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Nachhaltigkeit in Zürich: Die Königinnen von der Limmat

nachhaltigkeit in zürich: die königinnen von der limmat

Es gibt wohl keine Stadt in Europa, die so hart an ihren Klimazielen arbeitet wie Zürich. Bürgermeisterin Corine Mauch und Stadtentwicklerin Anna Schindler wollen mit der Stadtregierung das Leben dort noch lebenswerter machen.

Von Andreas Haslauer

Wenn man die Sätze so liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass bald ein neuer Katastrophen-Film in die Kinos kommt: Fürchterliche Stürme und gewaltige Gewitter könnten die gesamte Bevölkerung und die gesamte Infrastruktur im Sommer gefährden, heißt es da.

Im Winter besteht die Gefahr, dass der Regen Überschwemmungen und Erdrutsche verursacht. Sorgen bereitet aber auch die eingewanderte Ameise „Lasius neglectus“. Sie kann Pflanzen und Bäume zum Aussterben bringen. Befallene Häuser können an Wert verlieren, weil die Ameisenart sich im Isolationsmaterial einnistet und dieses dadurch beschädigt. So könnten Tausende aus Öffnungen krabbeln und die Hausbewohner befallen. Es klingt schrecklich.

Szenario der Nachhaltigkeitsexperten

Das Katastrophen-Szenario stammt nicht aus der Feder von Hollywood-Regisseur Roland Emmerich. Das Szenario stammt aus der Feder der Nachhaltigkeits-Experten der Stadt Zürich. Und weil bei ihnen die Alarmglocken schrillen, unternehmen sie alles, damit Zürich eine Kultur- und Wirtschaftsmetropole bleibt. Bis 2040 soll die Stadt das Netto-Null Ziel erreichen, also klimaneutral sein. Das ist notwendig, schließlich macht der Klimawandel auch vor der Stadt an der Limmat nicht halt. Seit 1864, so Bürgermeisterin Corine Mauch, die dort Stadtpräsidentin heißt, sei es in Zürich um zwei Grad wärmer geworden. Die Zeit drängt.

Aus diesem Grund investiert die Stadt jedes Jahr hunderte von Millionen Franken in Effizienzmaßnahmen in Gebäude, in Ladestationen, in erneuerbare Energien. „Damit steigt die Lebensqualität“, sagt Anna Schindler, die Direktorin der Stadtentwicklung zu electrified. Mit einem Bündel an Maßnahmen will die dreifache Mutter und der Stadtrat die Luft sauberer, die Stadt leiser und grüner machen. Konkret heißt das: Sie reduzieren die Wärmebelastung, bauen die Artenvielfalt aus, reduzieren den Lärm und verbessern die Wasserqualität. Und wie machen die Stadt und Schindler das? Mit nachhaltigem Wohnraum, mit einem umweltfreundlichen Verkehr und gesunden Lebensmitteln. Klingt logisch.

Zürich im GSD derzeit auf Platz zwölf

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Nachhaltig durch Zürich – natürlich mit dem Rad. Foto: Stefan Schütz

Sehr logisch sogar. Noch liegt laut dem GDS-Index (Global Sustainable Index), also dem Nachhaltigkeits-Index, Göteborg auf Platz eins, gefolgt von Oslo und Kopenhagen. Schindler will den Platz 12 von Zürich nicht akzeptieren. Es gibt keine Stadt auf dieser Welt, die mehr Initiativen und Maßnahmen in Sachen Umweltschutz ins Leben gerufen hat als Zürich. Für viele Experten ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis Zürich an Stockholm und Helsinki vorbeizieht, dann ganz oben auf dem Treppchen stehen wird. „Wir machen unsere Hausaufgaben“, so die Ansage von Anna Schindler.

Um das aber alles zu überprüfen, fahren wir, Fotograf Stefan Schütz und electrified-Autor Andreas Haslauer, mit einem Genesis GV60 von München nach Zürich. Besser hätten wir unser E-Auto nicht aussuchen können. Hier treffen sich wirklich Luxus und Komfort. Das 4,51 Meter lange Mittelklasse-SUV sieht mit seiner dunkelblauen Lackierung sehr elegant aus. Vorn fallen zunächst die optisch ansprechenden LED-Doppelscheinwerfer auf, hinten sind die Rückleuchten ebenfalls zweireihig gestaltet. Von der Seite stechen die kurzen Überhänge positiv ins Auge. Das durchlaufende Chromband entlang der Dachlinie endet an der C-Säule mit einem V. Das sieht alles wirklich richtig schick aus. Und die Performance? Von 0 auf 100 beschleunigt der GV60 in gerade einmal 5,5 Sekunden und wer möchte, der kann bis zu 200 km/h schnell fahren.

Mit Boostbutton mehr Leistung

Für das Klientel, das besonders viel Wert auf Sportlichkeit legt, hat Genesis seinem Stromer einen Boost Modus mit auf den Weg gegeben. Drückt man den grünen Button am Lenkrad, stehen für zehn Sekunden 20 Kilowatt mehr Leistung zur Verfügung. Das merken wir, als wir über den Fernpass flitzen. Der GV60 liegt gefühlt wie eine Formel 1-Bolide in der Kurve. Wir? Sind! Hin! Und! Weg! In Zürich angekommen ist das Auto ein echter Hingucker – trotz der ganzen Luxuskarossen in der „teuersten Stadt der Welt“ (Statistisches Bundesamt) um uns herum. Daher ist es kein Wunder, dass die Menschen vor dem Genesis-Store in der berühmten Bahnhofstraße Schlange stehen. Beispiel gefällig? Beim GV60 spannt sich die markante Motorhaube über die ikonischen Quad-Leuchten. Der Kühlergrill, so Genesis-Chef Mike Song, wurde noch breiter und niedriger gestaltet, um die Batterie zu kühlen und die aerodynamische Effizienz zu verbessern. Macht Sinn. Und schaut toll aus.

Wir sind aber zum Checken da und schauen uns zunächst einmal den öffentlichen Nahverkehr der Stadt Zürich an. Und wir können es kaum glauben. Bis 2030, so der Plan, sollen alle stinkigen Diesel-Busse der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) gegen „weitgehend emissionsfreie Busse“ ausgetauscht werden. 80 Prozent des aktuellen Fahrgastaufkommens werden dabei heute schon mit erneuerbarem Strom bewältigt. Eine Quote, die seinesgleichen in Europa sucht. Nicht anders sieht es bei den Müllautos aus. Bereits im April 2020 kam das erste E-Auto zum Einsatz. Bis 2032 sollen alle 69 Flottenfahrzeuge (8 Personenwagen, 17 Lieferwagen, 44 Lastwagen) durch Fahrzeuge mit Elektroantrieb rigoros gewechselt werden. Gut genug zu tun werden sie haben, schließlich müssen die mehr als 4.000 Abfallbehälter fast jeden Tag geleert werden.

Ein Stern für Nachhaltigkeit

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Vilson Krasnic ist Küchenchef im Elmira. Foto: Stefan Schütz

Weggeschmissen wird auch bei Vilson Krasnic nichts, dem Chefkoch des Elmira-Restaurants. Die Schalen von Karotten oder Kartoffeln landen nicht im Müll, sondern im Gemüsejus. „Die Männer von der Müllabfuhr wundern sich immer, dass in unserer Biotonne fast nix drin ist“, sagt Krasnic, der Mann, der für das Elmira nach nur einem Jahr den renommierten Michelin-Stern sowie den grünen Michelin-Stern für nachhaltige Gastronomie erkochte. Ansonsten ist alles brutal regional.

Ebenso verantwortlich gehen die Gründer des Elmira mit ihren Mitarbeitern um. Statt sieben Tage zu knüppeln, haben sie die Viertagewoche ausgerufen. Krasnic und seine Kollegen werden auch am Gewinn beteiligt. Empfehlung: der „verkohlte Lauch“.

Nicht anders ist es bei den Gründern Zineb Hattab und Alessandro Scaccia des Kle. Das vegane Restaurant verbraucht rund 80 Prozent weniger Treibhaus als ein Gasthaus, das Zürcher Geschnetzeltes anbietet. Die einzige Ausnahme, die Alessandro macht, sind Produkte, die mit dem Schiff kommen. Ansonsten werden nur die Produkte verwendet, die hier wachsen und gedeihen. „Wenn es keine Himbeeren gibt, dann gibt es eben keine Himbeeren“, so Scaccia. Welches der sechs Gerichte, die wir dort essen, das Beste ist, lässt sich nicht sagen. Alles schmeckt wie im Gault Millau-Himmel! Schmackofatz!

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Alessandro Scaccia ist Küchenchef des Kle. Foto: Stefan Schütz

Auch Ansonsten hat man den Eindruck, dass jeder Zürcher und jede Zürcherin unbedingt mitmachen möchte, dass ihre Stadt die Nummer eins wird. „Wir wollen, dass Hochleistung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen“, erklärt Caspar Coppetti, Chef der Sportartikelfirma „On“. Die Kantine? Das erste vegane Mitarbeiterrestaurant auf diesem Planeten. Ein anderes Beispiel? Das schicke Placid-Hotel. Es steht für ehrliches, zeitloses Design. Und für nachhaltige Baumaterialien und nachhaltiges Interior.

Elektrisch über den See

Wirklich alles wird in der Stadt umgekrempelt. So auch bei Andreas Ingold. Als der Ex-Musikmanager 2019 den Bootsverleih Enge übernahm, ließ er keinen Stein auf dem anderen. Mittlerweile hat er die alten Motorboote mit Verbrenner-Außenbordmotoren ausrangiert, elf neue Elektroboote eingeführt. Selbst vor den Tretbooten macht er nicht halt. Ingold hat schon einen neuen Prototypen mit E-Pedalo, also elektronischer Tretunterstützung, am Start. Empfehlung hier: Das Sauna-Boot im Winter. Drinnen einheizen, draußen abkühlen. Im See.

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Andreas Ingold unterwegs mit einem seiner E-Boote. Foto: Stefan Schütz

Ohnehin ist die Elektromobilität in der Stadt hip. Denn: Mehr als in Zürich werden in keinem der anderen 25 Kantone E-Autos verkauft. Deshalb wollen der Stadtrat und die Stadtverwaltung so schnell wie möglich komplett von fossilen Treibstoffen wegkommen, um ihre ehrgeizigen Treibhausgas-Ziele zu erreichen. Die Zeitungen sind hin und weg. Vollen Lobes schrieb die „NZZ“, dass Schindler wie keine andere Frau über „das Zürich von morgen nachdenkt“. Und deswegen stampfen sie und die Stadt eine Ladesäule nach der anderen aus dem Boden. „Von Allem das Beste“, verspricht Genesis-Capitano Song. Was er damit meint? Beim GV60 seien die Strom-Eingänge mit 400 und 800 Volt nahezu an allen Ladestationen kompatibel. Song: „Sie können sowohl schnelle als auch ultraschnelle Ladeoptionen nutzen.“ Er hat Recht. Nach wenigen Minuten ist unser Genesis schon wieder voll. Danach haben wir volle 470 Kilometer Reichweite. Echte Reichweite.

Weniger Wasserverbrauch bei Fleischproduktion

Auch die FoodTech-Firma Planted hat die Umweltbilanz vor Augen, weswegen sie die Art und Weise, wie wir Fleisch konsumieren, verändern möchten. Ihr pflanzliches Fleisch wie „Hühnchen“ und „Pulled Pork“, also das „gerupfte Schweinefleisch“, bestehen aus pflanzlichen Proteinquellen. Macht Sinn! Ein Beispiel: Die Produktion des „Steaks“, das aus dem Kemptthal bei Zürich kommt, verbraucht 81 Prozent weniger Wasser als ein Rind. Unter dem Strich, so rechnet Gründer Lukas Böni vor, fallen 97 Prozent weniger CO2 als bei einem Chateaubriand an. Bisher, so Böni, hätte er mehr als 3,1 Millionen Hühner, knapp 20.000 Schweine und mehr als 300 Rinder vor dem Fleischer gerettet. Chapeau! „Mittlerweile ist unser „Fleisch“ in Europa an mehr als 10.000 Einzelhandelsstellen sowie in über 6.500 Restaurants zu finden“, heißt es bei Planted.

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Der Genesis GV60 ist optisch ein Hingucker. Foto: Stefan Schütz

Geht es so weiter, werden die Stadtentwickler schon bald neu texten müssen. Statt mit Horror-Szenarien mit wütenden Stürmen und gefährlichen Horror-Insekten, könnte es ein schöner Walt Disney-Film werden. Die Chancen stehen gut, ist doch das Research-Center des US-Filmriesen in Zürich. So hat Markus Gross, der Direktor von Disney Schweiz, den drei Feen im Fantasy-Streifen „Maleficent“ durch seine Technologie reale Gesichter gegeben. Zwei Feen stehen heute schon fest: Anna, die Stadtentwicklerin. Und Corine, die Bürgermeisterin. Eine dritte wird sicher für den Märchenfilm wohl noch zu finden sein. Wie der Film heißen soll? Den „König der Löwen“ gibt es schon. Die Königinnen von der Limmat? Also der Fluss in Zürich. Gross wird sicher einen guten Titel wählen. Was auf jeden Fall heute schon feststeht, ist, dass wenn man die Sätze so liest, man den Eindruck gewinnen kann, dass bald ein ganz schöner Animationsfilm in die Kinos kommt…

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