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Auf den Spuren Cunewalder Motoren

Das Motorenwerk wäre am vergangenes Wochenende 75 Jahre alt geworden. Bus-Rundfahrten machten die Betriebsgeschichte lebendig.

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Dieselameisen beziehungsweise Multicar prägten das Bild zum 75. Geburtstag des Motorenwerkes im Hof des Kraftfahrzeug- und Technikmuseums Cunewalde. Sie sind alle mit Motoren aus Cunewalde ausgerüstet. © Bernd Dreßler, Archiv

Vorigen Sonntag, kurz vor 10 Uhr in Cunewalde: Eigenbau-Traktoren, Dieselameisen, Anhänger mit Pumpenaggregaten – immer mehr historische Fahrzeuge fahren knatternd und dröhnend auf den Hof des Kraftfahrzeug- und Technik-Museums. Alle haben sie eins gemeinsam – sie werden von einem Motor aus Cunewalde angetrieben. Vor 75 Jahren, am 1. Juli 1948, wurde der Betrieb als VEB Motorenwerk Cunewalde gegründet. Der Oberlausitzer Kfz-Veteranen Club erinnert mit einer Jubiläumsveranstaltung daran.

10.30 Uhr hat sich an der Bushaltestelle Blaue Kugel eine Menschentraube versammelt. Ein Ikarus-Bus vom Typ Z 63 füllt sich fast bis auf den letzten Platz und startet zur 22 Kilometer langen Fahrt zu einigen Werken des ehemaligen Betriebes. Die Reiseleitung übernehmen zwei ehemalige Motorenwerker. Hans-Jürgen Dittmann fing als Jungingenieur an und war bis zur Wende dabei, 25 Jahre. Peter Geißler lernte ab 1952 Maschinenschlosser, sein Vater war damals Leiter der Lehrwerkstatt. Er kennt noch die Anfänge.

Erste Station ist das ehemalige Werk 6 in Niedercunewalde. Hier war die Forschung und Entwicklung untergebracht. Aktuell hat sich hier neben der Diplomat-Schreibgeräte GmbH die Spirituosenfabrik Jonas angesiedelt, die eigens für das Jubiläum „Zündkerzen“ in zwei Geschmacksrichtungen abgefüllt hat – Motorenöl und Verdampferwasser.

Weiter geht’s nach Weigsdorf-Köblitz. Werk 5 entwickelte sich immer mehr zum Hauptwerk, auch die Wohnblöcke der Albert-Schweitzer-Siedlung künden davon. Der Betriebsteil bekam für Ersatzteile eines der ersten Hochregallager der DDR. Allein hier waren 1.136 Mitarbeiter beschäftigt. „Nun müssten die Werke 4 und 3 folgen. Aber die fahren wir nicht an, denn Werk 4 befand sich in Kamenz und Werk 3 in Bautzen in der Justizvollzugsanstalt, wo die Häftlinge Zuarbeiten für Dieselmotoren leisten mussten“, erläutert Hans-Jürgen Dittmann.

Der Bus, dessen Motorengeräusch im Wettstreit mit der Lautstärke seiner Mikrofone zu stehen scheint, rollt jetzt über die B 96 und den Wurbis. Den nannten die Motorenwerker „Brenner“, wenn sie mit betriebseigener Busflotte zur Arbeit und wieder nach Hause gebracht wurden. Der Fahrer steuert den Ikarus nach Beiersdorf zum Werk 2, der Gießerei. „Über eine alte Gießerei wurde eine neue Halle darüber gezogen, bei laufender Produktion“, erinnert sich Peter Geißler. Der Stahlkies, der hier gebraucht wurde, sei auch bei den Mitarbeitern begehrt gewesen. Damit ließ sich zum Beispiel ein Trabant im Winter straßenfester machen. Und obwohl es eigentlich streng verboten war, wurden in der Gießerei Kochtöpfe für die Konsumgüterproduktion hergestellt. Im Kreis Löbau seien sie dann in den Handel gekommen.

Obercunewalde ist die letzte Station der Rundtour zur Motorenwerk-Geschichte. „Im Werk 1 war das Weiße Haus, sprich die Verwaltung, wenngleich nicht jede Entscheidung weise war, die getroffen wurde“, sagt einer der Tourbegleiter. Hier befand sich aber auch der Ursprung des Motorenwerkes überhaupt. 1943 war eine Dresdner Maschinenbaufirma aus militärischen Gründen in die Räume der Weberei Große umgezogen. 1945 wurde sie enteignet. Die Demontage durch die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) war schon beschlossene Sache. Bis eine sowjetische Offiziersfrau die Gretchenfrage stellte: „Könnt ihr Motorräder bauen?“ Die Verantwortlichen bekamen zwei Tage Bedenkzeit und sagten einfach ja. Fortan wurden in Cunewalde im Auftrag eines sowjetischen Konstruktionsbüros Motoren für die Kräder RT, MZ und BK entwickelt, bis 1951 der Bau von Kleindieselmotoren begann.

Als der Ikarus-Bus wieder an der Blauen Kugel angekommen ist, bedanken sich die Fahrgäste mit spontanem Beifall für die Erläuterungen. Wenn auch von den ehemaligen Werkanlagen nicht mehr viel bzw. gar nichts mehr übrig sei, der 45-minütige Ausflug in ein Stück Cunewalder Industriegeschichte habe sich gelohnt, meinen sie. Und schon zücken die nächsten neugierigen Passagiere ihre gelben Busfahrkarten für die nächste Rundtour.

Inzwischen sind im Hof des Kraftfahrzeug- und Technikmuseums noch mehr Oldtimer mit Cunewalder Motoren angekommen. Sind sie nur deshalb vorgefahren, weil die Veranstalter versprochen hatten, diese Art der Anreise mit freiem Eintritt zu belohnen? Wohl kaum. Vor allem möchten sie dem Motorenwerk, dessen Geschichte in den 1990er Jahren abrupt endete, und den Organisatoren des Jubiläumstages ihre Referenz zu erweisen.

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