-Boom wirklich am Ende?

Es ist kaum zu glauben. Die Fahrradwege sind vielerorts längst zu eng geworden, und egal, ob es herbstelt, regnet oder die Sonne scheint – immer mehr Menschen sind mit Rädern unterwegs. Radfahren ist ein entscheidender Puzzleteil im Rahmen einer Verkehrswende in urbanen Bereichen. Und trotzdem soll der Fahrrad-Boom vorerst am Ende sein – das schlussfolgert die bekannte Beratungsfirma Roland Berger in einer jüngst veröffentlichten Studie: „Übervolle Lager, steigende Kosten und ein historisch schlechtes Konsumklima: Es gibt nur wenige Wirtschaftszweige, die in jüngster Zeit einen solch massiven Abschwung verzeichneten wie die Fahrradbranche.“

Gewinneinbußen, Verluste statt Fahrrad-Boom: So leiden die Marken

Und weiter: „Die hohen Bestände und der damit verbundene Bestellrückgang des Handels führten bei einigen Fahrradherstellern zu Absatzrückgängen von mehr als 30 Prozent und entsprechend hohen Gewinneinbußen. Giant, einer der größten Fahrradhersteller der Welt, musste 2023 sogar einen Gewinneinbruch von 45 Prozent hinnehmen. Die Pierer Mobility Group, ein großer europäischer Hersteller, erwartet für 2024 einen Verlust von 110 Millionen Euro im Fahrradgeschäft. Einige Unternehmen sind bereits 2023 in die Krise geraten, andere wie VanMoof, Cycle Union oder der Onlinehändler fahrrad.de haben Insolvenz angemeldet. So kommt der Fahrradriese Accell-Group mit Marken wie Haibike, Ghost und Winora seit Monaten nicht aus den Negativschlagzeilen. Der Schweizer Fahrradhersteller Scott brauchte zur Fortführung des Unternehmens eine Kapitalspritze von 160 Millionen US-Dollar seitens des koreanischen Mutterkonzerns.“

Überproduktion und volle Lager bremsen Fahrrad-Boom

Was ist da geschehen? In den Corona-Jahren feierte man Verkaufsrekorde, die Preise erreichten Grenzwerte eines Klein- oder Gebrauchtwagens. Private-Equity-Firmen mischten sich ins Geschäft, Fahrradhersteller erlebten atemberaubende Finanzierungsrunden und scheffelten Geld für die Zukunft. Alles schien zu rollen. Auf Elektro-Mountainbikes gab es monatelange Wartezeiten.

Viele große und kleine Hersteller und Zulieferer prophezeiten ein grenzenloses Wachstum und stürzten in eine Überproduktion und volle Lager. Ein Geschäftsführer der von Roland Berger befragten Firma erklärte sogar: „Wir haben derzeit praktisch keinen Materialeinkauf mehr. Aufgrund des Überschwangs 2021/22 haben wir auch wegen der langen Bestellvorlaufzeiten viel zu viel bestellt. Wir müssen kleine Ergänzungen für das eine oder andere Neuheitenmodell beschaffen, aber wir können circa 85 Prozent unseres Materialbedarfs für die nächsten 15 Monate aus dem Teilelager bestreiten. Nur damit halten wir uns liquiditätsmäßig über Wasser.“

Autokonzerne nützen Fahrrad-Boom und werden zur Konkurrenz

Aber nicht nur Fahrradfirmen setzten auf den Fahrradboom. Plötzlich bekam man Konkurrenz aus der Autobranche. Konzerne wie Porsche wagen mit eigenen Projekten den Sprung ins Radgeschäft, samt Beteiligungen, eigenem E-Motor und einer Verbindung zum kroatischen Elektro-Guru Mate Rimac. In der Branche verursachte diese Kombination ein riesiges Aufsehen, weil sie Erfolg verspricht.

Nicht nur, weil die Porsche-Räder schon in den Vorjahren Erfolge gefeiert hatten. Firmen wie Storck entwickelten für Porsche Räder und schafften Renditen von 20 Prozent – wovon viele Autohersteller nur träumen können. Selbst Ducati baute Mountainbikes jenseits der 11.000 Euro-Marke.

Leasing als der neue Fahrrad-Boom

Volkswagen setzte sich im Radgeschäft ein klares Ziel: 2030, so hieß es offiziell, wolle man die Nummer eins im Fahrradleasing werden. Eine Million Fahrräder sollten 2030 ins Leasinggeschäft rollen, prophezeite man 2023 bei der IAA Mobility in München. VW bildete eine eigene Allianz mit einem der größten Fahrradhersteller der Welt, mit dem man auch den Kauf des Autovermieters Europcar abgewickelt hatte: Mit dem niederländischen Partner Pon und dessen Fahrrad-Mehrmarkenreich will man die Märkte in den USA und Europa erobern. Mit unterschiedlichen Rädern und Konzepten und darauf vertrauend, dass auch immer mehr Firmen im urbanen Bereich auf Leasingräder umschwenken. Gerade die hohen Preise bei den E-Bikes sollten das Leasing-Geschäft beschleunigen.

Wie es derzeit ausschaut ist der Leasing-Markt aufgrund der hohen E-Bike-Preise der einzige echte Hoffnungsmarkt und die Autofirmen entwickeln sich zu starken Konkurrenten einer oft kapitalschwachen Fahrradindustrie, für die ein massiver Gegenwind herrscht.

Hohe Rabatte für Kunden

Bei Roland Berger analysiert man trocken, dass nicht einmal die Leitmesse Eurobike Schwung ins Geschäft brachte. „Wichtige Marktplayer gehen davon aus, dass der Absatz und Umsatz 2025 nochmals unter dem Vorjahr liegt und sich die Probleme der Fahrrad- und Komponentenhersteller weiter verschärfen könnten.“

Die Folgen: Hohe Rabatte, was wiederum die Kunden freuen dürfte. Mit einer Erholung wird erst 2026 gerechnet. Und die Fahrradhersteller suchen immer öfter den Weg direkt zum Kunden und bremsen so den Fahrradhandel aus.

Die Studie, die gemeinsam mit dem Göttinger Pressedienst Fahrrad erstellt wurde, zieht den „übergeordneten Trend zur CO2-freien Mobilität in Europas Städten“ trotzdem nicht in Zweifel. Das Fahrrad bleibe „ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende“. Der Wille zur Verkehrswende sei zu groß, als dass man ihn brechen könnte. Aber die Branche müsse sich ändern, mehr auf Markenbildung achten und die Sortimente verkleinern und nachschärfen.

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