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Mit dem A-Traktor auf der Überholspur: das Kultfahrzeug der schwedischen Landjugend wird zum Problem

mit dem a-traktor auf der überholspur: das kultfahrzeug der schwedischen landjugend wird zum problem

Eine schwedische Besonderheit: der A-Traktor oder «Epa». Es sind Autos mit abgeriegelter Höchstgeschwindigkeit und gewissen anderen vorgeschriebenen technischen Abänderungen, die man bereits ab fünfzehn Jahren mit einem Mofa-Ausweis fahren darf. ; Per-Anders Pettersson / Getty

Wenn der Familien-Volvo in die Jahre gekommen ist und eine Neuanschaffung ansteht, heisst das in Schweden noch lange nicht, dass dem alten Auto der Weg zum Gebrauchtwagenhändler oder auf den Schrottplatz blüht. Im Gegenteil: Alte Autos werden weitergegeben an die junge Generation – auch wenn diese noch gar nicht volljährig ist und noch kein Auto lenken darf.

Aus einem alten Wagen kann mit ein paar technischen Eingriffen ein sogenannter A-Traktor gemacht werden: Die Höchstgeschwindigkeit wird mechanisch oder elektronisch bei 30 Kilometern pro Stunde abgeriegelt, und die Nutzung der Hinterbank und des Kofferraums muss durch Änderungen an der Kabine oder im Interieur verunmöglicht werden. Erlaubt ist nur noch ein Beifahrersitz vorne. Nach dem Umbau muss das Fahrzeug durch eine autorisierte Kontrollstelle abgenommen und durch eine spezielle Tafel am Heck als A-Traktor kenntlich gemacht werden. Und schon darf man mit einem Moped-Ausweis ans Steuer.

Mobilität für die Landjugend

Die A-Traktoren sind vor allem in Landgemeinden sehr populär. Aus gutem Grund: Jenseits der urbanisierten Räume, in denen die grosse Mehrheit der Bevölkerung lebt, ist Schweden weit und leer. Das Angebot des öffentlichen Verkehrs ist dünn, der Bus fährt nur zweimal pro Tag.

Eigene Räder werden für Teenager zur Notwendigkeit, wenn es um schulische Mobilität und das Sozialleben geht. Ein A-Traktor ist dabei nicht nur wetterfester als ein Fahrrad oder Moped, sondern vor allem auch ein Vorzeigeobjekt und Statussymbol. Für die schwedische Landjugend ist er zum Kultgefährt schlechthin geworden.

Woher aber hat er seinen seltsamen Namen? Dieser stammt aus einer Zeit Mitte des 20. Jahrhunderts, in der es in Schweden den Bauern oft an Geld für landwirtschaftliche Zugfahrzeuge fehlte. Da erlaubte ihnen der Staat, ausgediente Personenwagen zu Arbeitstraktoren umzubauen. Ursprünglich hiessen sie EPA-Traktoren oder Epas, in Anlehnung an die populären EPA-Billigwarenhäuser. Diese gab es damals in Schweden ebenso wie in der Schweiz oder Deutschland.

Als die Gesellschaft allmählich wohlhabender wurde, wollte der Staat die Praxis des Umbaus von Autos zu landwirtschaftlichen Fahrzeugen indes unterbinden. Aber da war es schon zu spät: Die nunmehr mit A-Traktoren betitelten Fahrzeuge waren zu populär geworden. Die Regelung wurde beibehalten.

mit dem a-traktor auf der überholspur: das kultfahrzeug der schwedischen landjugend wird zum problem

Auch einst teure Boliden können zum A-Traktor werden: ein BMW und ein Hummer, aufgenommen in der Provinzstadt Boras. ; Per-Anders Pettersson / Getty

Unlängst wurden im Zuge der technischen Entwicklung die Möglichkeiten für den Umbau angepasst und damit teilweise gelockert. Das löste einen regelrechten Boom aus: Verzeichnete die schwedische Verkehrsbehörde 2020 noch knapp 31 000 registrierte A-Traktoren, sind es jetzt bereits 51 000. Während die nationale Ikone Volvo 57 Prozent des Markts beherrscht, führen auch hoch exklusive Modelle ein zweites Leben als A-Traktor. So sind im Register 209 Land Rover, 103 Porsches und sogar vier Hummer verzeichnet.

Die Polizei allerdings wäre froh, wäre der Staat streng geblieben, als es um die Abschaffung der A-Traktoren ging – oder wenigstens nicht grosszügiger geworden. Denn so gross ihre Beliebtheit sein mag: Inzwischen häufen sich die Berichte, dass sie zu einem Problem geworden sind. Diesen Herbst allein kam es laut dem schwedischen Fernsehen während nur weniger Wochen zu vier tödlichen Unfällen mit solchen Fahrzeugen. Früher war es etwa einer pro Jahr gewesen.

Oft ist bei schweren Unfällen eine Geschwindigkeit im Spiel, die von Gesetzes wegen nie erreicht werden sollte. Die Polizei berichtete von A-Traktoren, die mit bis zu 180 Kilometern pro Stunde über die Landstrasse rasten. Mit Lenkern, die keine reguläre Fahrschule absolviert haben. Und oft mit unerlaubt vielen Passagieren an Bord.

«Frisieren ist einfach»

Tatsächlich sind viele der Fahrzeuge frisiert. Anders als bei den mechanischen Abriegelungen von früher seien bei den Autos von heute die Möglichkeiten des Schummelns deutlich vielfältiger, sagte ein Mitarbeiter der Motorfahrzeugkontrolle im Fernsehen. Wer elektrotechnisches Wissen mitbringe und vielleicht auch noch ein bisschen programmieren könne, könne eine elektronische Geschwindigkeitsabriegelung so manipulieren und verkabeln, dass sie deaktivierbar sei. Eine entsprechende Verbindung verdeckt anzubringen und die Bedienung in einem unverdächtigen Schalter zu verstecken, etwa dem für die Sitzheizung, sei überhaupt kein Problem und sei bei einer Kontrolle nur schwer zu entdecken.

Die steigende Zahl von Unfällen mit A-Traktoren – im vergangenen Jahr waren es laut einer Fachpublikation rund 300 gewesen – hat die Behörden aufgeschreckt. Es wird über Massnahmen diskutiert, die helfen sollen, das Problem in den Griff zu bekommen. So sollen für A-Traktoren Sicherheitsgurte und Winterreifen zwingend vorgeschrieben werden. Ebenso wird erwogen, die Anforderungen an die Fahrerausbildung zu erhöhen. Immerhin könne ein A-Traktor bis zu zwei Tonnen Gewicht auf die Waage bringen und stelle damit ein ganz anderes Kaliber dar als ein Moped, lautet eines der Argumente.

mit dem a-traktor auf der überholspur: das kultfahrzeug der schwedischen landjugend wird zum problem

Treffpunkt Tankstelle: A-Traktoren sind ein wesentlicher Bestandteil der Jugendkultur in Schweden, vor allem auf dem Land. ; Per-Anders Pettersson / Getty

Die Polizei kritisiert auch, dass die Gesetzgebung Löcher habe, gerade was den A-Traktor als Fahrzeugtyp betreffe. Tatsächlich waren die Regeln ja einst für landwirtschaftliche Fahrzeuge formuliert worden, während die A-Traktoren heute eine spezielle Ausformung der Jugendkultur darstellen und ihrem ursprünglichen Zweck damit entfremdet wurden. «Es ist eine Fahrzeugkategorie, die es heute gar nicht geben sollte, meinen wir», sagte ein Polizist im schwedischen Fernsehen.

Auch Brüssel will mitreden

Das meint im Übrigen auch Brüssel: Die Regeln für das Führen eines A-Traktors widersprächen der EU-Führerscheinrichtlinie, heisst es dort. Als Finnland 2018 ebenfalls eine ähnliche Fahrzeugklasse einführen wollte, wurde dies von der EU unterbunden. Schweden wurde vergangenes Jahr aufgefordert, zu begründen, weshalb A-Traktoren regulatorisch den Moped-Autos gleichgestellt sein sollten (Moped-Autos sind vierrädrige, zweisitzige Leichtfahrzeuge, die mit einem Moped-Ausweis gefahren werden dürfen).

Das schwedische Infrastrukturministerium hat diese Begründung eingereicht und dabei die Bedeutung des A-Traktors für die Mobilität in ländlichen Gebieten hervorgehoben. Dringt Schweden damit in Brüssel nicht durch, könnte dies laut einer Fachpublikation das Ende des A-Traktors bedeuten.

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