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VW-Chef Oliver Blume: „Dinge schönzureden hilft uns nicht“

vw-chef oliver blume: „dinge schönzureden hilft uns nicht“

Sein Job gilt als der schwerste in der deutschen Industrie: „Wenn man etwas verbessern will, dann braucht es Klartext“, sagt VW-Chef Oliver Blume.

Besonders charmant war der Ort nicht, an den Volkswagen-Chef Oliver Blume eingeladen hatte: ein kantiger Plattenbauklotz von einem Hotel, weit draußen in der Berliner Peripherie gelegen. Aber die riesige Herberge im Stadtteil Neukölln hat einen entscheidenden Vorteil: Es gibt hier jede Menge Platz – und genau den brauchte Blume für das, was er vorhatte.

Und so strömte vier Tage vor Heiligabend aus der ganzen Welt eine Heerschar von 1000 Volkswagen-Managern zur Klausurtagung nach Berlin. Keine Shuttle-Busse zum Veranstaltungsort, alle sollten unter einem Dach schlafen, so hatte es sich Blume gewünscht. Deshalb saß die globale Führungsriege des Autobauers jetzt hier in Neukölln.

An ein solch gewaltiges Stammestreffen wie das von Blume zelebrierte können sich auch altgediente VW-Mitarbeiter nicht erinnern. Aber es sind ja auch besondere Zeiten. Dem Konzernchef ging es zum Ende dieses für Volkswagen wie für ihn selbst bewegten Jahres nicht nur darum, seine Manager auf die gemeinsamen Ziele einzuschwören. Er wollte ein Ausrufezeichen setzen.

Es war ein Freitagnachmittag im Juli 2022, als Oliver Blume Knall auf Fall zum neuen VW-Chef gekrönt wurde. Sein Vorgänger Herbert Diess hatte in der Wolfsburger Konzernzentrale zu viel Erde verbrannt, als dass der mächtige Clan der VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch mit ihm noch weitermachen wollte. Oliver Blume, bislang Produktionsvorstand und Chef der von den Familienpatriarchen heiß und innig geliebten Sportwagenmarke Porsche, trat Anfang September als neuer Hoffnungsträger den wohl schwierigsten Chefposten der deutschen Industrie an.

„Den richtigen Wumms verloren“

Blume wirkt trotz seiner 54 Jahre in vielen Situationen noch immer jungenhaft. Manche, die ihn lange kennen, sagen, unternehmensintern erscheine sein Auftritt manchmal fast schüchtern. Er ist jedenfalls ganz anders als die früheren Management-Raubeine an der VW-Spitze wie Herbert Diess oder der über den Skandal um Abgasmanipulationen bei Dieselmotoren gestürzte Martin Winterkorn. Blume spricht viel vom Teamgeist, von der Wertschätzung von Mitarbeitern und davon, wie wichtig es sei, „konstruktiv zu bleiben“.

Aber das 13. Stockwerk des VW-Bürohochhauses in Wolfsburg, die Chefetage des Konzerns, ist nichts für Softies. Wer hier das Ruder in der Hand hält, der muss einen Industriekoloss mit mehr als einem Dutzend Auto- und Lastwagenmarken von Skoda bis Bentley im Griff haben. Es gilt, eine Organisation mit 660 000 Mitarbeitern und weltweit rund 120 Fabriken zu steuern – und das in einer Zeit, in der die Autoindustrie vor dem größten Wandel ihrer Geschichte steht. Vor allem aber: Volkswagen ist wegen der starken Stellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, dem Land Niedersachsen als Großaktionär und den Porsche-Piëchs, die sich untereinander auch nicht immer grün sind, ein machtpolitisch sagenhaft kompliziertes Gesamtkunstwerk. Das macht den Spitzenposten in Wolfsburg zum Schleudersitz. Blume ist der vierte VW-Chef in sieben Jahren.

Das ist die Ausgangslage, als der Konzernchef im Dezember in Berlin die Bühne betritt. Blume trägt schwarze Jeans, Sakko und Wollpulli. Er spricht englisch, und was er sagt, ist typisch Blume. Das heißt: Er fängt erst mal mit einer ausgiebigen Lobrede an. Ob Audi, Porsche, Skoda oder Lamborghini – der Chef gratuliert nacheinander allen Marken zu ihren großen und kleinen Erfolgen. Selbst für die so wichtige wie problembehaftete Software-Sparte Cariad, die VW in die digitale Zukunft hinüberbeamen soll, findet er erbauliche Worte. Ein Fest der vorweihnachtlichen Harmonie.

Aber dann schaltet Blume um. Es folgt eine detaillierte und ziemlich schonungslose Bilanz der Schwächen von Volkswagen: Die Produkte in den Schlüsselmärkten China und USA? Nicht voll konkurrenzfähig. Die Elektroautostrategie von VW? Kam spät, bis heute bleibt die Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge hinter der Konkurrenz zurück. Das automatisierte Fahren? VW muss schneller werden, um mithalten zu können. Blume ruft in die Halle: Viele hätten die Inspiration verloren und auch „the right punch“, den richtigen Wumms.

Vier Wochen später, ein Donnerstagmorgen Mitte Januar. In Davos trifft sich gerade die globale Manager-Elite zum Weltwirtschaftsforum. Oliver Blume ist nicht in den Schweizer Bergen, sondern im Büro in der Porsche-Zentrale in Stuttgart-Zuffenhausen. Er ist der einzige Manager, der zwei Dax-Unternehmen gleichzeitig leitet: Volkswagen und die seit dem Herbst ebenfalls börsennotierte Sportwagenmarke. Für Davos hat der Doppel-Chef Blume keine Zeit. Zu viele Baustellen im eigenen Konzern.

„Wenn man etwas verbessern will, braucht es Klartext“

Seine unmissverständliche Auflistung der Schwächen von Volkswagen habe in Berlin nicht allen gefallen, sagt Blume. „Aber wenn man etwas verbessern will, dann braucht es Klartext. Dinge schönzureden hilft nicht beim Erreichen unserer Ziele.“ Und die sind hoch gesteckt: „Unsere Ambition ist, dass Volkswagen auch bei Elektroautos und der Software ein weltweit führender Akteur ist“, sagt Blume.

Bislang ist Volkswagen noch weit entfernt von der Weltspitze der Elektromobilität. 2022 hat der amerikanische Erzrivale Tesla mehr als doppelt so viele vollelektrische Autos verkauft wie alle VW-Marken zusammen. Auch die chinesischen Hersteller BYD und SAIC waren den Wolfsburgern klar voraus. „Das Ziel ist nicht Größe um jeden Preis“, sagt Blume. „Mir geht es bei unseren Ambitionen um Sinn und Mehrwert, um profitables Wachstum.“

Tesla hat gerade in den USA, China und auch in Deutschland drastisch die Preise gesenkt, um Marktanteile zu gewinnen. Blume dagegen schließt das für die hauseigenen Produkte aus: „Wir haben eine klare Preisstrategie und setzen dabei auf Verlässlichkeit. Wir vertrauen auf die Stärke unserer Produkte und Marken.“ Wer Preise permanent nach oben und unten verändere, der verliere Glaubwürdigkeit. Blume fürchtet, dass VW in eine Abwärtsspirale der Preise geraten könnte, wenn man damit erst einmal anfange.

Groß ist der Abstand zur Weltspitze auch in der Digitaltechnik, die immer mehr zur Schlüsseltechnologie im Automobilbau wird. „Worüber wir hier in Europa jahrelang diskutieren, das bauen die Chinesen binnen Monaten“, beklagt ein ranghoher VW-Manager. Wenn es um die digitale Vernetzung des Autos, um erstklassige Infotainment-Technik und um die Entwicklung elektronischer Fahrassistenten gehe, sei in China „ein Powerhouse“ entstanden. „Da haben wir was aufzuholen.“ Blume reist nächste Woche selbst nach China. Er will an Ort und Stelle durchsprechen, wie Volkswagen im größten Elektroautomarkt der Welt endlich wieder in die Offensive kommen kann.

Blume hat aufgeräumt bei VW

Von einer neuen Aufbruchstimmung berichtet ein Konzernvorstand. Zermürbend sei die Amtszeit des Vorgängers Diess in ihrer Endphase gewesen. „Wir haben viel diskutiert, aber schlicht keine gemeinsame Sicht mehr auf Dinge finden können“, sagt der Manager. Diess habe Volkswagen „zu einer Tech-Company“ umbauen wollen. „Aber am Ende des Tages kauft der Kunde bei uns ein Fahrzeug“, sagt der Vorstand. Es gebe jetzt eine Rückbesinnung aufs Auto. „Das tut uns gut.“

In den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit hat Blume mit vielem aufgeräumt, was ihm der geschasste Vorgänger hinterlassen hat. Eine Aufwärmphase brauchte er nicht. Geboren und aufgewachsen in Braunschweig, nur eine halbe Autostunde von Wolfsburg entfernt, ist Blume seit fast drei Jahrzehnten bei Volkswagen. Er hat für vier verschiedene Konzernmarken gearbeitet: Audi, Seat, VW und Porsche. Blume kennt das Unternehmen in- und auswendig und legte im Herbst sofort los. Bei der Kooperation mit dem amerikanischen Start-up Argo AI zur Entwicklung von Roboterautos zog er den Stecker und nahm dafür eine heftige Abschreibung von 1,9 Milliarden Euro in Kauf. Schlüsselpositionen im Autodesign wurden neu besetzt, weil dem neuen Chef die Entwürfe für neue Modelle zu fad waren.

Vor allem aber hat Blume den von Diess gesetzten Zeitplan für die markenübergreifende Entwicklung einer wichtigen neuen Basissoftware für die VW-Autos kassiert. Völlig unrealistisch sei der bisherige Plan gewesen, wird heute über Diess gelästert. Die neue Software, eine Art Betriebssystem auf Rädern, soll nun erst Ende des Jahrzehnts statt wie bisher geplant 2026 fertig werden. Einstweilen soll die bisherige Software-Generation in modifizierter Form weitergenutzt werden.

Ein Appell von Konzernpatriarch Wolfgang Porsche

Blume stellt sich bei der digitalen Aufholjagd nicht auf einen Sprint, sondern auf einen Marathonlauf ein. „Pläne müssen realistisch und umsetzbar sein. Messbar, mit klaren Meilensteinen“, sagt er. Der VW-Chef präsentiere sich in Abgrenzung zu Diess intern gerne als „Antivisionär“, berichtet ein Manager. Er predigt Pragmatismus, Realismus und konsequentes Umsetzen von Plänen. Das Problem ist gravierend, es lässt sich so schnell nicht aus der Welt schaffen: Die Software-Misere wirft den ganzen Konzern zurück, weil sie den Marktstart neuer Modelle verzögert. Die dringend benötigte Elektroversion des Porsche-Geländewagens Macan zum Beispiel wurde um zwei Jahre auf 2024 verschoben. Das Auto ist fertig entwickelt und marktreif, aber die Software ist es noch lange nicht.

In Wolfsburg kommt der neue Chef bislang gut an. Mit der mächtigen Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo ist er per Du. Zwischen Diess und Cavallo herrschte dagegen am Ende Eiszeit. Anders als dieser respektiere Blume die Rolle des Betriebsrats, sagt ein Arbeitnehmervertreter in Wolfsburg: „Es gibt jetzt eine ganz andere Vertrauensbasis.“

Rückenwind bekommt Blume auch aus Salzburg, von wo aus der 79 Jahre alte Patriarch Wolfgang Porsche, einer der beiden Köpfe der Eigentümerfamilien, aufmerksam verfolgt, wie sich der neue Spitzenmann schlägt. Der Senior lobt gegenüber der F.A.S. „die zugewandte Art“ des VW-Chefs und dessen „zupackenden Start“ im neuen Amt. „Er hat ein Talent, die Leute mitzunehmen“, sagt Porsche – eine Fähigkeit, die dem leidenschaftlichen Provokateur Diess im Rückblick komplett abgesprochen wird. Wolfgang Porsche hofft auf ein Ende der internen Kämpfe. „Ich möchte an alle Beteiligten appellieren, Oliver Blume nach Kräften zu unterstützen“, mahnt er.

Da klingt erkennbar die Sorge durch, dass die Machtkämpfe und Streitereien schon bald wieder losgehen könnten. Die Konfliktlinien sind geblieben. Im vergangenen Jahr gab es mehrfach Zoff zwischen Blume und Audi-Chef Markus Duesmann. Es ist der uralte Kampf zwischen der Konzernzentrale in Wolfsburg und der selbstbewussten Tochter in Ingolstadt. Zumindest vorerst hätten sich die beiden wieder zusammengerauft, berichten Beteiligte.

Blumes Burgfrieden mit dem Audi-Chef

Von einem „Burgfrieden“ ist nun die Rede. Wie lange der hält, bleibt abzuwarten. In der Konzernzentrale ist man jedenfalls unzufrieden mit der Geschäftsentwicklung bei Audi, moniert wird ein Mangel an zugkräftigen neuen Modellen. Insbesondere in China müsse Audi erfolgreicher werden. „Was liefert Duesmann dieses Jahr? Das ist ein Thema“, sagt einer. Blume selbst spricht von einer „guten und professionellen Zusammenarbeit“ mit dem Audi-Chef. „Wenn eine Entscheidung getroffen worden ist, dann marschieren wir in eine Richtung. Da sind wir uns einig.“

Prekär ist derweil die Lage im Stammwerk Wolfsburg. Dort wurden 2022 so wenige Autos gebaut wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr. Die riesige Autofabrik ist nur zur Hälfte ausgelastet und schreibt Verluste. Der Betriebsrat ist alarmiert: „Wolfsburg ist ein Trauerspiel“, sagt ein Arbeitnehmervertreter. Die Nachtschichten, die wegen Sonderzuschlägen für die rund 13 000 Mitarbeiter in der Wolfsburger Fertigung finanziell besonders einträglich sind, wurden fast komplett gestrichen. In Wolfsburg wird für die ganze Welt das Traditionsmodell Golf gebaut, aber dessen Absatz schwächelt. Mit Schaudern blicken die Betriebsräte derzeit nach Köln, wo Ford Tausende von Arbeitsplätzen streicht, weil der amerikanische Konzern in seinem Europageschäft den Wechsel zur Elektromobilität verschlafen hat.

Blume hat den Arbeitnehmern ein neues Elektroauto versprochen, das in Wolfsburg ab Mitte des Jahrzehnts gebaut werden und die Beschäftigung sichern soll, wahrscheinlich eine Elektroversion des Geländewagens Tiguan, vielleicht auch ein elektrischer Golf. Die Entscheidung darüber soll in den nächsten Wochen in der sogenannten „Planungsrunde“ fallen, in der Volkswagen alljährlich die mittelfristigen Produkt- und Investitionspläne neu festlegt. Eigentlich war sie für den vergangenen Herbst angesetzt, aber Blume hat den Termin wegen der Software-Probleme verschoben.

Eines zumindest ist sicher: Die Baustellen werden dem Volkswagen-Chef so schnell nicht ausgehen. Hätte er im Rückblick etwas anders anpacken sollen, in den vergangenen fünf Monaten? Nein, alles richtig gemacht, findet Blume. „Wir haben die richtigen Weichen gestellt“, sagt er. „Aber das war nur der Start. Jetzt schauen wir nach vorne und liefern gemeinsam.“ Der Marathonlauf des Oliver Blume hat eben erst begonnen.

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