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Autonomes Fahren: Hier rollt Sachsen Richtung Zukunft

Auf der B170 bei Dresden wird autonomes Fahren erforscht. Beim Ortstermin erklären die Forscher, welcher Stand erreicht ist und wie es jetzt weitergeht.

autonomes fahren: hier rollt sachsen richtung zukunft

Hände ans Lenkrad: Laut Sicherheitskonzept darf Dr. Michael Klöppel-Gersdorf vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI noch nicht loslassen. © www.loesel-photographie.de

Die Zukunft des Autofahrens kommt bieder daher. Äußerlich gleicht der weiße Passat nahezu vollständig seinen weniger intelligenten Artgenossen. Einzig die schwarzen Sensoren in den Stoßfängern und diverse Antennenbuckel auf dem Dach verraten, dass hier kein gewöhnlicher Mittelklassekombi vorbeifährt, sondern ein speziell ausgestatteter Testwagen. Einer, der bei Bedarf auch ohne Fahrer ans Ziel kommen würde – und das zumindest im Probebetrieb schon tut.

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Auf der B170 zwischen Dresden und Bannewitz können Wissenschaftler und Autohersteller automatisiertes Fahren testen. Eine längere Erprobungsstrecke soll in einigen Jahren auf der Staatsstraße 177 östlich von Dresden entstehen. © Jürgen Lösel

Wer das Auto des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI im fließenden Verkehr sehen will, sollte auf der Bundesstraße 170 zwischen Dresden und Bannewitz die Augen offen halten. Dort ist im Herbst vergangenen Jahres die wohl modernste Straße Sachsens freigegeben worden. Ein acht Kilometer langer und von Funkstationen, Sensoren, vernetzten Ampeln und speziellen Fahrbahnmarkierungen gesäumter Abschnitt dient als Testfeld für Autohersteller und Forscher, die ihre Systeme fürs autonome Fahren in der Praxis prüfen wollen.

„Das Besondere ist, dass die Strecke im Norden an das innerstädtische Dresdner Testfeld anschließt“, sagt IVI-Wissenschaftler Michael Klöppel-Gersdorf. So können er und sein Kollege Thomas Otto den Passat durch unterschiedlich komplexe Verkehrssituationen schicken. Das Gehirn des virtuellen Fahrers füllt den Kofferraum: drei Rechner, von denen einer die Kontrolle über Gas, Bremse und Lenkung übernimmt, wenn die Person am Steuer die Freigabe erteilt. Die anderen beiden Rechner dienen als Reserve oder übernehmen andere Aufgaben.

Fahrerlose Autos auf hiesigen Straßen? Diese Zukunftsvision wird schon seit Jahrzehnten in Aussicht gestellt. Doch die Prognosen haben sich immer wieder als zu optimistisch erwiesen. Einerseits sind die technischen Anforderungen extrem hoch, andererseits haben Politiker, Juristen und Fachleute lange über rechtliche und ethische Fragen diskutiert.

Einige wichtige Weichenstellungen sind inzwischen erfolgt. 2021 haben Bundestag und Bundesrat ein Gesetz verabschiedet, das die Teilnahme vollständig autonomer Fahrzeugen am öffentlichen Straßenverkehr generell ermöglicht. Die Technik muss so weit fortgeschritten sein, dass die Person hinterm Lenkrad zum Passagier wird, weil das Fahrzeug selbst bremst, beschleunigt, lenkt und anhält. Vollautomatisiertes Fahren oder Level 4 heißt das im Fachjargon. Bei Level 5, der höchsten Stufe, kommen Autos, Lastkraftwagen oder Busse ohne Lenkrad aus.

Fünf Stufen bis zum autonomen Fahren

  • Stufe 1 – Assistiertes Fahren: Auto hilft Fahrer mit Assistenzsystemen wie Abstandsregeltempomat oder Spurhalteassistent.
  • Stufe 2 – Teilautomatisiertes Fahren: Auto übernimmt bestimmte Aufgaben, hält die Spur, bremst, beschleunigt, überholt, parkt ein. Die Funktion Full Self-Driving (FSD) in Tesla-Fahrzeugen, oft Autopilot genannt, bietet Level-2-Funktionen. Teilweise wird zwischen Level 2 und Level 2+ unterschieden.
  • Stufe 3 – Hochautomatisiertes Fahren: Auto fährt begrenzte Zeit unter definierten Bedingungen selbst. Der Fahrer kann im Level-3-Modus ein Buch lesen, muss aber bei Warnsignalen übernehmen. Weltweit erster Hersteller mit zugelassenem Level-3-Funktionen ist Mercedes. Der Drive Pilot im E-Modell EQS oder der S-Klasse kostet wenigstens 5.950 Euro.
  • Stufe 4 – Vollautomatisiertes Fahren: Der Fahrer wird auf bestimmten zum Passagier, das Fahrzeug übernimmt alle Funktionen.
  • Stufe 5 – Autonomes Fahren: Fahrzeug wird von Start bis Ziel vom System geführt. Es gibt keinen Fahrer mehr, nur noch Passagiere.

„Level 4 ist deshalb für den öffentlichen Verkehr so relevant, weil man im Linienverkehr keinen Fahrer mehr braucht“, sagt IVI-Gruppenleiter Thomas Otto. Der Vorwurf, auf diese Weise würden Leute arbeitslos gemacht, laufe übrigens ins Leere. „Vielmehr können wir auf diese Weise einen Engpass beim Fahrpersonal lösen.“ Gerade im ländlichen Raum gehe es darum, ein Angebot zu schaffen, das „attraktiver ist als das heute vorhandene“, sagt der Verkehrsingenieur.

Wie solche Angebote aussehen können, zeigt der Landkreis Nordsachsen. Hier lassen Kreisverwaltung und Verkehrsgesellschaft einen automatisierten Kleinbus zwischen dem S-Bahnhof Rackwitz und dem Schladitzer See pendeln. Das Pilotprojekt läuft seit 2019, kürzlich hat der reguläre Betrieb begonnen. „Ab 18. Mai wird der Bus von Donnerstag bis Sonntag morgens bis abends als fester Linienverkehr im Einsatz sein“, kündigt der zuständige Sachgebietsleiter Christian Hoyas an.

Regulär fährt der VW Crafter mit bis zu 50 km/h, dieses Jahr soll noch auf 60 gesteigert werden. Maximal 20 Passagiere können mitfahren. Aus rechtlichen Gründen sei noch ein Sicherheitsfahrer an Bord, erklärt Hoyas. „Wir planen aber, diesen im Rahmen eines Folgeprojektes aus dem Fahrzeug zu bekommen.“

Ein ähnliches Vorhaben lief zuletzt in Leipzig. Dort arbeitet ein Konsortium namens Absolut unter Federführung der städtischen Verkehrsbetriebe ebenfalls an einem Level-4-Projekt. Dabei sei das Testfahrzeug mit Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h zwischen dem Messegelände und dem BMW-Werk gefahren, sagt Projektleiter Mario Nowack. Laut Genehmigung wären sogar 70 möglich – genau wie in Rackwitz.

Diese Geschwindigkeiten sind deshalb erwähnenswert, weil viele autonome Shuttlebusse in Deutschland maximal mit Tempo 20 dahinzuckeln. Was selbst jenen zu langsam sein dürfte, die dem ÖPNV grundsätzlich wohlgesonnen sind.

Ein weiteres Projekt in Sachsen widme sich dem sogenannten Platooning, sagt Thomas Otto. „Das heißt, dort werden mehrere kleine Fahrzeuge virtuell gekoppelt.“ Nötig seien Platoons in Stoßzeiten, etwa um Schüler zum Unterricht und danach wieder nach Hause zu bringen. „Außerhalb dieser Zeiten wird entkoppelt, und es fährt nur ein Fahrzeug.“

Für Autofahrer geht es derzeit nicht über Level 3 hinaus. In diesen Automatisierungsgrad fällt laut Kraftfahrtbundesamt das automatische Spurhaltesystem Drive Pilot von Mercedes. Wer es im Stop-and-Go auf der Autobahn aktiviert, kann die Hände vom Steuer, den Fuß von den Pedalen und den Blick vom vorausfahrenden Verkehr nehmen. Bis Tempo 60 kommt das Auto allein klar. Allerdings müssen auch die Licht- und Temperaturverhältnisse passen.

„Es ist natürlich faszinierend und immer noch was etwas anderes, das in einem Serienfahrzeug zu erleben, als es nur zu testen“, sagt selbst Thomas Otto. Für Skeptiker ohne Erfahrung mit aktuellen Assistenzsystemen sei das sicher noch anders. „Da ist oft eine gewisse Distanz. Doch die verlieren die Leute schnell, wenn sie merken, wie problemlos alles funktioniert.“

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Auch für ihn seien serientaugliche Level-3-Systeme wie der Drive Pilot von Mercedes noch faszinierend, sagt Fraunhofer-IVI-Wissenschaftler Dr. Thomas Otto. © Fraunhofer IVI

Der Aufwand dafür ist unbestritten hoch – nicht nur im Auto, sondern auch entlang der Straße. Autonomes Fahren funktioniert nur mit viel Bandbreite und kurzen Latenzzeiten bei der Datenübertragung zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur. „Wir reden von Kommunikation, die nahezu in Echtzeit stattfinden muss“, sagt Christian Leitzke vom Landesamt für für Straßenbau und Verkehr (LASuV).

Als nächste Strecke in Sachsen soll die Ostumfahrung von Dresden fürs autonome Fahren ertüchtigt werden. Vorher ist aber noch der Ausbau der Staatsstraße abzuschließen. Klar ist schon, dass dieses Folgeprojekt andere Dimensionen hat als das auf der B170. Laut Leitzke soll eine Strecke von rund 35 Kilometern ausgebaut werden.

Dass Level-4-Fahrzeuge Alltag werden, werde er noch im Lauf seiner beruflichen Laufbahn erleben, glaubt der 45-Jährige. „Zumindest im öffentlichen Verkehr. Vielleicht noch bei Lastkraftwagen auf Autobahnen, wo es definierte Spuren, wenig Überholmanöver, keine Kreuzungen, Ampeln, Radler oder Fußgänger gibt.“ Beim Auto sei er da pessimistischer.

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