„Angebot schafft Nachfrage“
Autonome Taxis auf Abruf: Mobilitätsforum zeigt spannende Visionen für Landkreis Miesbach
Wie sieht die Zukunft des Verkehrs im Landkreis Miesbach aus? Darüber haben mehr als 100 Teilnehmer beim Mobilitätsforum in Holzkirchen diskutiert. Spannende Visionen inklusive.
Landkreis – Ein unscheinbarer weißer SUV mit einem schwarzen Kasten auf dem Dach: „Das ist sie, die Zukunft des ÖPNV auf dem Land – auch bei Ihnen im Landkreis Miesbach“, sagte Stefan Carsten beim Mobilitätsforum der Regionalentwicklung Oberland bei Bosch Engineering in Holzkirchen. Das, was der Zukunftsforscher da an die Wand projiziert hatte, war ein autonom fahrendes Auto. Der Aufbau daher auch keine Transportbox, sondern ein hochmodernes Kamera- und Sensorensystem. „Mobileye“ heißt das israelische Unternehmen, das hinter dem Projekt steckt. „On-Demand-Ride-Pooling“ nannte Carsten die Vision, dass jeder Bürger unkompliziert per App eine Mitfahrt in so einem fahrerlosen Taxi buchen kann. „Das wäre das größte Glück für uns alle“, schwärmte der Stadtgeograf. 50 bis 60 Prozent günstiger als der Betrieb einer Buslinie, für die es heutzutage oft eh keine Fahrer mehr gebe.
Vision „On Demand“
Politische Realität
Da war sie also, die konkrete Lösung, die alle Verkehrsprobleme auf dem Land beseitigen könnte. Doch noch ehe die Teilnehmer des Forums ins Träumen kommen konnten, ergriff Josef Rott, Ministerialdirigent aus dem bayerischen Bau- und Verkehrsministerium, das Wort. Und zeigte in seinem Vortrag über die ÖPNV-Strategie des Freistaats die nüchterne politische Realität der Verkehrswende auf. Das fing schon mit der Zielsetzung an. Eigentlich, so Rott, wollte man ja eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 festschreiben, habe sich dann aber auf Drängen des Ministers auf eine „deutlichen Steigerung“ beschränkt.
Letztlich könne der Freistaat ja nur die Richtung vorgeben. Die Kommunen vor Ort seien es, die den besten Einblick hätten, welche Verbesserungen es brauche. Und überhaupt müsse man hier auch die Deutsche Bahn als großen Player einbeziehen sowie die örtlichen Verkehrsbetriebe bis hin zum kleinen Busunternehmen. Aber bevor man neue Linien anbiete, müsse man zunächst dafür sorgen, dass mit einer Attraktivierung des Angebots bestehende besser genutzt werden. Eigentlich wäre es ja schon ein Gewinn, wenn es weniger Zweitwagen gäbe, meinte Rott und kündigte an, der Freistaat werde die Gemeinden bei der Finanzierung nicht im Stich lassen. Allerdings müsse man hier auch gemeinsam Druck auf den Bund ausüben.
Potenzial der Schiene
Deutlich mehr zu sagen hatte MVV-Chef Bernd Rosenbusch. „Das größte Potenzial im Ausbau des ÖPNV hat weiterhin die Schiene“, argumentierte Rosenbusch und widersprach in diesem Punkt auch Zukunftsforscher Carsten. In Sachen Finanzierung waren sich die beiden aber einig. Der Bund habe genug Geld, müsse es nur richtig einsetzen. Gerade im Landkreis Miesbach erkannte der frühere Chef der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) Handlungsbedarf. „Sie sagen immer, sie würden zum ländlichen Raum zählen“, sagte Rosenbusch. „Sie sind aber eine touristische Top-Region. Allerdings mit einem grottigen Bahnangebot, das unter aller Würde für so eine Gegend ist.“ Mit dem MVV-Beitritt habe der Landkreis aber einen wichtigen Schritt beschlossen, zumal dann auch das im ersten Halbjahr 2024 startende „Swipe and Ride“-Ticketsystem mit automatischer Bestpreisberechnung hier ausgerollt werde.
Für die Elektrifizierung empfahl Rosenbusch der Politik, sich nicht von der Angst vor Bürgerbegehren lähmen zu lassen. „Da muss man durch.“ Für das Funktionieren der von Carsten beschriebenen On-Demand-Systeme sei derweil eine Integration in sämtliche Fahrplanauskünfte essenziell, betonte Rosenbusch. Nur dann würden es die Leute auch annehmen und so auf ihr eigenes Auto verzichten.
Unattraktives Auto
Allerdings brauche es für die Veränderung von eingefahrenen Verhaltensroutinen manchmal auch einen kleinen Tritt, ergänzte Antonios Tsakarestos, Forschungsgruppenleiter für Neue Verkehrssysteme im Lehrstuhl für Verkehrstechnik an der TU München. Maßnahmen wie beispielsweise eine City-Maut oder stärker reglementierte Parkplätze würden Pendler und Ausflügler zum Nachdenken bringen. In etlichen Städten und Kommunen sei dieser Prozess schon in Gang gekommen, versicherte Carsten. „Die Leute sind es leid, sich vom Auto alles kaputtmachen zu lassen.“ Die Politik müsse deshalb in (finanzielle) Vorleistung gehen, um Dinge anzuschieben. Anstatt die bereits mit Geld „vollgestopfte“ und dementsprechend träge Autoindustrie weiter mit Milliarden zu bezuschussen, sollten Bund und Länder lieber neuen ÖPNV-Projekten eine dauerhafte Chance geben, sich zu etablieren. Und auch in diesem Punkt widersprach der Zukunftsforscher dem Ministerialdirigenten: „Angebot schafft Nachfrage – nicht umgekehrt.“
Fazit des Landrats
Der Gastgeber des Mobilitätsforums, Landrat Olaf von Löwis, nahm aus Vorträgen und Diskussion vor allem eine mutmachende Botschaft mit: „Schön, dass offenbar doch Geld für die Verkehrswende vorhanden ist.“ Als Nahziele für den Landkreis nannte Löwis ein digitales Parkplatzmanagement sowie mehr Haltepunkte, weitere zweispurige Gleisstellen sowie längere Bahnsteige für den Zugverkehr. Sollten die On-Demand-Systeme wie von Carsten beschrieben tatsächlich kommen, so Löwis, hätten sie eine „riesige Zukunft“ im Landkreis Miesbach.
sg