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Ade, ihr Fahrradboten! Ihr wart uns lieber als die monströsen Mopeds

ade, ihr fahrradboten! ihr wart uns lieber als die monströsen mopeds

Ade, ihr Fahrradboten! Ihr wart uns lieber als die monströsen Mopeds

Warum komme ich in letzter Zeit immer zu spät zu Verabredungen? Trete ich nicht mehr so jugendfrisch wie früher in die Pedale? Der digitale Routenplaner rechnet mir schonungslos vor, dass ich nur neun Minuten für die Strecke brauchen dürfte, aber tatsächlich sind es zwölf. Das kratzt am Ego. Bis ich bemerke: Es kratzt auch andere, viele, alle Radfahrer in Wien. Schuld sind diese heimtückisch lautlosen, monströs massiven und verboten schnellen Elektromopeds, die unsere Essenszusteller nun statt Fahrrädern einsetzen. Die Algorithmen der Kartendienste deuten sie aber irrtümlich als Räder, das verfälscht den Schnitt. Doch hier geht es um mehr als um in Unordnung geratene Zahlen: Es beendet die jahrtausendealte Epoche der Boten, die ihrem Ziel mit Muskelkraft entgegeneilen.

Noch vor Kurzem strampelten sich Fahrradboten ab, als ginge es um ihr Leben. Atemlos durch die Stadt, unter vollem Körpereinsatz, wendig und kreativ in der Suche nach der besten Route. Wind und Wetter trotzend, den Feinden die Stirn bietend, vor allem den rücksichtslosen Taxifahrern – das schweißte zusammen, schuf Mythen, beeinflusste urbane Subkulturen und Kleidungsmoden. „Tempo“, der schnell geschnittene Kultfilm von Stefan Ruzowitzky, setzte ihnen schon 1996 ein cineastisches Denkmal.

Dass man mit seiner Passion Geld verdienen kann, wenn auch unverschämt wenig, machte Kurier- und Zustelldienste zur beliebten Nebenbeschäftigung für sportliche Studenten und zum Einstiegsjob für ausdauernde Zuwanderer (wenn auch kaum Frauen, die Branche blieb männlich dominiert). Die Wurzeln reichen tief: „Wir haben gesiegt!“, rief der Lauf­bote mit letzter Kraft, nach den 40 Kilometern vom Schlachtfeld bei Marathon bis Athen. Götterbote Hermes bediente sich seiner Flügel an den Schuhen, um Himmel und Erde kommunikativ zu verbinden, und die Engel vieler Religionen taten es ihm gleich.

Das bequeme Fortkommen sei den Fahrern vergönnt. Aber auch uns die Wehmut.

Der berittene Herold verlas die Order des Herrschers, der Briefbote überbrachte geheime Depeschen und innige Liebesschwüre. Auf der Bühne sorgte der gehetzte Bericht des Boten für die klassische Einheit von Ort, Zeit und Handlung.

Vorbei? Wir müssen wohl dankbar sein, dass sich der Botendienst per Körperkraft so lang halten konnte. Seine zweite Chance verdankte er den städtischen Dauerstaus. Wer es eilig hatte, rief nach dem Radl. Erst brachten die Kuriere dringende Akten, dann Disketten, bis das Internet all das erübrigte. Aber eilig haben es auch faule Menschen, die der Hunger quält. Pizza vor die Tür: Diese Verheißung schien flinken Fahrradboten die Zukunft zu sichern.

Von wegen! Motorisierte Riesenhummeln vertreiben sie. Gesteuert werden sie meist von behäbigen, sichtlich unsportlichen Fahrern mit einem erkennbar konträren Berufsethos. Das bequeme Fortkommen sei ihnen vergönnt. Aber auch uns die Wehmut.

Und mit Verlaub: Auf Radwege gehören ihre Gefährte nicht. Zu schwer, zu schnell, zu breit. Wir bitten um Bann, bevor das erste Unglück passiert. Es eilt, Frau Verkehrsministerin. Und falls Sie die Zeitung nicht lesen: Wir schicken sie Ihnen gern per Boten.

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