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Zukunft der Autoindustrie: Italiens Autoproduktion bricht massiv ein

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Blick ins Stellantis-Werk Mirafiori in Turin

Die VW-Drohung einer Werksschließung in Deutschland wirft Schatten auf eine möglicherweise düstere automobile Zukunft. In einem Land wie Italien lässt sich studieren, wie der Niedergang eines Standortes aussehen kann. Seit Jahren geht die Produktion südlich der Alpen zurück und nun haben die jüngsten Zahlen die Beteiligten noch einmal zusätzlich alarmiert. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden an den Standorten des Herstellers Stellantis mehr als 40 Prozent weniger Personenwagen produziert als vor einem Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland ging die Produktion aller Hersteller in diesem Zeitraum um 6 Prozent zurück. Für den 18. Oktober hat eine der wichtigsten Gewerkschaften zu einem Streik und einer Demonstration in Rom aufgerufen.

Die Automobilproduktion entfällt in Italien fast ausschließlich auf den französisch-italienischen Hersteller Stellantis mit seinen 14 Marken, darunter Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Maserati und Abarth. Die italienische Industriellen-Familie Agnelli ist zwar größter Einzelaktionär des Stellantis-Konzerns mit seinem legalen Sitz in den Niederlanden, und das Agnelli-Oberhaupt John Elkann ist Verwaltungsratsvorsitzender, doch viele Italiener und vor allem die Regierung in Rom beklagen einen Kontrollverlust.

Die umfangreiche Zuliefererbranche Italiens, die auch stark exportiert, nicht zuletzt nach Deutschland, ist noch italienischer geprägt, doch auch sie kann sich dem Trend nicht entziehen. Und die verbliebenen Spezialhersteller Italiens – darunter Ferrari (wo die Agnellis den Ton angeben), Lamborghini aus dem VW-Konzern sowie der LKW-und Bushersteller Iveco – fallen zahlenmäßig kaum ins Gewicht.

Wie steht es um Stellantis?

Also richten sich alle Blicke auf Stellantis und die Pläne seines mächtigen portugiesischen Vorstandsvorsitzenden Carlos Tavares. Wie sich an den jüngsten Zahlen zeigt, hat er die Produktion in Italien in diesem Jahr massiv heruntergefahren. Der Grund: Die Nachfrage sei schwach, nicht zuletzt jene nach Elektroautos, heißt es bei Stellantis in Paris. Zudem seien die Produktionskosten Italiens verglichen mit Osteuropa, aber auch mit einem Land wie Spanien schmerzhaft hoch, darunter etwa die hohen italienischen Energiepreise. Stellantis-Chef Tavares beschwert sich schon lange, dass in Italien die staatliche Förderung des E-Autoverkaufs zu gering und der Ausbau der Lade-Infrastruktur zu langsam sei.

Nur 200 Millionen Euro (von einer gesamten Autokauf-Förderung von 710 Millionen Euro) stellt die Regierung in diesem Jahr an Subventionen für E-Autos zur Verfügung. Wer wenig Einkommen hat und gleichzeitig einen alten Wagen verschrottet, konnte bis zu 13.000 Euro vom Staat bekommen. Doch die Zahl der Subventionsempfänger ist stark gedeckelt. An einem Tag im Juni vergab die Regierung die Hilfen über Internet-Anmeldung an die schnellsten Bewerber. Nach neun Stunden war das Angebot aufgebraucht. Den Einbruch der Produktion konnte das nicht stoppen. Die Herstellung des vollelektrischen Fiat 500 in Mirafiori bei Turin zum Beispiel, die im vergangenen Jahr bis Ende September 63.400 Modelle umfasste, ging 2024 bis Ende September um zwei Drittel zurück.

Die Gewerkschaften fordern von der Regierung und von Stellantis-Chef Tavares nun, stärker gegenzusteuern. In einem Bericht der Arbeitnehmervertretung FIM-CISL, der von Stellantis bestätigt wird, ist die schwierige Lage abzulesen. In diesem Jahr werden von Stellantis wohl weniger als 500.000 Wagen in Italien produziert; dabei lautet das Ziel der Regierung, die Marke aller Hersteller auf eine Million Fahrzeuge zu heben. In den ersten neun Monaten hat Stellantis in Italien nur 387.600 Wagen in Italien gebaut, fast ein Drittel weniger als im Vorjahr. Bei der Herstellung von Nutzfahrzeugen war der Rückgang etwas geringer, bei Personenwagen mit einem Minus von fast 41 Prozent dagegen stärker.

„Die Nachrichten von VW aus könnten ein Erdbeben auslösen“

An allen italienischen Standorten kam es zu Rückgängen. Auch im wichtigsten Werk, dem von Pomigliano bei Neapel, wo fast 60 Prozent der Modelle aus Italien hergestellt werden, ging die Produktion im dritten Quartal zurück. Der Kleinwagen Panda verzeichnete zwar ein Wachstum von 17 Prozent, doch dafür ließen die Modelle Alfa Romeo Tonale und Dodge Hornet in einem höheren Maße nach. Kurzarbeit war fast überall angesagt. Die Gewerkschaften sind froh, dass Stellantis für Pomigliano die Panda-Produktion bis 2029 zugesichert hat, doch sie blicken mit Sorge auf das serbische Werk in Kragujevac, wo der Panda ebenfalls hergestellt wird.

Beim Luxushersteller Maserati ist die Lage besonders dramatisch. Die Produktion brach gegenüber dem Vorjahr um 70 Prozent auf nur noch gut 2000 Wagen ein. Nun wurde die Produktpalette ausgedünnt, zugunsten einer Zukunft mit rein batterieelektrischen Modellen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 baute der Hersteller noch 41.000 Fahrzeuge. Große Produktionsrückgänge in den ersten neun Monaten melden auch die Werke in Turin (minus 68 Prozent) in Cassino südöstlich von Rom (minus 48 Prozent auf 4500 Fahrzeuge, ein Fünftel des Niveaus von 2017), und in Melfi in der süditalienischen Region Basilicata (minus 62 Prozent).

„Die dramatischen Nachrichten von VW aus Deutschland und Belgien könnten ein Erdbeben in der ganzen europäischen Autoindustrie auslösen“, warnt die Gewerkschaft FIM-CISL. Ein Drittel der 75.000 Mitarbeiter in der italienischen Autoindustrie könnte ihre Arbeit verlieren, auch durch die Elektrifizierung der Branche. Daher müsse der Staat helfen. Stellantis beschäftigt in Italien heute noch rund 40.000 Mitarbeiter. Vor zehn Jahren waren es 15.000 mehr. Der Marktanteil der Stellantis-Modelle auf dem italienischen Markt liegt bei rund 30 Prozent. Vor zehn Jahren war einst alleine Fiat auf dieses Gewicht gekommen. Doch die italienische Marke liegt heute nur noch bei rund 10 Prozent. Andere Stellantis-Marken nehmen dafür mehr Raum ein – neben der außereuropäischen Konkurrenz, die dem italienisch-französischen Hersteller zu schaffen macht.

Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte in jüngerer Zeit mehrfach die Stellantis-Führung kritisiert, wenn diese anderen Werken als den italienischen den Vorzug gab. Hinter den Spannungen stehen auch politische Ursachen. Der Familie Agnelli gehören mit „La Repubblica“ und „La Stampa“ zwei Tageszeitungen, die oft die Regierung kritisieren.

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