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Freiheitsliebe und Elektromotorräder – passt das zusammen?

Bei den grossen traditionellen Motorradmarken war es ausgerechnet Harley-Davidson, die als erste den Sprung ins kalte Wasser wagte und ein Elektrofahrzeug entwickelte. Seit vier Jahren bietet Harley die vollelektrische Live-Wire an. Das kam für viele überraschend, ist die Marke doch bekannt für den knatternden Sound des Auspuffs bei ihren Benzinern.

In der Dokumentarserie «Long Way Up» von 2020 zeigen die motorradbegeisterten britischen Schauspieler Ewan McGregor und Charley Boorman die Herausforderungen einer hunderttägigen Motorradreise mit der Live-Wire durch abgeschiedene Gebiete. Von der Südspitze Südamerikas, Ushuaia in Tierra del Fuego, setzten sie an, um 20 000 Kilometer und dreizehn Länder hinter sich zu legen.

Die Frage, wo die Zweiradstromer aufgeladen werden können, machte den beiden Fahrern von Beginn an zu schaffen. Die Crew liess auf der Route ein paar Schnellladestationen installieren. Würden die Batterien der Kälte standhalten? Schon nach kürzester Zeit strandeten sie im Nirgendwo, die Anzeigen der Motorräder gingen aufgrund der Kälte nicht mehr an. Schliesslich wurden sie auch noch von einem Stromausfall aufgehalten. Um zeitig voranzukommen, bestellten sie sich schliesslich einen Dieselgenerator.

Die Wahl des Herzens

Die umfassende Planung, die eine lange Reise mit einem vollelektrisch betriebenen Fahrzeug benötigt, ist – wie bei den Autos – auch für Motorradfahrer ein grosses Hindernis. Es widerspricht dem Freiheitsgedanken, wonach man sich auf sein Gefährt schwingt und einfach losfährt, wohin man will. Ein Auto fahren die meisten, um von A nach B zu gelangen. Töfffahren ist ein Lifestyle. Viele fahren um des Fahrens willen. Paolo Sardi, freischaffender Journalist und langjähriger Kenner der Branche, formuliert es so: «Im Gegensatz zum Auto ist das Motorrad eine Entscheidung des Herzens.»

Die Herausforderungen der leistungsstarken E-Bikes sind seit Jahren dieselben, wie ein Besuch bei der Motorradmesse Eicma im Nordwesten Mailands zeigt: Hunderttausende von Menschen strömten im November an die Eicma. Bei der Station des Messegeländes Rho Fiera empfing sie am Ende der Unterführung eine Werbeaufschrift von Kawasaki: «Go with Green Power».

Die Entstehung der Überschrift dieser Initiative muss für die Marketingverantwortlichen der Marke ein Selbstläufer gewesen sein. Grün ist die typische Erkennungsfarbe von Kawasaki. Grün wird von der Gesellschaft und der Politik immer mehr gefordert – auch für die motorisierte Welt. Elektroroller gibt es bereits zuhauf, etwa von der chinesischen Marke Yadea. 13,8 Millionen E-Roller hat der Hersteller 2021 verkauft. Seit einigen Jahren nimmt nun auch das Angebot an leistungsstarken E-Motorrädern an der Eicma zu.

Ein bisschen grün werden einige

In Mailand präsentierte der japanische Konzern Kawasaki drei Prototypen für eine grünere Zukunft. Die elektrischen 125er Ninja EV und Z EV sollen bereits 2023 verkauft werden. Die hybride Maschine HEV soll 2024 auf den Markt kommen. Ausgestellt war zudem ein Wasserstoffmotor. Die maximalen Reichweiten und Geschwindigkeiten sind noch unter Verschluss.

Kawasaki wolle verschiedene Wege gehen und mögliche Zukunftsszenarien aufzeigen, sagte ein Marketingverantwortlicher. Das schliesse alternative Treibstoffe mit ein. Doch für Kawasaki ist klar: Am Verbrennungsmotor wird festgehalten. Es ist ein vorsichtiger Versuch des grossen traditionellen Motorradherstellers, in die Welt der Elektromotorräder vorzustossen. Manche Marken haben nur einen batteriebetriebenen Töff im Angebot, die meisten sind ausschliesslich für den Stadtverkehr brauchbar, wo sie sich beim Stop and go wieder selbst aufladen. Bei einigen ist noch unklar, wann sie auf den Markt kommen.

freiheitsliebe und elektromotorräder – passt das zusammen?

«Go with Green Power» – Kawasaki liebäugelt nach eigenen Angaben mit Klimaneutralität und präsentiert eine motorisierte Zukunft mit E-Fuels, Hybriden und batteriebetriebenen Motorrädern. Roberto Tommasini / Imago

Sind diese Angebote nur schlaues, gezieltes Marketing, weil umweltfreundliche Bestrebungen in Europa gerade gefragt sind? Für Sardi ist das ein klarer Fall von Imagepflege.

Die Reichweiten sind eine Blackbox

Als Pionier für E-Motorräder gilt ein Amerikaner: Zero Motorcycles, gegründet im Jahr 2006. Keine Marke bietet mehr Modelle von leistungsstarken elektrisch betriebenen Motorrädern an. Gerne wäre das Unternehmen aus Kalifornien bekannt als das «Tesla» der Motorradbranche – zumindest verglich ein Vertreter von Zero die beiden Hersteller.

Die Höchstgeschwindigkeit der schnellsten Maschine von Zero, der SR/S, wurde bei 200 km/h limitiert. Innerorts soll ihre Reichweite 300 Kilometer betragen. Ausserhalb der Stadt kommt sie vielleicht 180 Kilometer weit.

Der grösste Konkurrent von Zero, der italienische Hersteller Energica, gibt für die EsseEsse9 auch eine Maximalgeschwindigkeit von 200 km/h an. In einer urbanen Umgebung soll die Maschine eine Reichweite von 420 Kilometern erreichen können, auf der Autobahn könnte die Batterie nach 180 Kilometern bereits leer sein. Die offizielle Angabe zur Reichweite ausserorts liegt bei 208 Kilometern.

Diese Daten sind jedoch alle mit Vorsicht zu geniessen. Die Zahlen variieren zwischen 150 und 420 Kilometern, wobei letztere nur bei einer konstanten Geschwindigkeit oder Stop and go im Stadtverkehr realistisch ist. Hier kauft man die Katze im Sack.

Ein möglicher Trend für die Stadt

Die beschränkte Reichweite gibt die Zukunft vor: Elektromotorräder sind derzeit für urbane Pendler gedacht. In den kommenden Jahren werden sie wohl das Bild des Stadtverkehrs mitprägen.

Mehrere Hersteller von elektrischen Motorrädern wollen an der Messe ihre genauen Verkaufszahlen nicht offenlegen. Im Jahr 2021 hatten sie insgesamt einen Marktanteil von weniger als einem Prozent. Von der Live-Wire wurden vergangenes Jahr laut Medienberichten fünfhundert verkauft. Von ein paar hundert verkauften Einheiten ihrer elektrischen Modelle berichten auch kleinere Händler vor Ort. Vorhersagen über die Zukunft wagen mochte an der Eicma niemand.

Wie gross ist das Interesse an den Elektromotorrädern zurzeit? Ein 30-jähriger Arzt aus Milano, der eine Honda CB 650 R besitzt, sagt, er werde sich für den Stadtverkehr voraussichtlich einen E-Roller besorgen. «Er ist sehr komfortabel, erzeugt keine Umweltverschmutzung und keinen Lärm und hat einen perfekten Geschwindigkeits- und Beschleunigungsbereich», lautet seine Begründung.

Bei Rennmotorrädern schliesst er diesen Schritt aus. Niemals würde er auf das Spüren der Motorvibrationen verzichten wollen. Auch der Lärm würde ihm fehlen. Ein langjähriger Roller-Fahrer, 63 Jahre, sieht das gleich: «Der Sound macht die Hälfte des Vergnügens aus.»

Ein Motorrad muss rattern, heulen. Da wirkt das Geräusch bei der DC100 des chinesischen Startups Davinci Motor erst einmal befremdlich. Davinci hat beim Sound nicht versucht, Vertrautheit für Motorradnostalgiker zu schaffen. Stattdessen klingt die Maschine mit der bullig verkleideten Batterie wie ein startender Jet.

Alte Probleme: nach wie vor zu teuer

Der Preis ist ein weiteres Hindernis: Beim Stand von Davinci stieg eine junge Italienerin mit rosa gefärbten Haaren auf die DC100 in dunklem Mattgrau. Ob sie sich vorstellen könnte, so eine Maschine zu fahren? Sie schliesse es nicht aus, antwortete sie, in ein paar Jahren ein batteriebetriebenes Motorrad zu fahren. Derzeit seien ihr diese aber noch zu schwer und zu kostspielig.

Leistungsstarke batterieelektrische Motorräder erhält man erst ab zirka 25 000 Euro. Sie sind noch zu teuer für das, was sie bieten. Mit demselben Betrag können sich die Kunden auch ein neues Auto kaufen. Das macht sie eher zu einem Produkt für Grossverdiener. Nur schwächere Fahrzeuge gibt es günstiger zu haben.

In Ländern wie Italien fehlt zudem noch die notwendige Infrastruktur, einige nordeuropäische Länder sind besser ausgerüstet mit Ladestationen. Paolo Sardi betont ein weiteres Problem: «Diese Technologie wird schnell alt.» Gerade die Batterien würden in raschem Tempo weiterentwickelt. Die E-Töffs verlieren auf diese Weise sehr schnell an Wert.

Langsame Entwicklung

Die grossen Zweiradstromer kommen, aber es ist ein langsamer Prozess, nicht vergleichbar mit dem der Elektroroller. Diese boomen. Zwar befassen sich immer mehr Motorradhersteller mit der E-Mobilität, die Neuzulassungen – etwa von 125ern – steigen, die Technik wird sich weiterentwickeln und die Ladeinfrastuktur ausgebaut werden. Doch vorerst werden auch die leistungsstarken E-Töffs ein urbaner Trend – und bleiben auf den Landstrassen eher eine Begleiterscheinung. Denn die E-Mobilität hat in der Motorradwelt nicht nur technische Hürden zu nehmen.

Das Geknatter des Auspuffs, der Benzingeruch – die Eigenschaften des Verbrennungsmotors lösen Emotionen aus. Die spontanen Ansammlungen an der Eicma zeigten, wofür sich die Motorradfanatiker begeistern. Noch giert der Motorradnachwuchs um die neusten Versionen der schnellsten Benziner.

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