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China: Wem die EU-Zölle wirklich schaden

Hohe Importzölle auf chinesische Elektroautos sollen die Wettbewerbsbedingungen für die europäische Industrie verbessern. Doch das könnte nach hinten losgehen.

china: wem die eu-zölle wirklich schaden

Mit Zöllen auf chinesische E-Autos will die EU-Kommission die heimische Industrie schützen.

Nicht einmal Carlos Tavares wollte sie zuletzt noch. Schutzzölle auf chinesische E-Autos seien eine “gewaltige Falle” für die Länder, die sie verhängten, sagte der Stellantis-Chef Mitte Mai auf einer Branchenkonferenz. Mit den Marken Opel, Peugeot und Citroën zählt der Konzern zu den größten europäischen Autoherstellern. “Wir haben keine andere Wahl, als zu kämpfen und uns dem Wettbewerb zu stellen”, sagte Tavares. Es war erstaunlich, dass Tavares so klar Position bezog, obwohl Stellantis weder in China E-Autos baut noch dort sonderlich viele Autos verkauft.

Sein Appell ist verhallt, ebenso wie der anderer Autobosse. Ab Juli werden Strafzölle von bis zu 48 Prozent auf in China hergestellte E-Autos fällig. Die EU-Kommission will ein Zeichen setzen gegen die hohen Subventionen der chinesischen Regierung für ihre Industriebetriebe, die mit ihren Billigimporten den Wettbewerb verzerrten. Die günstigen E-Autos aus China könnten heimische Wertschöpfung und Industriearbeitsplätze vernichten, so ihre Befürchtung.

Das Kuriose daran ist: Die Branche hat die Politik gar nicht um Hilfe gebeten. Im Gegenteil: Die deutschen Hersteller, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist, haben sogar davor gewarnt. Sie fürchten Vergeltungsmaßnahmen der Chinesen. Selbst für Opel-Mutter Stellantis, für die der chinesische Markt nicht so bedeutend ist wie für die deutschen Autohersteller, passen die Schutzzölle inzwischen nicht mehr zur Konzernstrategie.

Stellantis kooperiert neuerdings mit dem chinesischen Unternehmen Leapmotor und will die günstigen E-Autos auf dem europäischen Markt vertreiben. Dann würden die EU-Zölle auch Stellantis treffen. Es entsteht der Eindruck, der EU gehe es am Ende vor allem um Geopolitik, und die Autoindustrie ist als Mittel gerade recht, um ein Zeichen im Systemwettbewerb Westen gegen China zu setzen.

Auch deutsche Hersteller betroffen

Die EU-Kommission interessiert sich nicht dafür, welche Marke ein Fahrzeug hat oder wem ein Unternehmen gehört. Sie verlangte von den Firmen, ihre Bücher zu öffnen, um zu sehen, ob ihre Autoproduktion über eine Gebühr vom chinesischen Staat unterstützt wird – ob also ein unfairer Wettbewerbsvorteil vorliegt.

Die Schwierigkeit für die europäischen Unternehmen ist, dass sie in China lange überhaupt nur produzieren durften, wenn sie sich mit einem chinesischen Unternehmen zusammentaten. Inzwischen sind die Regeln lockerer. Aber weil lokales Wissen und Kontakte wichtig sind, setzen die Hersteller weiter auf Joint Ventures. So wie BMW, das ein Gemeinschaftsunternehmen mit Great Wall Motors gegründet hat, in dem es seit einigen Monaten den elektrischen Mini Cooper für den europäischen Markt baut. Der Mini Cooper ist eines der günstigeren elektrischen Modelle aus dem BMW-Konzern – und eines, das sich mit am besten verkauft.

Die Zölle treffen nun auch den Hersteller aus München. Ein Aufschlag von 38,1 Prozent wird wohl auf die in China produzierten Mini Cooper fällig – zusätzlich zu den zehn Prozent Zöllen, die ohnehin für Einfuhren aus China bezahlt werden müssen.

Die Höhe der Zölle richtet sich danach, wie sehr ein Unternehmen nach Ansicht der EU-Kommission subventioniert wird. Wenn ein Hersteller jedoch nicht ausreichend kooperiert hat, werden grundsätzlich 38,1 Prozent fällig. Da deutsche Konzerne oft für verschiedene Autos mit verschiedenen chinesischen Firmen zusammenarbeiten, kann der Zoll für Autos desselben Konzerns unterschiedlich hoch ausfallen. BMW fehlte beim Mini offenbar schlicht die Zeit, der EU alle verlangten Informationen zur Verfügung zu stellen, weil das Partnerunternehmen mit den Chinesen erst vor Kurzem gegründet wurde.

Das SUV iX3, das BMW in Kooperation mit einem anderen chinesischen Unternehmen baut, wird derweil mit 21,6 Prozent zusätzlich verzollt. Entsprechend verärgert zeigt sich BMW-Chef Oliver Zipse. “Diese Entscheidung für zusätzliche Importzölle ist der falsche Weg. Die EU-Kommission schadet damit europäischen Unternehmen und europäischen Interessen”, sagte er.

Ähnlich geht es Mercedes und Volkswagen, die in China mit Geely beziehungsweise SAIC kooperieren. Wie hoch der Smart aus dem Hause Mercedes verzollt wird, war zunächst noch unklar. Die Volkswagen-Marke Cupra wiederum muss wohl 38,1 beziehungsweise 48,1 Prozent Zoll für das Modell Tavascan zahlen, das ab Herbst erhältlich sein soll. Auch die Produktion zweier weiterer Cupra-Elektroautos war für die kommenden Jahre in China geplant.

Bisher werden allerdings gar nicht so viele E-Autos originär chinesischer Unternehmen nach Europa verschifft. Gut 131.000 Stück waren es im vergangenen Jahr. Tatsächlich importierten europäische Hersteller mehr eigene E-Autos aus China: knapp 177.000, wie eine Auswertung des Beratungsunternehmens Dataforce für ZEIT ONLINE zeigt. Bei mehr als 10,5 Millionen Autos, die 2023 in der EU zugelassen wurden, waren also gerade einmal drei Prozent in China gebaute E-Autos.

Und dafür beginnt die EU nun einen Handelskonflikt? Es geht ihr offenbar um die Zukunft. Ab 2035 dürfen Neuwagen in der EU kein CO₂ mehr ausstoßen. Daher dürften die E-Autoverkäufe in den nächsten Jahren deutlich anziehen. Der Preiskampf um diese Marktanteile hat bereits begonnen – und hier sieht die EU-Kommission die chinesischen Konkurrenten übervorteilt.

Zölle machen E-Autos noch teurer

Offen ist, wie die europäischen Hersteller reagieren werden. Im Sinne der EU-Kommission wäre es, dass die europäischen Firmen ihre Produktion zurück nach Europa verlagern und chinesische hier ebenfalls Werke hochziehen. Doch das würde Jahre dauern.

Bis dahin ist die erste Konsequenz aus der Entscheidung, dass einige E-Autos für europäische Käuferinnen und Käufer teurer werden. “Es ist für alle eine Katastrophe – für die Verbraucher wie für die Industrie”, sagt Frank Schwope, Autoexperte der Fachhochschule des Mittelstands Hannover. Tesla, das bisher am meisten E-Autos von China nach Europa verschifft, warnte seine Kundinnen und Kunden bereits, aufgrund der Zölle die Preise ab Juli voraussichtlich erhöhen zu müssen. Ob um die vollen 21 Prozent, die dann für Tesla fällig werden, teilte das Unternehmen nicht mit.

Benjamin Kibies, Analyst beim Beratungsunternehmen Dataforce, hält größere Preisaufschläge für unwahrscheinlich. “Sonst werden die Autos hierzulande unverkäuflich”, sagt Kibies. “Aber die Maßnahme nimmt den Wettbewerbs- und Innovationsdruck aus dem Markt.” Das sei fatal für die E-Mobilität, da die meisten Autos noch immer zu teuer für den Massenmarkt seien. “Daher wird auch der Klimaschutz unter diesen Zöllen leiden”, sagt Kibies.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet damit, dass die Elektroautoimporte aus China um 25 Prozent zurückgehen könnten. Das entspreche einem Wert von rund vier Milliarden US-Dollar. Im Gegenzug würden wohl mehr europäische Autos gekauft – aber wie viele?

China arbeitet an Reaktion

Die Autohersteller sorgen sich jedoch vor allem vor den indirekten Folgen dieser Handelspolitik. “Durch diese Maßnahme wächst das Risiko eines globalen Handelskonfliktes weiter an”, sagt Hildegard Müller, Chefin des Verbands der deutschen Autoindustrie. “Der potenzielle Schaden, der von den jetzt angekündigten Maßnahmen ausgehen könnte, ist womöglich höher als der mögliche Nutzen für die europäische – und insbesondere die deutsche – Automobilindustrie.”

China hat bereits angekündigt, die Zölle mit Gegenmaßnahmen zu beantworten. Wie das aussehen könnte, hat die Brüsseler Vertretung der chinesischen Handelskammer zuletzt anklingen lassen: So könnten die Zölle auf große Autos steigen, von derzeit zehn Prozent auf 25 Prozent.

Das beträfe jene Modelle deutscher Hersteller, die gänzlich in Europa produziert werden – und das sind einige: Der 4er und der 7er von BMW etwa, die S-Klasse von Mercedes, alle Modelle von Porsche, aber auch Audi plant in diesem Jahr etwa 60.000 Wagen nach China einzuführen. Die Frage ist, ob und wie diese Zollerhöhung an die Kunden weitergegeben werden können – oder ob sie den Gewinn schmälert.

“Wenn es hart auf hart kommt, rechne ich mit bis zu zehn Prozent Absatzeinbruch für die deutschen Autohersteller in China”, sagt Schwope. Dabei sind gerade die deutschen Hersteller extrem auf China angewiesen. Volkswagen, BMW und Daimler verkauften dort im vergangenen Jahr mehr Autos als in Europa, wie Zahlen von Dataforce zeigen.

Viele Ökonomen verteidigen dennoch die Zölle. “China spielt beim Handel schon seit Jahren kein faires Spiel”, sagt Jürgen Matthes, Chinaexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft. “Es geht darum, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die EU darf die chinesische Subventionspolitik nicht tatenlos hinnehmen, sonst gefährdet sie das Überleben vieler eigentlich profitabler Firmen hierzulande”, sagt Matthes. Und verweist darauf, dass die große Mehrheit der deutschen Firmen das ähnlich sehe: Über 80 Prozent der 900 befragten deutschen Firmen hielten Strafzölle auf chinesische E-Autos für mindestens teilweise gerechtfertigt. Viele spürten bereits die Folgen, müssten etwa Jobs in Europa abbauen.

China hat im Mai seinerseits eine Antidumpinguntersuchung gestartet, die Thermoplastik in den Blick nimmt, das etwa in der Autoindustrie benötigt wird. Bei der Autoindustrie dürften es die Chinesen aber nicht belassen. Seit Januar werden auch französische Spirituosen überprüft. Und der Präsident von Frankreichs größtem Bauernverband FNSEA sagte mit Blick aufs Schweinefleisch: “Wir sind besorgt.”

Gregor Sebastian, Analyst bei der auf China spezialisierten Rhodium Group, rechnet damit, dass China jetzt verstärkt einzelnen EU-Ländern drohen dürfte, um die Zölle noch abzuwenden. Die Zeichen stehen somit auf Handelsstreit.

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