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Opel Kadett A von 1963: Astra-Vorfahre im Test von heute

Wären unsere Ansprüche heute nicht derart überdreht, sondern so bescheiden wie damals, könnten wir uns noch immer wie im Wirtschaftswunder fühlen – und der Lebensweg erschiene uns wie eine breite Erfolgsspur, die bis zum Horizont reicht. Etwa wie die, auf welcher der Opel Kadett A fährt, der uns zu seinem 60. als "Alter im Test" beehrt – und das Beste der guten alten Zeit lehrt.

opel kadett a von 1963: astra-vorfahre im test von heute

© Hans-Dieter Seufert
Wer A sagt muss auch mal wieder den entsprechenden Opel Kadett fahren. Nur fahren? Ach was: testen! Zum 60. Geburtstag. Testredakteur Sebastian Renz (Seb) und sein Kollege Otto Rupp übernehmen das.

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„Seb, der Kadett und seine Heimat, da wird mir ganz grönemeyerig: ‚Er hat sein helles Licht bei der Nacht.‘“ – „Ja, Otto: ‚Schon ang’zünd’t.‘“ – „‚Das gibt ein’n Schein‘, Seb.“ – „Jaha, Otto: ‚Und damit so fahren wir bei der Nacht.‘“ – „Ach, wie das passt, Seb: ‚Tief im Westen.‘“ – „Ja, Otto: ‚Wo die Sonne verstaubt.‘“ – „Ach: ‚Bochum, ich komm’ aus dir“.

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Die ersten zwei Mal endet die Landebahn, bevor der Kadett 100 km/h erreicht hat. Beim dritten Mal – gelangt der Opel in 33,7 s auf pfeilschnelle 100 km/h.

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204 kg lasten auf dem rechten Vorderrad, 187 auf dem linken. 191 kg sind es hinten links und 170 hinten rechts. Macht 752 kg Gesamtgewicht – samt den 25 kg, welche die 33 Liter Benzin wiegen.

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Derweil gibt es viel zu kurbeln am dürren Steuer der indirekten Lenkung. Bis es den Vorderrädern endlich zu wild wird, …

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… dann lassen sie den Grip abreißen und den Kadett in ein fast episches Untersteuern schubbern. Die Hinterachse lässt sich von dergleichen wie auch allem anderen nicht erschüttern, hält ihre Spur und den ganzen kleinen Wagen stabil.

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Vierzylinder-Reihenmotor, vorn längs, dreifach gelagerte Kurbelwelle, eine untenliegende Nockenwelle (Kettenantrieb), zwei Ventile pro Zylinder über Stößel, Stößelstangen, Kipphebel mit mechanischem Spielausgleich betätigt, ohne Abgasreinigung.

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Fahrwerk: Einzelradaufhängung vorn mit Doppelquerlenkern, Weitspalt-Halbfedern, Stoßdämpfern, Starrachse hinten mit Blattfedern, Stoßdämpfern, Zahnstangenlenkung ohne Servounterstützung, Lenkübersetzung 16,1 : 1, 3,5 Lenkradumdrehungen, Trommelbremsen vorn (200 mm) und hinten (200 mm),Rädergröße 5,5 J x 12, Reifengröße 5.50-12, Camac BC 110.

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„Hier unten ist es, Seb!“– „Endlich haben wir es gefunden, Otto. Ist aber auch versteckt!“ – „Wobei, Seb: Wir hätten nicht erst im luftigen Motorraum …

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… und im glitzerblauen Interieur samt Spazierstock-Schalthebel, …

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… Radio und …

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… Breitbandtacho gucken sollen, als wir herausfinden wollten, wo der Kadett seinen kleinen Handling-Schatz aufbewahrt“.

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Damals: Belüftungsfeinregulierung durch vier Ausstellfenster.

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„Seb, fehlt nur noch die Ladekantenhöhe.“ – „Nur noch? … Übernimmst du das mit den Pylonen?“ – „Seb!“ – „Otto, es geht um Sicherheit.“ …

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… Wir sind auto motor und sport, Otto, da wird nichts, nur noch‘ gemessen. …

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… „Seb, meinst du, es ist nötig und wirksam, wenn wir versuchen, mit drei Pylonen den Flughafen samt Luftraum abzusperren, weil wir auf dem Parkplatz die Ladekantenhöhe messen?“ – „Stimmt, Otto, wir brauchen noch Helme!“

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Die Bremsen so schwach, der Grip so dürftig, die Lenkung so träge, das Untersteuern so immens. Doch wird es nie gefährlich, auch nicht auf der Heimfahrt.

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Wer A sagt muss auch mal wieder den entsprechenden Opel Kadett fahren. Nur fahren? Ach was: testen! Zum 60. Geburtstag. Testredakteur Sebastian Renz (Seb) und sein Kollege Otto Rupp übernehmen das.

Es zählt zu den nicht mal kleinen Tragödien des Lebens, dass du erst dann erkennen kannst, wie wenig dir genügt, wenn du schon zu viel hast. Ja womöglich gar erst, wenn dieses Zuviel zu solch einem Viel zuviel angewachsen ist, das sich anfühlt wie ein gieriger Apparat, den du am Laufen halten musst, mit Zeit und Geld. Dann erinnerst du dich an ein Früher und wie leicht es sich da anfühlte, nur zu haben, was du wirklich brauchtest, um doch dauerhaft wunschlos glücklich zu sein. Ein Gefühl, das du nun selten, kurz und dazu zum falschen Teil nur noch erlangst – denn eigentlich bist du im Überfluss doch nur wunschlos.

Um das heraus- und zu sich zurückzufinden, kraxeln die einen samt Biwak in die majestätische Einsamkeit der Berge, sperren sich die anderen in die karge Enthaltsamkeit einer Klosterzelle. Und wir? Wir traben runter in die Tiefgarage, lange bevor sich der neue Tag aus den Schatten der Nacht gewagt hat. Flackerndes Neonlicht wirft die Silhouette eines Autos an die Wand. Es steht auf dürren Rädchen, kann die Fläche der Parkbucht nur zu einem guten Drittel belegen. Doch wie er da so steht, der A-Kadett, mit Chrom an Stoßstangenhörnern und am hochgereckten Grill, ist er ein stolzer kleiner Wagen.

Nebel ist rückwärts: Leben

Den metallenen Entriegelungsknopf gedrückt, Tür auf, hineingestiegen, Tür zu, Kupplung treten, Schlüssel rein, drehen. Dann leiert der Anlasser los, von spannungsarmen sechs Volt nur elektrisiert. Doch mit einem Daumenbreit Choke gelingt es ihm, das Quartett der Zylinder in einen Vierertakt zu rempeln, der schon zu einem wuseligen Rhythmus gefunden hat, bevor der Kadett die beiden Kurven hochgefahren und durch das Rolltor gewitscht ist. Raus in die Nacht, durch die Stadt, tief in das Finster der Bundesstraße 14. Wie jetzt, B 14 statt A 6? Ja, heute feiern wir das Messen des Alten im Test nicht in Hockenheim, sondern in den Weiten des remstälerigen Jottwede. Dort weicht die Nacht nur langsam und nicht mal dem Tag, sondern waberndem Nebel. Wie stolz es sich allein schon anfühlt, durch die Schleier im funzeligen Schummerschein der Sechs-Volt-Lämpchen das Ziel zu finden. Denn oben auf dem Berg liegt ein Flugplatz.

Ab und an werden kleine Flugzeuge dort nach kurzem Anlauf in die Wolken hüpfen. Doch nun streift der schale Lichtkegel des Kadett an den Toren des verlassenen Hangars vorbei zum Platz vor dem Tower. Da stehen sie schon, Otto und Hans-Dieter. Und sapperlot, Hans-Dieter hat eine Tüte mit warmen Brezeln mitgebracht, dabei ist doch weit und breit kein Laden, nicht mal ein geschlossener. Aber du könntest dich mit Hans-Dieter morgens um sechs auch ein kleines Stück südlich von Tamanrasset verabreden, und er hätte unterwegs eine Remstäler Landbäckerei aufgetan. Otto dagegen hat die Waage dabei, eisenschwer, mit Rampe zum Drauffahren. Wir wuchten sie aus seinem Auto und überlegen, ob das Trumm nicht schwerer wiegt als das, was es wiegen soll, den Kadett A.

Wobei der genau genommen schon der B ist, schließlich baut Opel schon von Ende 1936 bis Mai 1940 einen Kadett. Den präsentiert Heinrich Nordhoff dem zum Staunen bereiten Publikum. Was ein schöner Schwenk der Geschichte ist, wird es Nordhoff später als VW-Chef doch in Verzwickungen bringen, dass er nicht zeitig einen angemessen modernen Käfer-Nachfolger in Auftrag gibt – einen Volkswagen, der es mit einem Rivalen wie dem Kadett A aufnehmen kann.

Man muss es nur stollen

GM schubst die Entwicklung des Kadett mal geschwind mit einer Milliarde Mark an, mit der freundlichen Bitte, diese Summe möge für die Konstruktion des Wagens wie auch für die Errichtung eines Werkes ausreichen, produktiv genug für 1.000 Autos am Tag. Dafür stampfen sie in Bochum eine komplette Fabrik aus dem von Bergwerksstollen untertunnelten Boden. Ein überaus US-amerikanisch immenser, risikomutiger Aufwand also für eine solch bescheidene und einfache Konstruktion.

Wobei sich deren Genie gerade in der Einfachheit zeigt. Wie etwa beim Zentralgelenk, das gleichzeitig Teil der weitverzweigten Motoraufhängung ist, dazu einziges Kardangelenk sowie Aufhängungspunkt der starren Hinterachse. Wegen des Gelenks ist die Kardanwelle zweigeteilt, was ihre Neigung zu Vibrationen und Schwingungen mindert. Zudem rotiert sie in einem Stützrohr, das starr mit dem Motor-Getriebe-Block verbunden ist. (Erinnern Sie sich noch an “Die Montagsmaler”? Mit Sigi Harreis. Ewig schade, dass so was nicht mehr im Fernsehen läuft, da hätten Sie mit “Zentralgelenk” ein ganzes Rateteam ins Unglück skizzieren können. Oder mit “Weitspaltfedern”, dazu gleich.)

Dieses Konstrukt erhöht – aber das ahnten Sie ja – die ungefederten Massen, weswegen es eines besonders exakt geführten und straffen Fahrwerks bedarf – auch an der Vorderachse mit doppelten Querlenkern und schwimmend gelagerten, querliegenden Weitspalt-Halbblattfedern. Bei denen liegen die drei Federblätter nicht direkt aufeinander, sondern Gummiblöcke halten sie auf Abstand. Das verringert die Reibung und verbessert das Ansprechen. Zudem funktioniert das Querblattfederpaket als Stabilisator. (So als Tipp für die kommenden Adventskaffeetreffen mit der Gegenverwandtschaft: Wäre die Frage “Wie stehst du eigentlich zur Weitspaltfeder?” nicht eine schöne und dazu ganz unverfängliche Möglichkeit, mit Ihrer mürrischen Schwiegermutter mal wieder ins heitere Plaudern zu kommen?)

Munter kommen sie alle

Die Konstruktion spart Teile, Kosten und Gewicht. Mit vollem Tank wiegt der Kadett nur 752 kg. Dabei möbliert er sich drinnen in schmucker Bestbürgerlichkeit. Das Zweier-/Dreiersofa im Fond wie die Knautschsessel vorn zieren Kunstleder-/Stoffbezüge, deren glitzerdurchwirkt-changierendem Muster man auch auf den wallenden Röcken eines Sissi-Kostüms eine große Karriere zugetraut hätte.

Vier Erwachsene beherbergt der Kadett ungedrängt und ablenkungsfrei. Außer dem Rausschauen, der Belüftungsfeinregulierung durch vier Ausstellfenster und der Nutzung des einst hoch angesehenen Aschenbechers verspricht Mitreisenden einzig der farbvariierende Breitbandtacho etwas Aufregung. Wobei es die Anzeige bei zarter Regung belässt.

Ja, wenn wir nach der Geräuschmessung eines festhalten können, so ist es – neben der mitunter aufspringenden Beifahrertür – die Erkenntnis, dass der 40-PS-Opel schneller klingt, als er fährt. Womit es nun Zeit für die Beschleunigung wäre.

Mehr als von Kraft oder Eile wird sie bestimmt von der emsigen Munterkeit des Einliter-Motörchens, des kleinen Rabauken. Der sitzt tief und etwas verloren im weiten Maschinenraum. Da hat er sich so übersichtlich-wohlsortiert eingerichtet, dass man nur zur Feier der eigenen Technikbegabtheit zum kleinen Kopfdichtungswechsel zwischendurch schreiten möchte. Nun aber geraten Stößelstangen und Kipphebel in Aufruhr, tourt sich der Vierzylinder doch auf Drehzahl, um aufs Kupplungsschnappen mit voller Wucht, tja, anzurollen.

40 PS und 7,2 mkg (oh, Meterkilogramm, wie ingeniös das klingt, macht jedenfalls 70,6 Nm) vermögen selbst den schütteren Grip der Zwölf-Zoll-Räder nicht in Wallung zu versetzen. Drinnen lässt nur die steigende Klangfülle darauf schließen, worauf die Tempoveränderung gründet. Dass die Welt etwas zügiger nun an den Fenstern vorbeizieht, liegt doch nicht daran, dass sie beschlossen hat, sich schneller zu drehen. Es liegt am Kadett, der mild an Tempo und womöglich auch gar an Geschwindigkeit zu gewinnen scheint.

Die ersten zwei Mal endet die Landebahn, bevor der Kadett 100 km/h erreicht hat. Beim dritten Mal – vielleicht hat der Wind gedreht oder jemand die Strecke verlängert, beides wäre gleichermaßen möglich in der Zeit, die es dauert, bis wir zurück zum Startpunkt gefahren und erneut gestartet sind – gelangt der Opel in 33,7 s auf pfeilschnelle 100 km/h.

Welche Rasanz das Tempo bedeutet, beweist der Opel, als es gilt, dem wieder Einhalt zu gebieten. Unter Mitwirkung der vier Trommelbremsen – jede mit eigenen Vorstellungen, in welche Richtung es den Wagen beim Verzögern zu stabilisieren gilt – nimmt die Geschwindigkeit beim beherzten, lang anhaltenden Druck auf das Bremspedal mit der Zeit ab.

Doch nutzen wir den Schwung und rollen rüber zur Reihe der Pylonen, die sich zum Slalom aufgestellt haben. Um den Zauber des Kadett zu erahnen, muss man mal gesehen haben, wie mühsam sich ein SUV durch die Hütchengasse zwängt. Dann biegt der Zweitürer ums Eck, nicht mal einsfünfzig breit. Da er so schmal ist, kann er engere Bögen um die elf Pylonen fahren, die jeweils 18 Meter auseinanderstehen. Wuchtbrummige Autos müssen weitere Bögen fahren, so geht ihnen ab einem bestimmten Tempo der Platz aus. Dem Kadett fehlt es da eher am Tempo, um von Hütchen zu Hütchen zu eilen. Um die schwingt sich der straff abgestimmte Opel also gemächlich, doch neutral. Derweil gibt es viel zu kurbeln am dürren Steuer der indirekten Lenkung. Bis es den Vorderrädern endlich zu wild wird, dann lassen sie den Grip abreißen und den Kadett in ein fast episches Untersteuern schubbern. Die Hinterachse lässt sich von dergleichen wie auch allem anderen nicht erschüttern, hält ihre Spur und den ganzen kleinen Wagen stabil.

Es gibt ein Zurück

Die Bremsen so schwach, der Grip so dürftig, die Lenkung so träge, das Untersteuern so immens. Doch wird es nie gefährlich, auch nicht auf der Heimfahrt. Denn während sich andere in neuen Autos die Hügel hinunterstürzen, dass die Bremsscheiben glühen, steigt der Kadett die Berge bedächtig herab. Auf der Landstraße fegen andere am zierlichen Opel vorbei – er braucht nur die halbe Spur, das scheinen viele als Aufforderung zum ansatzlosen Überholen zu verstehen. Auch über die Schnellstraße tourt er ohne Eile. Da die anderen so gehetzt fahren, brauchen sie vehementere Bremsen, falls hinter der Kurve plötzlich ein Hindernis liegt. Im langsamen Kadett dagegen liegt es nicht plötzlich da, sondern räkelt sich so weithin sichtbar, dass die milde Kraft der Bremsen lange reicht.

Auch seine Leistung genügt in einer Vollkommenheit, die man sich aber klarmachen muss. Ist ja nicht so, dass da im Kadett jemand noch immer auf dem Rückweg ist von seiner großen Sommerreise 1966. Es sind immer alle irgendwo an- und später wieder heimgekommen, vielfachst sogar. Und jedes Mal glücklich vor Stolz und reich an Erlebtem.

Vielleicht musst du mal eine Runde in diesem 60 Jahre alten Wagen fahren, um das Gute dieses Früher zu verstehen: In der Bescheidenheit hatten wir nur wenig, aber es bedeutete uns etwas. Im Überfluss des Heute bedeutet uns nur wenig etwas.

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