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Letzte Meile auf dem Prüfstand: Wie sieht die Zukunft der City-Logistik aus?

letzte meile auf dem prüfstand: wie sieht die zukunft der city-logistik aus?

Mit dem Wachstum des Online-Handels steigt auch die Anzahl der Paket-Zustellungen. Das stellt nicht nur die Städte, sondern auch die Lieferdienste vor große Herausforderungen – das Verkehrsaufkommen soll nicht weiter wachsen, Regulierungen bremsen die Unternehmen aus. Zugleich soll die Lieferung möglichst schnell, günstig und sauber erfolgen. In seinem Gastbeitrag beschreibt Thomas Duscha, CEO von Swobbee, neuartige Verteilansätze, die die urbane Logistik revolutionieren könnten.

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Der Online-Handel und der damit verbundene Lieferverkehr nehmen seit Jahren kontinuierlich zu. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht: Laut dem Beratungsunternehmen Roland Berger wird für die nahe Zukunft ein jährliches Wachstum von neun Prozent erwartet. Ebenso schnell wie der Handel verändern sich auch Verhalten und Erwartungen der Kund:innen: Lieferungen noch am selben Tag, Lieferungen in einer Stunde – die Ansprüche steigen und in vielen Branchen entscheidet sich der Wettbewerb danach, ob sie erfüllt werden können. Laut Roland Berger erwarten bereits 56 Prozent der Online-Kund:innen aus der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen eine Lieferung am selben Tag.

Aber: Ein „Weiter so“ kann es nicht geben, weder aus Sicht der Städte, die ein immer höheres Verkehrsaufkommen zu bewältigen haben – mit all den damit verbundenen Konsequenzen für Mensch und Umwelt – noch aus Sicht der Unternehmen. Denn das stetig steigende Bestellaufkommen und die immer komplexer werdenden Logistik- und Zustellvorgänge sowie zunehmende Regulierungen seitens der Städte stellen die Lieferbranche vor enorme Herausforderungen. Nicht zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Kostenfrage, auf die zukunftsfähige Antworten gefunden werden müssen, wenn es nicht zu einer Marktkonzentration im Bereich City-Logistik kommen soll.

Logistikunternehmen müssen neues Terrain betreten

Einen Teil der Antwort auf die Herausforderungen der Branche (und der Städte) stellen spezielle Zustellfahrzeuge auf E-Basis dar, vor allem Elektro-Lastenräder. Unternehmen stehen mittlerweile auf gewerbliche Anwendungen optimierte Zustellfahrzeuge zur Verfügung, die für urbane Räume im Zusammenspiel mit intelligenten Akku-Wechselsystemen eine adäquate nachhaltige Alternative zu klassischen Dieseltransportern darstellen. Der verstärkte Praxiseinsatz wird künftig zu weiteren Verbesserungen im Sinne der Zusteller führen. Aber allein auf Fahrzeugebene lässt sich der Wandel nicht meistern.

Die aktuelle Roland-Berger-Studie „Urban logistics: From atomization to massification“ zeichnet ein Szenario, das einen Ausweg aus der „Atomisierung“ der City-Logistik bieten könnte: die sogenannte Massifizierung. Darunter wird die Zusammenarbeit von Lieferunternehmen verstanden, die ihre Auslieferungen für bestimmte Orte und Zeiten bündeln. So sollen auch bei Erfüllung gestiegener Kundenansprüche kosteneffiziente Logistikprozesse realisiert werden können. Während der Nutzen dieses kollaborativen Ansatzes für Städte und Empfänger:innen sofort ersichtlich ist – weniger Zustelltermine, weniger Zustellfahrzeuge, weniger Verkehr, weniger Lärm, weniger CO2-Emissionen –, erscheint es fraglich, ob die KEP-Branche bereit ist, wichtige Informationen zu teilen und eine verringerte Sichtbarkeit ihrer Marken hinzunehmen.

letzte meile auf dem prüfstand: wie sieht die zukunft der city-logistik aus?

Neue Konzepte für die Letzte Meile werden bereits getestet

Tatsächlich ist die auf den ersten Blick revolutionär anmutende Idee nicht neu. Sie wird sogar bereits erprobt. In Magdeburg arbeiten die Mediengruppe Magdeburg (biberpost) mit dem Lehrstuhl für Logistik der Otto-von-Guericke-Universität und der FIApro UG im Rahmen des wissenschaftlich begleiteten EFRE-Förderprojekts „Paket-KV-MD2“ an einem neuartigen, flexiblen Zustellsystem für die Letzte Meile und testen seit Herbst 2022 das sogenannte Hub-and-Spoke- System. Dabei haben Empfänger:innen die Möglichkeit, ihre Lieferungen verschiedener KEP- Dienstleister gebündelt angeliefert zu bekommen. Das Hub-and-Spoke-System besteht aus der Kombination mehrerer Elemente, die auf einem zentralen Urban-Hub, Mikro-Depots, mobilen und stationären Paketstationen sowie E-Lastenrädern basieren, den sogenannten Paket-Raketen. In dieser Gesamtheit ist es ein europaweit einzigartiges Zustellsystem, das durch innovative Akku- Wechselstationen von Swobbee komplettiert wird, die die tägliche Einsatzdauer der Paket-Raketen steigern.

Die KEP-Dienstleister liefern die Sendungen für einen Zustellbereich an einen zentralen Urban- Hub. Das tun sie, wenn die Empfänger:innen sich explizit für diese Variante entscheiden – diese Option ist ein Novum. Die Kund:innen – Privatpersonen, Unternehmen und Gewerbetreibende – können via App die präferierte Zustellart sowie -zeit wählen, bspw. alle nicht dringlichen Sendungen gebündelt in drei Tagen an eine Paketstation geliefert zu bekommen. Es wird spannend sein herauszufinden, ob ein relevanter Teil der Empfänger:innen diese Möglichkeit, nachhaltiger zu handeln, wahrnimmt oder ob die Mehrheit in ihren Gewohnheiten verharrt.

Mehr Mikro-Depots oder größere Touren?

Ebenfalls erwähnenswert ist der Umschlag im Urban-Hub. Dort werden die gelieferten Sendungen sortiert und in Systembehälter vorgepackt. Die Rollcontainer werden dann mit dem Lastenrad zu den Empfänger:innen oder zu einem der Mikro-Depots gebracht. Laut Prof. Dr. Hartmut Zadek, Leiter des Lehrstuhls für Logistik an der Otto-von-Guericke-Universität, handelt es sich bei dem „Paket-KV-MD2“-Projekt um einen Paradigmenwechsel, da erstmals die Empfänger:innen in der Lage sein werden, nicht nur über die Art der Zustellung selbst zu entscheiden, sondern auch über die Bündelung der Lieferungen egal welcher Herkunft mit Lieferung zum individuell am besten geeigneten Termin.

Damit solche komplexen, auf elektrischen Cargobikes basierenden Logistiksysteme reibungslos funktionieren, muss die Energieversorgung gesichert sein. Dies wird durch Akku-Wechselstationen von Swobbee gewährleistet, die rund um die Uhr eine ausreichende Zahl an geladenen Batterien bereithalten. Der Akkuwechsel an einer Station nimmt weniger als eine Minute in Anspruch, sodass die Arbeits- und Auslieferungsprozesse durch den kurzen „Tankstopp“ nicht gestört werden. Dabei nehmen die Swobbee-Stationen auch eine wesentliche Rolle in der wissenschaftlichen Betrachtung des neuen Verteilsystems ein, die unter anderem der Frage nachgeht, ob das Betreiben von mehr Mikro-Depots effizienter ist oder die Durchführung größerer Touren, wobei mehr dezentrale Akku-Wechselstationen als „Reichweitenverlängerer“ zum Einsatz kommen müssen.

Noch befindet sich das europaweit einzigartige Projekt in der Aufbau- und Testphase. Aber es gibt bereits einen Ausblick auf eine mögliche Zukunft der City-Logistik. Bleiben am Ende die beiden Fragen, ob die Kund:innen die Wahlmöglichkeit annehmen und vor allem, ob die hochkompetitive KEP-Branche außerhalb von Förderprojekten bereit ist, zusammenzuarbeiten. Ob dies gelingt, dürfte auch am Gestaltungswillen der Kommunen liegen, die Anreize schaffen können, um den Lieferverkehr der Zukunft in eine stadtfreundliche Richtung zu lenken.

Thomas Duscha ist Mitgründer und Geschäftsführer des Berliner GreenTech-Startups Swobbee.

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