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Bosa-Alghero-Runde - Motorradtour im Nordwesten Sardiniens

Grandiose Strecken, große Geheimnisse, pralle Panoramen: An Sardiniens westlicher Flanke ist man weg vom Rummel und erlebt doch Einmaliges. Glauben Sie mir!

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Bosa-Alghero-Runde – Motorradtour im Nordwesten Sardiniens

Die türkisen Wellen gurgeln leise in den dunklen Kiesstrand hinein. Wieder und immer wieder. Ich kann nicht mehr schlafen und schlurfe über den Campingplatz von Michele Richtung Dusche. Auf dem Weg kommt er mir vom benachbarten Sandstrand entgegen, unrasiert und eine frische Dorade in der Hand. “Mein Mittagessen. Habe ich gerade gefangen.” Ich nicke ihm noch etwas schläfrig zu. Aber er ist schon voll auf Sendung und deutet amüsiert auf die Wellen. “Praktisch, so ein Meeres-Supermarkt ­direkt vor der Tür. Was macht ihr heute?” “Mal nach Bosa und Alghero fahren.” “Über die Berge oder über die Küsten­straße?” “Was ist besser?”, will ich wissen. “Fahrt hin über die Berge und zurück am Meer entlang.”

Ich sehe rot. An der einzigen Ampel weit und breit. Die Altstadtbrücke von Bosa ist einfach zu schmal für Gegenverkehr. In drei weiten Bögen überspannt sie den gemächlich vor sich hin fließenden Tempo. Der Fluss hat es nicht eilig. Schon in ein paar Hundert Metern mündet er ins ­tiefblaue Meer. Hinter unserer Brücke stapeln sich, wie von einem Sechsjährigen gemalt, bunte Häuser. Eine Kirche und eine Burg gehören auch zum Bild. Grün! Es geht los. Die Versys meiner Begleitung, Diana, rollt über die von Tausenden Rädern und Reifen blank polierten Steinplatten der Brücke. Kurz vor der Kathedrale knickt sie nach links ab, winkelt durch zwei, drei Altstadtgassen, und dann schwingt sich die Straße fast plötzlich aus dem Ort heraus.

Echte sardische Heldinnen

Lässige Kurven drehen durch buschige Wäldchen. Durch die Baumlücken leuchtet blühende Macchia, in der Ferne das Meer. Korkeichen, am unteren Rand geschält, halten auf einer sonst kahlen Anhöhe die Stellung. Aber anders als ihre Kollegen weiter unterhalb kämpfen sie ­einen endlosen Kampf, der ihre Stämme weiter aus der Lotrechten bringt, als wir uns Schräglage zutrauen würden. Der Mistral, der heftige Wind aus dem französischen ­Rhônetal, bläst mit seiner Wucht bis hierher und zwingt die Bäume in die Diagonale. Auf den letzten Metern vor ­Montresta haben wir kaum noch Schräglage, und Diana zügelt die ­Kawa. Pause? Montresta ist einer der Orte, die man nicht gesehen haben muss, wenn man mit der touristischen Highlight-Brille auf der Nase unterwegs ist. Wenn man am echten Leben von Leuten interessiert ist, schon eher. Unscheinbare Häuser, manche ohne Putz, aber ­alle mit Schatten spendenden Fensterläden, dösen ­unter der Mittagssonne. Wir halten an einer kleinen Piazza und bestellen an der Bar “Zedda Pietro” wie durch ein Wohnzimmerfenster zwei Espressi. Gegenüber der Bar ist eine ganze Hauswand kunstvoll bemalt. Das waren keine Sechsjährigen! Über die sardische Flagge mit den vier Mauren sind zwei starke Frauenporträts gemalt. Wer sind die? “Die Linke mit den hochgesteckten Haaren ist Grazia Deledda”, erklärt unser Espressowirt. “Die hat den Nobelpreis für Literatur bekommen. Die andere”, er deutet nach rechts oben, “ist Maria Carta. Sie hat wundervolle sardische Lieder gesungen. Aber sie war auch ein Filmstar. Bei ‚Der Pate‘ hat sie zusammen mit Al Pacino gespielt. Das waren echte sardische Heldinnen”, sagt er mit einem Anflug von Stolz. Die Sonne schiebt sich über die ­bemalte Hauswand in unsere Ge­sichter. Boah, ist die heiß! Zeit, langsam die Küste anzusteuern!

Mit der Geschmeidigkeit des Dahingleitens ist es jetzt vorbei. Gut so, denn sonst würde ich langsam eindösen. Die Straße zwängt sich durch einen Hohlweg, knickt dann abwärts und wie aus dem Nichts taucht das beinahe ver­gessene, verheißungsvolle Meer auf. Die deftigen Kurven fordern alle Sinne. Anbremsen, runterschalten, wieder beschleunigen. Dazwischen der Blick aufs glitzernde Wasser, herrlich! Und die nächste Kurve! Gut eingegroovt rocken wir die verbleibenden 15 Kilometer Küstenstraße, bis wie eine Fata Morgana die Kulisse von Alghero über dem ­Asphalt flimmert. Was für eine Erscheinung! Aber irgendetwas ist hier anders. So gar nicht italienisch. Mein Spanisch ist schlecht. Mein Katalanisch noch schlechter. Doch kein Zweifel, die Straßenschilder sind eindeutig mit der Sprache der iberischen Halbinsel beschriftet. Jetzt fällt es uns auch an einigen Gebäuden auf, und wir dürfen uns nicht mehr wundern, dass uns Alghero spanisch vorkommt. Fast 400 Jahre war die Stadt katalanisch, und neben den mittelalterlichen Bauten hat sich die Sprache als Dialekt über die Zeit gerettet. Ebenso das Kopfsteinpflaster in den Altstadtgassen, durch die wir jetzt rumpeln. Doch auch italienische Momente gibt es: Schmiedeeiserne Laternen hängen an Hauswänden, Wäsche trocknet über der Gasse, ganz so, als wolle man die vergilbten, stereotypen Urlaubsbilder großelterlicher Italienreisen auffrischen. Apropos auffrischen: Wir müssen dringend tanken. Denn auf den nächsten 50 Kilometern wird nicht nur keine Tankstelle kommen. Es wird eine Fahrt durch das Nichts.

Dieses Nichts wird heute von einer Küstenstraße bezwungen. Ach, was sage ich: von DER Küstenstraße. Fast 50 Kilometer auf einer Hammerstrecke mit prallen Perspektiven und einem gut gehüteten Geheimnis. So geheim, dass bis 1990 noch nicht einmal Regierungsmitglieder in Italien und im restlichen Europa davon wussten. Aber was sollte schon gewesen sein, auf diesem unbewohnten Küstenstreifen, den bis vor wenigen Jahren nur Ziegenherden durchkreuzten?

Geheimer Trainingsplatz militärischer Spezialeinheit

Vierter, fünfter, sechster Gang. Wir surfen erst auf Meereshöhe, dann an steilen Hängen entlang. Unter uns eine Landzunge, das Cap Poglina. Bis in die 1990er-Jahre wurde dort unten im Auftrag mehrerer westlicher Geheimdienste eine militärische Spezialeinheit trainiert. Sie ­firmierte unter dem Namen “Gladio” und war selbst führenden Regierungsmitgliedern in Europa nicht bekannt. Gladio verübte Anschläge in Italien, die man Linksextremisten in die Schuhe schob. Auch der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest soll auf das Konto von Gladio gehen. Staatsterrorismus in ­Europa? Angeblich ist Gladio Geschichte. Die irritierenden Gedanken werden durch die Konzentration auf die Strecke weg­geblasen. Da werden Bergrücken umfahren, Canyons gekreuzt, Überhänge unterfahren, und immer wieder fächeln Mohnblumen im Fahrwind. Die Sonne sinkt immer weiter Richtung Horizont, das Meer wird ein silberner Spiegel. Visier auf, Luft tanken, durchatmen. Lang gezogene 180-Grad-Kurven erleichtern das Justieren der Schräglage auf Wohlfühlniveau, und viel schneller als gedacht wehen die Fähnlein von Micheles Campingplatz vor uns. Feierabend?

Diana hat noch nicht genug. Und ich will auch noch. Wie wäre es denn mit einem Sundowner? Ein Blick auf die Karte. Da ist eine Landzunge mit einem alten Turm, ­Torre Foghe. 20 Kilometer von hier, aber die Sonne steht schon tief. Schaffen wir das noch rechtzeitig? Die Felder hinter Tresnu­raghes fliegen nur so vorbei. Die Sonne nippt schon am Wasser, und die Kawa bekommt auf den letzten Metern noch ein paar Meter Feldweg unter die Räder. Da! Der Torre! Die Sonne ist schon weg, aber ihr Nachglühen färbt den Himmel von ­Purpur bis Ultrablau.

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