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Verbrenner-Aus (k)ein Grund für Applaus?

Straßburg. In der EU dürfen in knapp zwölf Jahren keine Neufahrzeuge mehr verkauft werden, die auch nur ein Gramm Schadstoff ausstoßen. Hunderte Millionen bis dahin gekaufte Pkw, die Batterie-Produktion und auch alle Autos im Rest der Welt bleiben unberührt. Die einen feiern das, die anderen sind bestürzt.

verbrenner-aus (k)ein grund für applaus?

Ein Pkw mit doppeltem Auspuff auf einem Parkplatz in Bonn.

Kaum ein Ort in Europa steht an diesem Dienstag im übertragenen Sinne dermaßen unter Strom wie der Plenarsaal des Europäischen Parlamentes in Straßburg. Beide Seiten sind vor der historischen Abstimmung über das Ende des Verbrenner-Motors dermaßen geladen, dass die Funken fliegen. So kommt der deutsche Christdemokrat Dennis Radtke nicht ohne zusätzlichen heftigen Streit am niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans vorbei. Der eine hat als CDU-Sozialpolitiker den europäischen Sozialdemokraten gerade am Rednerpult vorgeworfen, als Interessenvertreter von Industriearbeitern und Leuten mit geringem Einkommen ein „Totalausfall“ zu sein. Der andere hat als Klima-Kommissar das Verbrenner-Aus entwickelt und will damit Industrie und Bürger nicht länger „an die Vergangenheit ketten“.

Es ist an diesem Dienstag eigentlich nur ein Haken hinter die EU-Gesetzgebung zu machen. Der Kommissionsvorschlag hat bereits im vergangenen Spätherbst den sogenannten Trilog durchlaufen. Dabei verständigten sich die Vertreter der Mitgliedsländer und die Unterhändler des Parlamentes auf einen Kompromiss zum Kommissionsentwurf. Gewöhnlich ist dann die Bestätigung durch das Parlament nur noch ein Durchwinken. Doch die europäischen Christdemokraten, die deutschen Liberalen und viele Rechtspopulisten halten die Entscheidung für verhängnisvoll.

Verkehrsexperte Jens Giesecke (CDU) etwa verweist darauf, dass inzwischen alle Berechnungen zu den Preisvorteilen der Elektromobilität wegen hoher Strompreise, Inflation und auslaufender Kaufprämien „nichtig“ geworden seien. Es zeige sich auch, dass die Versprechen der Befürworter eines Verkaufsverbotes für neue Verbrenner ab 2035 nicht einträfen. Statt neue Jobs etwa in der Fabrikation von Batterien in Europa zu bewirken, gingen diese überwiegend in die USA und nach Kanada.

Der deutsche Sozialdemokrat Tiemo Wölken hält dem entgegen, dass die Industrie Planungssicherheit brauche, vor allem mit Blick auf die massiven Investitionen in grüne Technologie, die Länder wie die USA gerade vornähmen. Er wirft den Konservativen vor, dass es ihnen nur um die Lobby für synthetische Kraftstoffe gehe, die aber seien viel zu teuer. „Sie verschließen die Augen vor der Realität“, ruft Wölken.

Grünen-Klima-Experte Michael Bloss warnt sogar: „Wer jetzt noch auf das Verbrenner-Pferd setzt, gefährdet den Industriestandort Deutschland und Europa.“ Mit der Entscheidung melde sich Europa zurück im Rennen um die reichweitenstärksten Batterien und modernsten Autos. Helene Fritzon, schwedische Sozialdemokratin, bescheinigt der Richtlinie, „klima-intelligent“ zu sein. Es wäre aus ihrer Sicht sogar besser, wenn der Ausstieg noch früher einsetzen würde. Anna Deparnay-Grunenberg von den Grünen wünscht sich, das Verbrenner-Aus käme auch für Lkw schon 2035, sagt aber zu diesem Tag: „Lasst uns feiern.“

Das bringt Radtke auf die Palme. Er fragt, ob der Tag für die 3800 Menschen, die bei Ford in Köln ihren Arbeitsplatz verlören, auch Anlass zum Feiern sei. Und dieser Jobabbau sei erst der Anfang. Weder auf bezahlbare Mobilität noch auf Arbeitsplätze zu achten, sei „ziemlich arrogant“. Timmermans lacht ihn dafür aus – was Radtke in seinem Arroganz-Vorwurf bestätigt.

Die Warnungen vor der Entscheidung sind grenzüberschreitend. So unterstreicht ÖVP-Politikerin Barbara Thaler, ein Auto mit Biokraftstoff aus Österreich helfe dem Klima mehr als ein E-Auto aus China oder den USA, das mit Kohlestrom betrieben werde. Angelika Niebler von der CSU spricht von einer „katastrophalen Industriepolitik“. Das sei nicht nur unsozial, sondern helfe auch dem Klima nicht weiter, da außerhalb Europas weiter Verbrenner produziert würden und die vielen Millionen Verbrenner in der EU auch nach 2035 weiter fahren würden.

Die Liberalen sind gespalten. Die Mehrzahl steht hinter dem Aus. Die FDP-Abgeordneten nicht. Jan-Christoph Oetjen sagt für sie, auch mit alternativen Kraftstoffen lasse sich klimaneutral fahren. Um das Klima zu retten seien, Innovation und Erfindergeist nötig. Wer verbiete, habe Angst vor Innovation und Wettbewerb. Die deutschen Liberalen haben in das Verbrenner-Aus eine „Erwägungsbitte“ hineinverhandelt. Damit werde die Kommission um eine Prüfung ersucht, ob auch andere Kraftstoffe nach 2035 genutzt werden könnten. Doch die Grünen haben längst klar gemacht, dass dies allenfalls Sondermodelle wie Feuerwehrfahrzeuge betreffe und ansonsten keinerlei Relevanz habe.

Keine Rolle spielt, wie viel CO2 bei der Produktion von E-Autos zusätzlich entsteht, so lange die energieaufwändige Batterieherstellung nicht mit Erneuerbaren läuft. Ausgeblendet wird auch, dass wegen der Unmengen benötigter Seltener Erden die Abhängigkeit von China massiv steige. Ansonsten gilt: Bis 2030 müssen die Neuwagenflotten ihren Schadstoffausstoß um 55 Prozent gegenüber 2021 reduzieren, ab 2035 um hundert Prozent. Bis 2035 sind nur Luxuskarossen mit weniger als tausend Stück pro Jahr ausgenommen. Die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst findet das „unglaubwürdig“ und meint: „Das ist so, als würden die Auspuffe von Luxuskarren statt Abgas Golddukaten furzen.“

Abstimmung: Die Mehrheit steht, wie erwartet. Aber angesichts von 340 Ja-Stimmen und 21 Enthaltungen sind 279 Nein-Voten beachtlich. Sie enthalten die Botschaft, die eingebaute Überprüfung in drei Jahren sehr ernst zu nehmen. Nicht nur in Sachen Golddukaten.

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