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VW-Chef im Interview: „Wir können im Moment an der Tabellenspitze nicht mithalten“

vw-chef im interview: „wir können im moment an der tabellenspitze nicht mithalten“

Oliver Blume, 55, führt seit 2022 den Volkswagen-Konzern und seit 2015 dessen Tochtergesellschaft Porsche.

Herr Blume, wie sehen Sie aktuell die Lage der deutschen Wirtschaft?

Die Stimmung in Deutschland ist angespannt und im Moment eher davon geprägt, sich zu beklagen, wenn etwas nicht rund läuft. Wir sind gut beraten, uns auf unsere Stärken zu besinnen. Auf das, was Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten stark gemacht hat. In Chancen denken, Ärmel hochkrempeln, Probleme anpacken und sie lösen.

Was muss geschehen?

Zunächst muss jedes Unternehmen seine Hausaufgaben machen. Übergeordnet brauchen wir einen Masterplan für Deutschland. Eine klare Strategie, die eine Perspektive setzt. Einen Fokus auf relevante Forschungs- und Entwicklungsfelder. Insbesondere aber auch industriefreundliche Rahmenbedingungen. Wir haben in der Vergangenheit immer von einer starken Industrie profitiert. Das schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Dabei sind Investitionen in Zukunftsthemen wichtig, etwa Halbleiter, Software, Chemie, Medizin, Automobil, Batterietechnologien oder erneuerbare Energien. Viele Menschen wünschen sich mehr Orientierung. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, diese Linien zu entwickeln.

Hört die Politik der Wirtschaft ausreichend zu?

Die Bundesregierung hört sehr genau zu, zum Beispiel der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister. Es gibt verschiedene Gesprächsformate. Wir müssen aber noch besser darin werden, richtige Schlussfolgerungen zu ziehen und Dinge pragmatisch umzusetzen – was keine Kritik an der Politik sein soll. Es geht mir um eine gemeinschaftliche Aufgabe. Die Wirtschaft kann und muss Empfehlungen geben und ihren Beitrag bei der Umsetzung leisten. Entscheiden muss die Politik. Gerade in der letzten Woche habe ich mit Olaf Scholz telefoniert.

Zu Fragen der Autoindustrie?

Ja, natürlich sind das die Themen, über die wir primär sprechen. Es geht aber auch um grundsätzliche Fragen, wie die Zusammenarbeit mit China oder den USA. Dort gibt die Regierung von Joe Biden der Industrie mit dem Inflation Reduction Act wichtige Impulse. Überall auf der Welt gibt es interessante Ansätze, die es sich lohnt anzuschauen.

Können wir in Deutschland das Handicap der höheren Energiepreise ausgleichen?

Aktuell sind unsere Energiepreise zu hoch. Entscheidend für die Senkung der Preise sind die verfügbaren Mengen und die Kosten der Stromerzeugung. Gerade in Bezug auf nachhaltige Energie hat die Bundesregierung ehrgeizige Ziele gesetzt. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms erneuerbar gewonnen werden. Wichtig hierbei ist eine präzise Planung bis zur operativen baulichen Umsetzung. Wie in einem Unternehmen gilt es, Ziele mit Maßnahmen, Verantwortlichen und Terminen zu hinterlegen.

Oft stoßen Veränderungen aber auf Widerstand. Geht es uns Deutschen zu gut?

Im weltweiten Vergleich leben wir in Deutschland gut. Über Jahrzehnte haben wir uns einen hohen Lebensstandard erarbeitet. Um diesen Wohlstand zu halten, müssen wir alle weiterhin anpacken und dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Es ist wie im Sport: Wenn ich eine Meisterschaft gewonnen habe, ist das noch lange keine Garantie, dass ich auch die nächsten drei gewinne. Jeder Erfolg ist eine Momentaufnahme. Diese Herausforderung muss uns bewusst sein.

Dann reden wir über Ihre Herausforderung als VW-Konzernchef: E-Autos verkaufen sich viel schlechter als erhofft, Fabriken sind nicht ausgelastet. Dauert die Elektrowende auf den Straßen länger als gedacht?

Der Wechsel zum Elektroauto dauert in Europa länger, als viele Experten und wir das vor einigen Jahren unterstellt haben. Gleichzeitig halte ich wenig davon, bei Gegenwind die Flinte gleich ins Korn zu schmeißen. Wir erleben den größten Veränderungsprozess in der Geschichte der Automobilindustrie. Bisher fahren vor allem technikaffine und umweltbewusste Kunden Elektroautos. Die sehen die Vorteile, denn E-Autos sind inzwischen technisch überlegen. Jetzt müssen wir die breite Masse der Autofahrer überzeugen. Mit guten Produkten, einem breiten Ladenetz, attraktiven Preisen und angemessenen Kosten mit dem richtigen Energiemix an erneuerbarem Strom. Aktuell sind noch viele Menschen skeptisch.

Wie reagiert Volkswagen auf die Elektro-Flaute?

Wir setzen weiterhin klar auf die Elektromobilität. Zwei Drittel unserer Konzerninvestitionen gehen in die Elektromobilität und neue Technologien. Porsche beispielsweise hat eine der ambitioniertesten Strategien. Im Jahr 2030 sollen über 80 Prozent der Neufahrzeuge rein elektrisch sein – abhängig von der Nachfrage der Kunden und der Entwicklung der Elektromobilität in den Weltregionen. Gleichzeitig muss eine Strategie flexibel sein. Rahmenbedingungen verändern sich und die Entwicklung verläuft in den Regionen unterschiedlich. In China entwickelt sich die Elektromobilität extrem schnell. In Europa hat sich der Hochlauf aktuell verlangsamt, in den USA ist es regional unterschiedlich. Im Volkswagen-Konzern haben wir einen flexiblen Produktmix. Aktuell verkaufen wir noch etwa neun von zehn Autos weltweit mit Verbrennungsmotor.

Sollte die EU wegen der Kaufzurückhaltung ihr Ziel überdenken, dass ab 2035 Neuwagen nur noch vollelektrisch auf die Straße dürfen?

Ich sage hier sehr deutlich: Wir brauchen verlässliche und verbindliche Vorgaben von der Politik. Die Autoindustrie ist langzyklisch, wir können nicht alle drei, vier Jahre unsere Entscheidungen infrage stellen. Wir haben umfangreich investiert und arbeiten darauf hin, dass in Europa ab 2035 Neufahrzeuge zu 100 Prozent elektrisch angetrieben sein werden. Die Dekarbonisierung ist eine der wichtigsten Verantwortungen unserer Generation. Neben dem Setzen ehrgeiziger Ziele müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese realisiert werden können. Gleichzeitig sind die gestaffelten CO2-Ziele im Hochlauf kontinuierlich zu überprüfen und realistisch anzupassen.

Dennoch könnte nach der Europawahl im Juni das Verbrennerverbot verschoben oder aufgeweicht werden. Was wären die Folgen für VW?

Das ist eine theoretische Frage. Deshalb möchte ich keine Folgen skizzieren oder Drohszenarien an die Wand werfen. Grundsätzlich eingeordnet: Wir haben einzelne Werke komplett auf Elektromobilität umgestellt. Bei der Marke VW sind das Zwickau und Emden. In der Autoindustrie gibt es zudem Zulieferbetriebe, die sich ausschließlich auf die Elektromobilität fokussieren.

Die neue Generation Ihres SUV-Modells Porsche Macan bieten Sie in Europa nur noch mit E-Antrieb an. Machen Ihre Kunden da mit?

Die Kundenresonanz nach der Weltpremiere des neuen E-Macan ist extrem gut. Wir haben nach wenigen Wochen schon weit über 10.000 Vorbestellungen. Das ist sehr viel für Porsche. In Europa war die Entscheidung gegen den Verbrennerantrieb beim Macan eine wirtschaftliche Abwägung, die wir bereits vor Jahren getroffen haben. Wir hätten für den Weiterlauf des Verbrenners aufgrund gesetzlicher Auflagen einen höheren dreistelligen Millionenbetrag investieren müssen. Deshalb haben wir hier konsequent auf die Elektromobilität gesetzt. Gleichzeitig ist Porsche in der Transformation flexibel aufgestellt.

Wenn VW in Europa nicht mehr E-Autos verkauft und dadurch die CO2-Emissionen seiner Fahrzeugflotte senkt, drohen Ihnen 2025 milliardenschwere Strafen der EU.

Über dieses Hölzchen springe ich nicht. Wir arbeiten darauf hin und bringen gerade in diesem Jahr viele neue attraktive elektrische Produkte auf den Markt. Gute Produkte allein reichen aber nicht. Es gibt weitere wichtige Faktoren mit Einfluss auf den Absatz von E-Autos, die wir nicht allein in der Hand haben wie die Strompreise, die Ladeinfrastruktur oder staatliche Förderungen. Auch hier ist es eine Gemeinschaftsaufgabe von Wirtschaft und Politik, einen Beitrag zu leisten.

Die EU will, dass der CO2-Ausstoß der Neuwagenflotte 2025 um 15 Prozent sinkt. Ist das machbar?

Dieses Ziel ist nach unserer Einschätzung im Kurzfristzeitraum zu ehrgeizig, gemessen daran, wie sich die Elektromobilität aktuell in Europa entwickelt. Wir müssen am Langfristziel 2035 festhalten, gleichzeitig brauchen wir realistisch gestaffelte Ziele auf dem Weg dorthin.

Sie fordern auch die Wiedereinführung des staatlichen Zuschusses für E-Autos in Deutschland, den die Regierung aus Geldmangel gestrichen hat.

Ich habe das nicht gefordert. Richtig ist aber, dass Kundinnen und Kunden von E-Autos in dieser Phase unterstützt werden sollten. Das könnte ein zeitlich befristeter Kaufzuschuss sein oder auch eine temporäre Steuererleichterung. Es könnte gestaffelt nach Kaufpreisen gemacht werden, um gerade bei niedrigen Preissegmenten Impulse zu setzen. Aktuell haben wir als Unternehmen diese Unterstützung übernommen.

VW hat doch noch gar keinen preisgünstigen E-Kleinwagen im Angebot.

Wir werden 2026 mehrere E-Modelle in der Preisregion um die 25.000 Euro auf den Markt bringen. Von VW, Cupra und Skoda. Diese Modelle werden sehr attraktiv sein. Zudem prüfen wir, ein Modell für rund 20.000 Euro zu realisieren. Ich stehe dafür, dass Volkswagen auch eine gesellschaftliche Verantwortung hat, Mobilität in den Einstiegssegmenten anzubieten.

Damit sind Sie spät dran. Citroën und Renault bringen jetzt schon preisgünstige E-Autos.

Die Strategie wurde damals so aufgesetzt, mit der Elektrifizierung in höheren Preissegmenten zu beginnen, um später in unserem Elektroportfolio eine Rendite zu erzielen, die unsere Investitionen finanziert. Gerade bei kleineren Elektrofahrzeugen ist die Rentabilität wegen der Materialkosten ein Kraftakt. Das Batteriesystem spielt hier eine große Rolle.

Werden Sie Ihren Elektro-Kleinwagen für 20.000 Euro zusammen mit Wettbewerbern wie Renault oder Stellantis bauen, um Kosten zu sparen?

Das ist noch nicht entschieden. Ein Partner wäre eine der Optionen. Bei einem elektrischen Kleinwagen kann eine Kooperation durchaus Sinn machen. Wenn ich gemeinsam höhere Stückzahlen erziele, bekomme ich Kostenvorteile durch Skaleneffekte. Mit unserer internen Konzeptarbeit sind wir bereits fortgeschritten.

Die Kosten sollen ohnehin kräftig sinken: Bis 2026 wollen Sie bei der renditeschwachen Kernmarke VW 10 Milliarden Euro sparen. Die Börse bezweifelt, dass das gelingt.

Da bin ich anderer Auffassung. Investoren sehen bereits sehr wohl unseren Fortschritt. Unsere Programme konzentrieren sich auf die Ergebnis- und Renditesteigerung. Wir gehen weit über das reine Sparen hinaus. Gleichzeitig müssen wir im Kapitalmarkt Vertrauen schaffen für die Neuausrichtung des Volkswagen-Konzerns, die wir im vergangenen Jahr umfangreich eingeleitet haben. Vertrauen muss über eine Zeit hinweg erarbeitet werden.

Ihr wichtigster Markt ist China. Sie verlieren dort weiter Anteile. Wann kommt endlich die Wende?

Vorneweg: Der Volkswagen Konzern war in China in 2023 weiterhin der größte Automobilhersteller. Richtig ist aber, dass wir mit unseren Elektroautos im Moment an der Tabellenspitze nicht mithalten können. Das liegt daran, dass wir unsere Produktstrategie komplett überarbeiten mussten. In China waren wir nicht vorbereitet auf das starke Wachstum bei den E-Autos. Das haben wir schonungslos analysiert und geändert. Auf unserem China-Kapitalmarkttag in drei Wochen in Peking werden wir unsere Pläne detailliert vorstellen. Mit unseren eingeleiteten Programmen werden wir in China mittelfristig eine ganz andere Rolle in der E-Mobilität spielen. Wir wollen der erfolgreichste ausländische Autohersteller in China bleiben und insgesamt unter den größten drei aller Hersteller sein.

Vergangenes Jahr ist Ihr Marktanteil in China auf gut 14 Prozent gesunken. Was peilen Sie für die Zukunft an?

Die Konkurrenz durch viele neue Elektro-Hersteller ist groß in China. Wir sollten deshalb keine utopischen Erwartungen haben. Wenn wir dauerhaft einen zweistelligen Marktanteil erreichen in einem stark wachsenden chinesischen Markt, ist das schon ein sehr ordentliches Ziel. Das bedeutet unter dem Strich ein Wachstum. Und jetzt haben wir die Weichen gestellt für die richtigen Autos für den chinesischen Markt.

Ihre eigene Doppelrolle als Vorstandschef von zwei Dax-Konzernen, Volkswagen und der Tochterfirma Porsche, bleibt umstritten. Sind das nicht zu viele Baustellen für einen Manager?

Diese Kritik kam zum Teil von einigen Investoren. Gleichzeitig habe ich auch sehr viel Zuspruch erfahren. Mittlerweile mache ich beide Aufgaben seit anderthalb Jahren. Es ist eine Frage der richtigen Prioritäten und Organisation. Aktuell bekomme ich vor allem das Feedback, dass es bislang reibungslos funktioniert hat. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass es deutlich mehr Vorteile hat, die beiden Führungsaufgaben im Konzern und bei Porsche in Doppelfunktion zu machen. Für mich ist es wichtig, operativ eng an der Technik und an den Prozessen zu arbeiten, mit engem Kontakt zur Mannschaft, um im Konzern strategisch die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Haben Sie dabei Ihr Führungsteam hinter sich? Es gab Gerüchte, dass Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke selbst gerne Porsche-Chef wäre.

Es gab einen Medienartikel, in dem viel interpretiert wurde. Auch, weil wir im Vorstand Diskussionen zu Fachthemen gewöhnlich emotional führen. Immer mit dem Anspruch, die beste Lösung für Porsche zu finden. Lutz Meschke und ich arbeiten seit zehn Jahren sehr erfolgreich zusammen. Im Team haben wir Porsche dahin gebracht, wo das Unternehmen heute steht. In unserer Zeit hat sich das Ergebnis verdreifacht, der Absatz hat sich verdoppelt. Auch diese Zahlen sprechen für sich. Wir beide sind Sportler und im Team wird mit hoher Leidenschaft gespielt.

Und Lutz Meschke möchte nicht Porsche-Chef werden?

Diesen Anspruch hat er nie angemeldet. Am Ende ist die Aufstellung des Vorstands die Entscheidung des Aufsichtsrats. Ich persönlich sehe es als meine Aufgabe, entsprechende Nachfolgerinnen und Nachfolger für den Vorstand aufzubauen. Mir machen beide Aufgaben weiterhin große Freude – bei der Porsche AG und in der Volkswagen Group.

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