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Turbo für Straßenbau und Sanierung? Wissing-Gesetz im Kreuzfeuer: „Nichts, worauf wir stolz sein können“

„Papiertiger“

Turbo für Straßenbau und Sanierung? Wissing-Gesetz im Kreuzfeuer: „Nichts, worauf wir stolz sein können“

turbo für straßenbau und sanierung? wissing-gesetz im kreuzfeuer: „nichts, worauf wir stolz sein können“

Der Abriss der maroden Brücke über die A7.

Die Ampel will das Verkehrsnetz auf Stand bringen. Im Kern: schnellere Genehmigungen bei Großprojekten. Auf Merkur.de-Anfrage hagelt es Kritik.

Berlin – Bis in Deutschland der Bau neuer Straße oder Gleise beginnt, dauert es Jahre. Auch lange Genehmigungsverfahren verzögern den Bau von Verkehrsinfrastruktur. Die Ampel will das Problem nun per Gesetzesänderung angehen. Doch die Mission „Beschleunigungsturbo“, von der die FDP spricht, stockt. Ein Experte erklärt bei Merkur.de die Tücken des Ampel-Plans, der Bund Naturschutz rügt die Umweltbilanz – und die Freien Demokraten sind zufrieden.

„Die Politik sagt, ihr müsst die Projekte nur noch umsetzen, aber das funktioniert nicht“

„Die Ansätze sind richtig und wichtig, aber zu kurz gedacht“, sagt Thomas Gläßer im Gespräch mit unserer Redaktion. Er arbeitet für die Firma Atreus und berät Unternehmen bei Infrastrukturgroßprojekten, etwa in den Bereichen Energie und Verkehr. Genehmigungsverfahren seien nicht der „allheilende Teil“, meint Gläßer. So brauche es auch eine Stärkung der Unternehmen, die für Straßen- und Schienenbau verantwortlich sind. „Die Politik sagt, ihr müsst die Projekte nur noch umsetzen, aber das funktioniert nicht.“

Es brauche ein Verständnis dafür, wie komplexe Projekte im Zusammenspiel einer Vielzahl von Beteiligten möglichst reibungslos zum Erfolg geführt werden. „Das bedeutet auch, dass wir bei allen Akteuren einen Kulturwandel von der Risikovermeidung zum Risikomanagement, vom Auftraggeber und Auftragnehmer zum gleichberechtigten Projektpartner brauchen.“

Sanierung von Brücken: „Nichts, worauf wir stolz sein können“

Man müsse sich zudem Gedanken darüber machen, wer die Projekte wie umsetzen soll. Auch, weil das deutsche Verkehrsnetz in die Jahre gekommen ist – und es deutlich mehr Ressourcen für die Instandhaltung brauche. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verspricht: „Wir wollen schneller werden beim Planen, beim Genehmigen und beim Bauen unserer Verkehrswege.“ Bei Radwegen gebe es Planungszeiten von sieben Jahren, bei Schienentrassen seien 20 Jahre keine Seltenheit. „Ein führender Standort wie Deutschland kann sich das nicht leisten.“ Experte Gläßer meint: „Super, dann dauert der Bau der Rahmedebrücke im Sauerland nicht mehr zehn Jahre, sondern sechs.“ Das sei immer noch viel zu lange und „ist nichts, worauf wir stolz sein können“.

Die Brücke Rahmede musste im Mai gesprengt werden, weil die Schäden zu groß waren. Sie ist laut Gläßer aber nur eine von mehreren Hundert Brücken in Deutschland, die saniert werden müssen. Als die Brücken in den 1960ern und 70ern gebaut wurden, gab es deutlich weniger Autos und Schwerlasttransporter. Durch die Überbenutzung werden die Brücken marode, weshalb sie nun Stück für Stück repariert werden müssen. In der Regel sind sie in diesem Zeitraum gesperrt, sodass der Verkehr auf andere Autobahnen, Land- und Fernstraßen umgeleitet wird. „Wir können uns das nicht so lange leisten“, sagt Gläßer. „Denn ist der Brückenbau dann abgeschlossen, brauchen wir eine Sanierung auf den Ausweichwegen.“ Ein Teufelskreis und die Folge jahrzehntelanger Fehlplanung im Verkehrsbereich.

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A45-Talbrücke Rahmede wird gesprengt

FDP zuversichtlich: „Der gesamte Planungs- und Genehmigungszeitraum wird halbiert“

Die Union kritisiert den Gesetzentwurf als einen „Papiertiger, der in der Praxis keinerlei Wirkungen entfalten wird“, wie Felix Schreiner sagt. Er ist Berichterstatter für Verkehrsinfrastruktur und meint, in Deutschland gebe es kein Erkenntnisproblem – sondern ein Umsetzungsproblem. „Der Bundesverkehrsminister hat es nicht geschafft, die Systematik des LNG-Beschleunigungsgesetzes auf den Verkehrsbereich zu übertragen. Gescheitert ist er an den Grünen und weiten Teilen der SPD.“

Die FDP bewertet das Mega-Projekt derweil als Erfolg. „Der gesamte Planungs- und Genehmigungszeitraum wird halbiert“, verspricht der verkehrspolitische Sprecher Bernd Reuther auf Anfrage von Merkur.de. „Mit dem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz macht die Ampel-Koalition unsere Infrastruktur fit für die Zukunft, sodass sie auch in Zukunft eine verlässliche und belastbare Grundlage unseres Wirtschaftsstandorts und unseres Wohlstands ist.“

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7. Bundestagssitzung und Debatte in Berlin Aktuell,09.12.2021 Berlin, Bernd Reuther von der Partei FDP im Portrait

Keine Berücksichtigung von Wasserstraßen? „Eine weitere Großbaustelle“

Die FDP konnte sich im Dauerstreitthema Verkehrspolitik an entscheidenden Punkten durchsetzen. So gilt auf Initiative der Liberalen bei 144 Autobahnprojekten ein „überragendes öffentliches Interesse“, wodurch Schnellstraßen schneller gebaut und saniert werden sollen. In Bayern zählen dazu etwa die A8 zwischen Holzkirchen, das Inntaldreieck oder die A9 zwischen München-Frankfurter Ring und München-Schwabing. Die Grünen waren dagegen, sie wollten mehr Fokus auf das Schienennetz. Die FDP konnte sich auch vorher schon gegen die Koalitionspartner durchsetzen, etwa beim Nein zum Tempolimit.

Die Union kritisiert zudem, Wasserstraßen seien in dem Gesetz nicht ausreichend berücksichtigt. „Fakt ist, dass die Wasserstraßenthematik in Deutschland stark unterrepräsentiert ist“, konstatiert Experte Gläßer und erkennt „eine weitere Großbaustelle, die nicht in den nächsten Jahren gelöst wird“. Auch FDP-Politiker Reuther meint: „Im aktuellen Gesetzesentwurf wurde die wichtige Rolle der Wasserstraßen noch nicht ausreichend berücksichtigt.“ Man müsse hier „deutlich schneller und besser werden“. Eine Ansage auch an die eigene Koalition.

Bund Naturschutz kritisiert Wissing: „Er blickt in den Rückspiegel“

Die Ampel scheint im Laufe des Gesetzgebungsprozesses Abstriche zu machen. Schnellere Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie – und weniger Umweltschutz? Die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung soll entfallen. Außerdem werden Regeln beim Artenschutz vereinfacht, „ohne das Schutzniveau zu senken“, wie FDP-Mann Reuther betont. Der Bund Naturschutz bewertet den Gesetzentwurf auf Anfrage dennoch als „äußerst kritisch“.

Es brauche eine Verkehrspolitik, die Natur- und Klimaschutz mitbetrachte. „Verkehrsminister Wissing blickt aber leider in den Rückspiegel und setzt weiter auf Autobahnausbau anstatt auf Erhalt, Sanierung und Schiene. Dies führt zwangsläufig zu mehr Verkehr und somit zu einer erhöhten CO₂-Emission.“

Ein weiterer Streitpunkt ist der Gegenwind aus der Bevölkerung. Beim Brenner-Nordzulauf zum Beispiel, zwei Zusatzgleisen für den Bahnverkehr, gibt es seit Jahren kritische Bürgerstimmen. Gläßer sagt zwar, man müsse die Stimmen ernst nehmen. Politik sei aber nun mal dafür verantwortlich, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Auch unangenehme. Ähnlich sieht es der SPD-Verkehrspolitiker Detlef Müller. Grundsätzlich für die Verkehrswende zu sein, aber dann zu sagen: „Nicht bei mir“, helfe nicht und setze die Zukunftsfähigkeit Deutschlands aufs Spiel. Schnellere Genehmigungsverfahren sollen auch das ändern. Anfang Juli liegt die Vorlage im Verkehrsausschuss. Sie soll nach der Sommerpause verabschiedet werden. (as)

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