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Fantic und der venetianische Weg

Kaum zu glauben: Fantic legt einen atemberaubenden Wiederaufstieg hin. Ohne Kapital aus China. Dafür mit Eignern aus Norditalien und Yamaha als Partner.

Fantic und der venetianische Weg

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Gut möglich, dass sich eine solche italienische Erfolgsstory nur im Veneto, der Region rund um Venedig, schreiben lässt. Die Menschen im Nordosten Italiens gelten als die Schwaben südlich der Alpen: arbeitsam, erfinderisch, mit technischer Affinität. Beispiele gefällig? Aprilia und Laverda kommen aus dem Veneto, ebenso Alpinestars, Dainese und Spidi, außerdem viele kleinere Spezialisten wie Stiefelhersteller Gaerne.

Nix mit “Made in China”

Dazu gesellt sich Fantic mit seinem erstaunlichen Aufstieg. Das neueste Modell der Norditaliener, das sie im November auf der EICMA zeigten, machte viel von sich reden. Der Scambler Caballero 700 weckte nicht nur mit seiner gelungenen Optik, sondern mit der Technik Begehrlichkeiten. Sein Zweizylinder-Reihenmotor stammt von Fantics Partner Yamaha, wo er unter anderem die MT-07, die XSR 700 und die Ténéré antreibt. In der Caballero soll er sogar etwas mehr Leistung entwickeln als in den Yamahas, nämlich 75 PS. Neugierig machen die weiteren Daten: 191 Kilogramm fahrfertig, leicht stollige Bereifung mit 19-Zöller vorn, solides Fahrwerk mit kräftiger MarzocchiGabel, Ride-by-Wire, Traktionskontrolle und Kurven-ABS. Und das alles nicht “made in China”, sondern entwickelt im Veneto und gefertigt im hauseigenen Werk Motori Minarelli bei Bologna. Klingt ganz nach einem munteren Spielgefährten für die neue Lust am Fahren jenseits allen Leistungsstrebens. Die Caballero 700 markiert den vorläufigen Höhepunkt des rasanten Neustarts von Fantic.

Das dritte Leben von Fantic

Das dritte Leben der Marke, die 1968 gegründet wurde (siehe Kasten S. 118), begann im Oktober 2014 mit der Übernahme durch die Aktiengesellschaft VeNetWork, ein Zusammenschluss von Unternehmern aus dem Veneto. Die Produktion bestand damals aus wenigen Offroad-Maschinen, der Umsatz lag bei nicht einmal einer Million Euro. Die neuen Eigner unter Führung des erfahrenen Ingenieurs Mariano Roman blieben bei der Positionierung im Offroad-Bereich, machten sich flugs daran, neben Motorrädern gewinnträchtige E-Bikes zu entwickeln, ebenso zwei Motards, die bei den jungen Fahrern gut ankamen. Ende 2016 kündigten sie ihr erstes echtes Straßenmotorrad an: die Caballero, benannt nach dem bekanntesten historischen Fantic-Modell, zunächst mit 125, 250 und 500 Kubik.

2019 folgte der große Coup: die Partnerschaft mit Yamaha. Die beiden Hersteller verband bereits eine Zusammenarbeit, denn Fantic bezog einen 50er-Zweitakter und einen 125er-Viertakter von Yamahas italienischem Motorenwerk Motori Minarelli in Calderara di Reno, einem Vorort von Bologna. Durch Yamaha kamen weitere Motoren mit 125 und 250 Kubik hinzu, was Fantic den Ausbau seiner Cross- und Enduro-Palette erlaubte. Danach ging es Schlag auf Schlag: 2020 kehrte Fantic mit der Enduro-EM in den Rennsport zurück und übernahm obendrein das Minarelli-Werk. Daneben ließen die umtriebigen Manager in Santa Maria di Sala nahe Venedig ein Hightech-Entwicklungszentrum errichten, inklusive energiesparender Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach. 2022 wagte Fantic den Schritt in die Königsdisziplin des Offroad-Sports, die Motocross-Weltmeisterschaften der Klassen MXGP und MX2. Schließlich schickte Fantic werbewirksam den italienischen Altmeister Franco Picco zur Rally Dakar, denn ab 2023 zählt ein 450er-Rallye-Modell zur Produktpalette.

Italienischer Hans Dampf

So viele Neuerungen in kurzer Zeit reichen, um selbst Kennern der Szene den Kopf schwirren zu lassen. Doch das Konzept, in allen Töpfen zu rühren, egal ob Offroad- oder Straßenmotorräder, Fahrräder, E-Mobilität für die Stadt, Rennsport oder eine eigene Motorenproduktion – es funktioniert. Der Erfolg verhalf der Marke zu Anerkennung in der Branche. Das war nicht immer so: Weil der aus China stammende Motor der Caballero 500 zunächst mit technischen Problemen kämpfte und Fantic als italienischer Importeur des Herstellers Mash fungierte, der in China produziert, wurden die Newcomer aus dem Veneto gelegentlich mit chinesischen Marken über einen Kamm geschoren. Das wurmt bis heute, denn das Kapital der Firma stammt zu 100 Prozent aus Italien. Doch statt darüber zu jammern, lässt Fantic-Chef Mariano Roman lieber Zahlen sprechen. Aus den sechs Angestellten, die der Hersteller 2014 hatte, sind in acht Jahren 600 geworden, gleichzeitig kletterte der Umsatz von nicht mal einer Million auf 200 Millionen Euro. 20.000 E-Bikes produzierte Fantic im Jahr 2022, dazu 21.000 Motorräder. Ohne die Probleme in der Lieferkette hätten es laut Roman sogar 4.000 mehr sein können.

700er und Moto2-WM

Doch das soll’s noch nicht gewesen sein. Die aktuellen Fantic-Aktivitäten zielen auf die Straße, nicht nur mit der Caballero 700. Ab sofort startet der Hersteller in der Moto2-WM, und zwar mit dem VR46-Team von Valentino Rossi. Dahinter steckt wohl nicht nur italienische Rennsport-Begeisterung, sondern der Plan, weitere Straßenmodelle zu bringen, denn irgendwo muss das angepeilte Wachstum ja herkommen. Für das Jahr 2025 plant Fantic einen Umsatz von über 500 Millionen Euro, erwirtschaftet mit bis dahin 1.600 Mitarbeitern – das wären etwa so viele wie beim italienischen Motorrad-Primus Ducati. Der venezianische Weg scheint weiter steil bergauf zu führen.

Was heißt eigentlich Fantic?

Der Name sollte zünden bei den jungen Italienern, die gerade die US-Popkultur für sich entdeckten. Daher verpassten Mario Agrati und Henry Keppel, beide zuvor beim Hersteller Garelli, ihrer Neugründung den englisch klingenden Namen Fantic. Das war 1968, in Barzago nahe des Comer Sees. Bald erschien die erste Caballero, benannt nach der niederländischen Zigarettenmarke, die Keppel rauchte.

Die 50er-Geländemaschine war ein voller Erfolg – und blieb es für viele Jahre. Weitere ungewöhnliche 50er folgten, etwa die Chopper, inspiriert vom Film “Easy Rider”. Entscheidend für Fantic blieb der Offroad-Bereich, der um Trial-Modelle erweitert wurde, mit denen die Marke sogar drei WM-Titel holte. Doch gute 50er boten inzwischen die Japaner, größere Modelle brachten keine Rettung; 1997 machte Fantic dicht.

Fünf Jahre später kaufte der Espresso-Maschinenhersteller Federico Fregnan, ein begeisterter Geländesportler, die Marke und verpflanzte sie vom Nordwesten Italiens in den Nordosten, ins Veneto. Er hielt eine kleine Offroad-Produktion am Leben, doch vom Markt war Fantic faktisch verschwunden. Die Rückkehr gelang erst den jetzigen Eignern von VeNetWork, die die Marke Ende 2014 übernahmen.

Fazit

Wenn es um alte italienische Marken geht – und davon gab es viele – und einen Neubeginn ist der erste Reflex: Aha, was aus China. Bei Fantic stimmt das nicht. Der italienische Hersteller war nicht chinesisch. Einzig die ersten Motoren stammten von dort, doch mittlerweile gehört Motorenbauer Motori Minarelli zum Konzern und die Partnerschaft mit Yamaha bringt nicht nur offroad einen Technologietransfer: Die neue Caballero 700 wird vom bekannten Yamaha-Twin mit 689 Kubik angetrieben.

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