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Batteriestandort Deutschland: Droht die De-Industrialisierung?

Die Schlüsseltechnologie für Autos sind Akkus. In Deutschland wie in Europa exisitiert jedoch bislang keine funktionierende Produktion, die die Zellen in großer Stückzahl und hoher Qualität liefern kann. Dieses Versäumnis holt die deutschen Autobauer nun ein. Und das mit fatalen Konsequenzen.

batteriestandort deutschland: droht die de-industrialisierung?

(erschienen bei VISION mobility von Redaktion (allg.))

Die Pläne waren ehrgeizig. Deutschland sollte zum Batterieland werden und in Kaiserslautern ein Produktionszentrum für die Energiespeicher entstehen.

„Mercedes-Benz beteiligt sich an ACC und baut europäischen Batterie-Champion mit globalen Ambitionen auf“, ließ der schwäbische Autobauer vor gut drei Jahren verlauten.

Weltweiter Big Player, darunter macht man es in Stuttgart-Untertürkheim ohnehin nicht. Deswegen stieg man beim Stellantis-Projekt Automotive Cells Company (ACC) ein. Doch nun folgt die Ernüchterung. Aus der geplanten Gigafabrik wird nichts – zumindest vorerst.

Die Fehleinschätzung der deutschen Autoindustrie: Akkus sind keine Commodity von der Stange

Mercedes hat bei seinen europäischen Batterieproduktions-Projekten nicht immer ein glückliches Händchen. Vor neun Jahren begruben die Schwaben sang- und klanglos das als Vorzeige-Batteriefabrik geplante Werk im sächsischen Kamenz. In der Retrospektive eine verpasste Chance. Damals sah Daimler beziehungsweise Mercedes genauso wie andere deutsche Automobilhersteller Akkus als eine „Commodity“, eine Stangenware, die man leicht beziehen kann.

Doch das hat sich als krasse Fehleinschätzung erwiesen. In Zeiten drohenden Protektionismus‘ und Handelskonflikten ist einem ausländischen Batterieproduzenten das heimische Hemd näher als die europäische Hose.

Auch bei BMW hat man bei zwei wichtigen Projekten der Batterieproduktion den Stecker gezogen. Zum einen haben die Münchner einen Großauftrag beim skandinavischen Produzenten Northvolt storniert, weil man offenbar das Vertrauen in die technologische Zuverlässigkeit beim Hochlauf der Serienproduktion verloren hat.

Das sagt auch BMW zwischen den Zeilen:

„Northvolt und die BMW Group haben gemeinsam beschlossen, die Aktivitäten von Northvolt auf das Ziel zu konzentrieren, Batteriezellen der nächsten Generation zu entwickeln. Die BMW Group ist weiterhin stark daran interessiert, dass sich ein leistungsstarker Hersteller von zirkulären und nachhaltigen Batteriezellen in Europa etabliert.“

Nix Northvolt: BMW kauft seine Zellen lieber doch erstmal bei CATL und Co.

Ein sinnvolles Anliegen. Doch das liegt in der Zukunft und von konkreten Plänen ist in der Aussage keine Rede. Was aus der BMW-Sicht nur konsequent ist. Letztendlich handelt es sich bei den Skandinaviern immer noch um ein Start-up und bei einer derart wichtigen Modellreihe wie der Neuen Klasse, kann man sich keine Experimente leisten. Die Serienfertigung von Batteriezellen in hoher Qualität ist eine große Herausforderung.

Bei der Neuen Klasse gehen die Münchner ohnehin keine Kompromisse ein. Deswegen ist offenbar auch die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Zellproduzenten SVolt und der Bau einer Fabrik im Saarland gestoppt. Hier sollen Lieferverzögerungen der Asiaten der Grund sein.

Deswegen setzt man bei den Batteriezellen, die im gerade entstehenden Werk nahe Dingolfing zu Hochvoltspeichern montiert werden, auf „alte Bekannte“ – die chinesischen Produzenten CATL und EVE. Für Dr. Philipp Seidel, von der Unternehmensberatung Arthur D. Little ein fatales Zeichen.

„Mit der aktuellen Zögerlichkeit bei EV und dem verhaltenen Aufbau der Batterieindustrie hier versetzen wir aus meiner Sicht der europäischen Autoindustrie und damit allen Zulieferern und Dienstleistern, die daran hängen, den finalen Todesstoß“, stellt der Experte fest.

Die Frage ist, ob die deutschen Autobauer überhaupt willens und in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen, um den technologischen Rückstand gegenüber China aufzuholen. Schließlich haben die Produzenten aus dem Reich der Mitte bei der Perfektionierung der Zellfertigung viel Lehrgeld bezahlt und profitieren jetzt davon. In Europa wächst der Kostendruck. Das stößt bei Philipp Seidel auf Unverständnis.

„Die deutsche Perspektive ist zu klein, wir müssen das europäisch sehen und denken. Das sehen wir an den Wertschöpfungsketten und der geografischen Verteilung der Autoindustrie mit ihren Zulieferern und auch im Falle der Batterien. Auch die Volumina sind nur europäisch groß genug.“

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Die Kräfteverhältnisse haben sich gedreht

Die Versäumnisse der Vergangenheit holen die deutschen Autobauer jetzt ein. Zu lange meinte man, aus einer Position der Stärke heraus zu agieren und mit den Batterielieferanten so umgehen zu können, wie man es in der jahrelangen Zusammenarbeit mit den hiesigen Zulieferern gewohnt war. Dieses Verhältnis war überspitzt formuliert von dem Grundsatz geprägt: Wer zahlt, schafft an.

Doch in der Welt der Elektromobilität funktionieren diese Mechanismen nicht mehr. Nicht umsonst ist mit BYD ein chinesischer Autobauer auf dem Vormarsch, dessen Expertise ursprünglich bei den Batterien lag.

„Die europäische Batterieindustrie ist in einer Art Zwickmühle: Man müsste jetzt mit hohem Kapitalaufwand von allen Seiten zielstrebig und schnell Kapazitäten und Fähigkeiten aufbauen und in die Umsetzung kommen, bevor die Technologien veralten. Leider fehlt es dafür an Planungssicherheit“, stellt Philipp Seidel fest.

Keine guten Aussichten für den Automobilstandort Deutschland. Philipp Seidel zeichnet ein düsteres Szenario, falls man jetzt nicht umgehend auf das Technologiegas drückt:

„Wir müssen uns ins Deutschland und Europa klar werden: Batterien sind neben Halbleitern eine Technologie, von der unser Wohlstand und unsere Industrie maßgeblich abhängig sind und sein werden. Entscheiden wir uns dagegen, diese Themen mit der nötigen Energie zu fördern und durchzusetzen, ist das de facto eine De-Industrialisierungsentscheidung und gefährdet langfristig unseren Wohlstand und unsere Sicherheit.“

Was bedeutet das?

Hoffentlich hat sich die Automobilbranche in Deutschland hier nicht grundlegend verzockt: Denn Akkus und noch mehr die Zellen sind Kernprodukt künftiger Mobilität. Und ausgerechnet die kann und will man auf keinen Fall selbst herstellen. BYD beweist gerade, dass es geht: Denn ursprünglich kommt man aus der Akku- und Zellfertigung und baut jetzt eben auch ganze Autos – die als Gesamtsystem gesehen werden.

Den Stand der Akkuproduktion recherchierte für uns: Wolfgang Gomoll; press-inform

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