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So begannen die 70er

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Der VW K70 soll die Kund:innen an neue Zeiten gewöhnen

Bis zum VW K70, Ford Taunus und Opel Ascona tun sich die deutschen Volksmarken lange schwer mit individuellen Autos. Doch vor 50 Jahren kommt Bewegung in die Mittelklasse: VW traut sich den K70 mit Vorderradantrieb und Wasserkühlung, Ford brezelt den Taunus zum Mini-Mustang auf und Opel erfindet mit dem Ascona Voyage den Lifestyle-Kombi. Wie reizvoll sind die drei heute?

Es dauert etwas, bis diese 70er-Jahre, geprägt von Autos wie VW K70, Ford Taunus und Opel Ascona, ihre Unschuld verlieren. Aber das ahnen die Deutschen noch nicht, als das Jahrzehnt vor gut 50 Jahren beginnt. Die kühnsten Fantasien reichen nicht aus für eine Ahnung von Jom-Kippur-Krieg und Ölkrise, von Tempolimit 100 und vom Club of Rome, der vor den Grenzen des Wachstums warnt. Stattdessen stimmen die Deutschen mit Lichtschalter und Klospülung ab – zumindest dann, wenn im Fernsehen die Spielshow “Wünsch Dir was” läuft. Eine ganze Stadt sitzt in der Jury, Elektrizitäts- und Wasserwerk ermitteln die Gewinner:innen nach Gesamtverbrauch.

Klingt im Rückblick völlig irre, macht damals aber keine Schlagzeile fett. Wir haben’s ja. Kein Wunder, dass “Wünsch Dir was” auch beim Autohändler läuft. Deutschland will raus aus dem 34-PS-Käfer (25 kW) und rein in die Mittelklasse. Aber nicht mehr einfach nur in dröge Massen-Limousinen, sondern in individuellere Modelle. Bei Ford boomt der Capri, und die Idee vom Auto nach Maß verbreitet sich über die ganze Mittelklasse. Es ist die Erfindung des Nischenmarkts, wie wir ihn heute kennen. Die Geschichte beginnt 1970 bei den drei größten deutschen Herstellern. Jeder von ihnen macht es anders. Aber keiner von ihnen will so sein, wie sie bisher alle waren. Bühne frei für VW K70, Ford Taunus und Opel Ascona. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

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Bei VW haben sie es mit der neuen Mittelklasse am einfachsten “Obwohl er aus Deutschlands größter Autofabrik kommt, umgibt ihn das Image, Maßkonfektion zu sein”, schreibt die Auto Zeitung dem VW K70 ins Stammbuch. Tatsächlich ist er gar kein VW, sondern kommt von NSU, der kleinen Firma im Schwäbischen, die den Wankelmotor zum gehypten Modeartikel gemacht hat. Wie der Name K70 schon sagt, steckt nur ein Vierzylinder drin – das K steht für Kolben. Aber auch der K70 ist ein Werk des visionären Ro 80-Designers Claus Luthe, obwohl der scheinbar seine Kurvenlineale verlegt hatte. Das K könnte auch Kante bedeuten, und doch sieht er in den Augen deutscher Autokäufer:innen viel besser aus als ein VW 411 oder gar 1600 TL.

Es ist der erste VW mit angetriebenen Vorderrädern und Wasserkühlung. Und er wird sich nie richtig rechnen, weil ihn VW nur aus psychologischen Gründen baut, um die Kundschaft an neue Zeiten zu gewöhnen. Im wirklichen Leben hat er nicht nur den VW 411 zum Gegner, sondern vor allem den neuen Audi 100 aus Ingolstadt, der mit der gleichen Kundschaft flirtet wie er. Beide Autos sind modern gestaltet, sauber verarbeitet und komfortabel gefedert. Selbst der Veloursstoff im Innenraum fühlt sich gleich flauschig an. Nur macht der VW K70 mit viel schwarzem Kunstleder und sportiven Armaturen ein bisschen mehr auf BMW.

Im Ford Taunus fühlst du dich wie ein TV-Star der 70er-Jahre

In Wirklichkeit ist der VW K70 vom Sport befreit, zumindest in der frühen Basisversion mit 75 PS (55 kW). Sein Fallbeil-Design macht ihn zwar markant, aber auch aerodynamisch indiskutabel. Mit kurzer Übersetzung und brummigen Motor dröhnt er durch die 70er, ohne wirklich seinen Weg zu finden. Er verbraucht zu viel, die Lenkung arbeitet zu diffus und die Schaltung zu ungenau. Fünf Jahrzehnte später wirkt auch ein späterer VW K70 wie ein Prototyp und nicht wie ein Auto, mit dessen Verfeinerung sich VW nach der Übernahme von NSU noch ein Jahr lang beschäftigte. Dabei waren es nicht einmal die Luftkühlungs-Fanatiker:innen, die ihn 1969/70 serienreif machten, sondern das kleine, feine Team um den früheren Borgward-Isabella-Entwickler Walter Dziggel.

Premiumqualität und feine Materialien sind vor 50 Jahren noch keine Erfolgsgaranten. Der Ford Taunus zeigt es, auch wenn die Tester:innen damals ihre Stirn in Falten legen. Die Auto Zeitung kritisiert 1970 die “Lässigkeit der Vorserie”, doch genau die wird den Ford Taunus noch länger begleiten. “Unter dem Bodenteppich fand ich Klemmen von Zierleisten, Butterbrotpapier, Zigarettenkippen und einen zerfetzten Western”, schreibt ein vergrätzter Taunus-Besitzer 1971 an den ADAC, der dem Ford im selben Jahr die Silberne Zitrone für den mit den meisten Mängeln behafteten Neuwagen verleiht.

Der Ford Taunus ist der einzige mit V6

Wer heute in den Ford Taunus einsteigt und die Tür mit Schwung zuzieht, erschrickt über das blecherne “Pläng” und ein Rappeln, als wäre die Seitenscheibe in ihren Schacht gefallen. Wenn er aber etwas länger drinsitzt im Taunus, dann versteht er, warum sich deutsche Bilanzbuchhalter:innen und Postbetriebsassistent:innen in diesem Auto fühlten wie Fernseh-Serienheld Jason King. Erstens ist der Taunus selbst als Coupé noch günstig und familientauglich. Zweitens sieht er mit dem vielen Chrom, den scharfen Sicken und der Knudsen-Nase am Bug so amerikanisch aus, als würde er Gran Torino heißen und nicht Taunus.

Drittens sitzt es sich darin so tief und sportwagenhaft wie im Capri, Blick über die lange Motorhaube inbegriffen. Viertens ist der Taunus zwar mit scharfem Blick aufs Budget zusammengebaut, aber aufregend eingerichtet: braunes Lenkrad, Plastikholz-Leisten im Wurzelnuss-Dekor, Türgriffe mit nachgebildeten Ledernähten im Reisekoffer-Stil, spacige Zusatzinstrumente in runden Höhlen, überwölbt von spitzen Kunststoffkuppeln. Und fünftens: Der Taunus ist das einzige Auto seiner Klasse mit V6. Der säuselt dem Jason King am Steuer mit seiner Barry White-Stimme so sonor in die Ohren, dass er dem Ford Taunus selbst den ruppigen Federungskomfort verzeiht. Ein Auto für die Ewigkeit ist er nicht, aber eben eines für das Wünsch-Dir-was-Jahrzehnt.

Der Opel Ascona sollte den Kadett ersetzen

Und deshalb verkauft sich der Ford Taunus – als Coupé, Limousine und Kombi, mit Vier- und Sechszylindern von 55 bis 108 PS (40 bis 79 kW) – über eine Million Mal. Der VW K70 bringt es auf ein Fünftel. Und auch der Opel Ascona wird dem Taunus nicht gefährlich. Dabei trägt er den cooleren Namen und transportiert 1970 eine kühnere Idee in die Mittelklasse. Schöne Kombis heißen vor 50 Jahren nicht Avant, sondern Ascona Voyage. Und in Amerika sogar Manta Sport Wagon. Es gibt den Voyage mit Vinyldach und Holzfolie an der Seite, und doch verstehen die Idee nur wenig mehr als 50.000 Käufer:innen. Es geht ihnen wie dem damaligen Opel-Chef Ralph Mason, von dessen jungem Vertriebschef Bob Lutz die Voyage-Idee stammt.

Blöd nur, dass Mason, der Südstaatler, den Namen Voyage nicht aussprechen kann. Er redet vom “Vaasch”. Und er schäumt vor Wut, als Lutz, der perfekt französisch spricht, immer wieder “Ich verstehe nicht” antwortet. Dabei muss Mason dem Provokateur dankbar sein für seine Nischen-Strategie. Opel hat den Ascona als Nachfolger des Kadett B entwickelt, bringt ihn dann aber – mit stärkeren Motoren und besserer Ausstattung – gegen den neuen Ford Taunus in Stellung. Der Kadett B läuft bis 1973 weiter, als sei er nie in die Jahre gekommen.

Der Opel Ascona passt am besten in den heutigen Auto-Alltag

Auch der Opel Ascona ist ein Typ, der sich gut hält. Unter den drei Mittelklasse-Neuheiten von 1970 passt er am besten in den Auto-Alltag der 20er-Jahre. Ihm fehlt die Detailverliebtheit des VW K70, aber auch die amerikanische Flüchtigkeit des Ford Taunus. Stattdessen zeigt sein unaufgeregtes, reduziertes Design, dass den Opel-Designer:innen die Arbeit von Pininfarina damals näher stand als die Formensprache von Pontiac. Heute begegnet uns ein früher Opel Ascona als konsensfähiges Auto mit komfortablen Sitzen, lichtem Innenraum und durabler Verarbeitung. Ein Handgriff, und die Rückbank liegt flach. Ein Schlüsseldreh, und der CiH-Motor wacht mit typischem Nuschelsound auf. Die Lenkung arbeitet präzise, die Schaltung flutscht auf kurzen Wegen. Nicht mal kraftlos wirkt er mit seinen nur 1,6 Litern Hubraum und den 80 PS (59 kW). Nur das helle, aber immer hörbare Differentialsingen des Opel Ascona Voyage scheint ganz und gar aus der Zeit zu stammen, als die Deutschen noch mit der Klospülung abstimmten.

Technische Daten von VW K70, Ford Taunus und Opel Ascona

Hier mehr dazu lesen: So begannen die 70er

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VW K70/Ford Taunus/Opel Ascona

Mit Mittelklasse-Modellen wie VW K70, Ford Taunus GXL und Opel Ascona Voyage begannen die 1970er-Jahre.

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VW K70

Das geradlinige Design stammt von Claus Luthe, der zuvor schon den NSU Ro 80 gezeichnet hatte.

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Die hakelige Schaltung und das teigige Lenkgefühl wird dem Dynamikfan nicht gerecht. Der K70 ist eher zum Cruisen geeignet.

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Sachlich bis zur Modellbezeichnung: K steht für Kolbenmotor, 70 für das Premierenjahr.

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“Die stumpf abgeschnittene Front vermeidet Lackschäden durch Steinschlag”, bemerkt die Auto Zeitung 1970 im Test.

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Von innen ist der K70 der beste BMW, den VW je gebaut hat. Die bequemen Feinvelours-Polster verbreiten Oberklasse-Ambiente.

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Die kleinen Ventildeckel verraten die Herkunft, sie passen auch auf NSU TT und TTS. Der 75-PS-Motor (55 kW) kämpft mit kernigem Sound gegen Gewicht und hohen Luftwiderstand.

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Auch das ist typisch für die frühen 1970er-Jahre: Metalliclacke setzen sich auch bei bürgerlichen Autos durch. Noch ist es ein pflegeintensiver Einschicht-Lack.

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Ford Taunus GXL

Die Blechnase am Bug geht auf den designverliebten Ford-Manager Semon Emil “Bunkle” Knudsen (1912-98) zurück.

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Deutsches Gebirge, amerikanisches Design. Die Ford-Händler sollten den GXL allen Ernstes “Gixel” aussprechen.

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Der Ford überzeugt vor 50 Jahren eher mit seinem Design als mit der zweifelhaften Verarbeitungsqualität.

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Wer im Ford Taunus vorfährt, fühlt sich wie ein TV-Star der Siebziger.

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Haptik ist für den Taunus nur ein Wort, aber kein anderes Mittelklasse-Auto hat den Zeitgeist von 1970 so verinnerlicht wie dieser Ford.

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Den kultivierten und robusten V6-Motor hatte es zuvor nur in den größeren 17/20M-Modellen gegeben.

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Drei Marken, drei Design-Philosophien. Ende der Siebziger schliff dann der Windkanal die Kanten glatt.

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Opel Ascona Voyage

Auch mit 80 PS (59 kW) ist der Ascona nicht verloren im Verkehr der Gegenwart.

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Ursprünglich sollte der neue Ascona den etwas in die Jahre gekommenen Kadett ersetzen.

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Mit dem Ascona Voyage erfindet Opel vor gut 50 Jahren den deutschen Lifestyle-Kombi.

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Die Opel-Designer:innen durchleben eine italienische Periode, als der Ascona erscheint. Der reduzierte neue Stil kommt gut an, auch in Amerika. Dort verkauft Opel den Voyage als Manta Wagon.

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Schlanke, bequeme Kunstledersitze, präzise geführtes Viergang-Getriebe, Tacho bis 200 km/h.

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Neben dem 80-PS-Motor (59 kW) bietet Opel ab 1971 auch eine 90-PS-Version (66 kW) an. Ein deutscher Sportkombi, lange vor Audi oder BMW.

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VW K70, Ford Taunus und Opel Ascona beweisen vorzüglich, warum die 70er als das “bunte Jahrzehnt” in die Geschichte eingingen.

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Coupé, Limousine und Kombi sind drei komplett verschiedene Mittelklasse-Adaptionen.

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