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Volvo P1800 Cyan (1964): Schwedischer 911 Singer im Test

Volvos Motorsport-Partner nimmt mit seinem 419-PS-Restomod Singer ins Visier

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“Je mehr du über ihn nachdenkst, desto kniffliger ist er zu fahren”. Das ist der Ratschlag, den ich von Hans Baath, General Manager Autos bei Cyan Racing, erhalte, als er mir hilft, mich in den Fahrersitz des hauseigenen 1964er Volvo P1800 Restomod hinein zu schälen.

Betrachtet man die Reputation des Gefährts als stylischen, aber nicht über die Maßen sportlichen Gran Turismo, erscheint der Tipp ein wenig seltsam und leicht dramatisiert. Auf der anderen Seite hat dieses spezielle Exemplar nun wirklich nicht mehr all zu viel mit seinem lauwarmen Urahn zu tun. 

Mit seiner Komplettüberarbeitung ist dieser P1800 Cyan Racings Antwort auf einen Porsche 911 reimagined by Singer – moderne Technik versteckt unter einer über die Maßen reizvollen Retro-Hülle.

Natürlich übt ein Porsche auf den durchschnittlichen Autoliebhaber eine größere Anziehungskraft aus als ein Volvo – selbst wenn es sich um so einen prächtigen handelt wie den P1800. Es ist ein harter Kampf, die Leute davon zu überzeugen, dass dieses Auto ein würdiger Konkurrent für die Singer-Porsche ist. Ein Vorteil ist die lange Renngeschichte des Ingenieurbüros.

Cyan Racing war früher unter dem Namen Polestar bekannt, bevor Volvo den Namen für seine Elektro-Marke übernahm. Man half beim Bau einiger der besten Rallye- und Tourenwagen von Volvo sowie der gleichnamigen S60-, V60- und XC60-Leistungsvarianten. Und tatsächlich hat Cyan bereits einige Käufer für sein P1800 Coupé gefunden, das jeweils nach Kundenwunsch gebaut wird.

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Schlüsselfertiger Tourenwagen

Cyan Racing beginnt jeden Bau mit einem alten P1800 – in diesem Fall handelt es sich um ein Modell von 1964. Sobald das Unternehmen ein geeignetes Exemplar beschafft hat, wird die Karosserie zerlegt und verstärkt. Baath erklärt mir, dass dieser Vorgang absolut notwendig ist, denn als Cyan die strukturelle Steifigkeit des originalen P1800 testete, war der Wert absolut unterirdisch.

Um die Durchbiegung zu bekämpfen, verstärkt Cyan Schlüsselbereiche der Volvo-Karosserie und entfernt den vorderen Rahmen komplett, um das Auto mit einer maßgeschneiderten Motorhalterung und einem neuen Hilfsrahmen auszustatten. Den hinzugefügten hochfesten Stahl fräsen die Ingenieure dann auf Bruchteile von Millimetern genau, um eine präzise Basis für die Karosserie zu gewährleisten.

Apropos: Obwohl die Karosse des Cyan P1800 kaum vom Original zu unterscheiden ist, besteht sie nun aus leichter, steifer Kohlefaser.  Alle glänzenden Teile werden aus Aluminium gefräst. Die originale Dachstruktur bleibt erhalten, eine bürokratische Formalität, weil Cyan Racing möchte, dass die Autos ihr originales Modelljahr behalten, aber auch sie wurde verstärkt und mit Kohlefaser ummantelt.

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Der Innenraum ist mit französisch genähtem Leder und Akzenten aus recyceltem Filz auf Armaturenbrett und Türverkleidungen ausgestattet und fühlt sich wirklich hochwertig an. Mit einem 60er-Jahre-Club-Racing-Vibe, der hervorragend zur Mission dieses Wagens passt. Die blauen Anzeigen erinnern an das “Swedish Racing Green”, die Farbe ist inzwischen ein Synonym für Cyan (und Polestar davor) geworden.

Mir gefällt sogar der Flickenteppich am Boden, erinnert mich irgendwie an den MGB Roadster, den meine Familie hatte, als ich noch klein war. Mit Ausnahme des Lenkrads von der Stange, das sich zu modern und generisch anfühlt, ist das Cockpit des P1800 sehr speziell und obendrein ergonomisch. Dazu verfügt es über einen steifen Überrollkäfig für zusätzliche Sicherheit.

Die robuste Struktur bietet auch eine stabile Basis für das von Cyan Racing entwickelte Fahrwerk mit Doppelquerlenkern an beiden Achsen. Es ersetzt das Original-Layout mit Doppelquerlenkern vorne und Starrachse hinten. Einstellbare Öhlins-Dämpfer und eine AP-Racing-Bremse sind ebenfalls dabei. Das verleiht dem Wagen eine gewisse Gemeinsamkeit mit einer weiteren, vielgerühmten P1800-Hommage, dem Polestar 1. Vier-Kolben-Bremssättel vorne und hinten sorgen für reichlich Bremskraft. Ein einstellbarer hinterer Stabilisator steigert die Fahrperformance weiter.

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Wenn Sie die Motorhaube des P1800 nach vorne klappen, kommt eines von Cyans charakteristischen Bauteilen zum Vorschein: ein 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbo, der vom Motor des Volvo S60 TC1-Rennwagens abgeleitet ist. Im P1800 leistet das Triebwerk 419 PS bei 7.000 U/min und ein Drehmoment von 455 Nm bei 6.000 U/min.

Eine enorme Steigerung gegenüber den 100 PS und 150 Nm des Originalfahrzeugs und obendrein sogar kräftiger als die 390-PS-Maschinen, die Singer in vielen seiner Fahrzeuge verbaut. Über ein Fünfgang-Schaltgetriebe mit Dogleg-Gang geht die Kraft an die Hinterachse (ein Sperrdifferenzial ist vorhanden) und 265 Millimeter breite Pirelli P Zero-Reifen. Vorne steht das Auto auf 245er-Gummis.

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Gutmütig und performant

Diese Daten – und eine kurze Probefahrt mit Baath – lassen den Cyan P1800 ziemlich beängstigend wirken. Auch wenn 419 PS nach modernen Maßstäben nichts komplett außergewöhnliches sind – in einem Auto, das keine 1.000 Kilo wiegt, sind sie eine ganze Menge. Umso mehr, da Dinge wie ESP oder ein ABS durch Abwesenheit glänzen.

Einmal in Fahrt, war ich jedoch wirklich überrascht, wie gutmütig und gelassen der Cyan P1800 bei niedrigen Geschwindigkeiten ist. Die steifen, nicht unterstützten Bremsen sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber nachdem man die kurze Lernkurve gemeistert hat, werden sie sehr linear und kommunikativ – fester treten, fester bremsen, so einfach ist das.

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Dasselbe gilt für die Servolenkung (viel Servo gibt es hier gefühlt nicht), die eine feste Hand erfordert, um den leichten Mangel an Selbstzentrierung auszugleichen. Aber wie die Bremse liefert das Steuer reichlich Informationen und spricht hervorragend an.

Die Lenkung ist vielleicht das beste Beispiel für die Idee von Cyan Racing, einen optimierten Sportwagen aus den 1960er Jahren zu bauen, und nicht einen modernen Sportwagen mit historischer Karosserie. Ähnliches gilt für den aufgeladenen Kollegen unter der Haube.

Um sicherzustellen, dass sich der Motor über den gesamten Drehzahlbereich hinweg reaktionsschnell und linear anfühlt, hält Cyan Racing bei niedrigen Drehzahlen Ladedruck zurück und lässt ihn erst allmählich ansteigen, bis sich der P1800 seiner Drehzahlgrenze von 7.700 U/min nähert. Eine gewisse Verzögerung beim Anfahren gehört also dazu. Auf der anderen Seite hat man umso mehr Spaß, wenn man den Motor bis zum beeindruckenden Drehzahllimit auswringt.

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Schwedische Schlange

Während meiner gesamten Zeit am Steuer des Cyan P1800 ist Baath auf dem Beifahrersitz ein kleiner Teufel auf meiner Schulter, der mich ständig dazu ermutigt, den Wagen ordentlich zu treten. Gut, dass er das tut. Der Motor fühlt sich spritzig und frenetisch an. Auch an seiner Klang-Kombo aus Blowoff, das nach knurrendem Eichhörnchen klingt und einer kratzigen 60er-Jahre-Auspuffnote zeigt sich der Mix aus neu und alt.

Auch wenn der wilde Sound anderes erwarten lässt, ist das Gaspedal hier sehr leicht modulierbar. Wie Bremse und Lenkung arbeitet es nicht wie ein An-Aus-Knopf sondern mehr wie ein Dimmer. Das gibt dir als Fahrer immense Kontrolle über das Auto.

Außerdem kannst du den Cyan P1800 ziemlich hart fahren, bevor er zu protestieren beginnt. In den engen, steil abfallenden Kurven der California Route 150 zwischen Santa Paula und Ojai lenkt der Volvo scharf ein und beißt sich hartnäckig in den Teer. Aus der Biegung heraus explodiert er dann förmlich. Reifenquietschen, Unter- oder Übersteuern zu provozieren, ist auf öffentlichen Straßen dank der hohen Grenzwerte des Autos so gut wie unmöglich. Das Coupé eine kurvenreiche Bergstraße hinauf und hinunter zu werfen, ist absolut berauschend.

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Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Rauschmitteln warnt der Cyan Racing Volvo P1800 dich rechtzeitig, bevor er dein Leben ruiniert. Die einstellbare Federung und die Pirelli-Reifen sagen rechtzeitig Bescheid und machen dich auf dein ungebührliches Fahrverhalten aufmerksam, bevor du die Konsequenzen tragen musst. Selten dürfte sich Geschwindigkeit im Vintage-Gewand so sicher angefühlt – was angesichts des Volvo-Emblems auf der Haube aber auch irgendwie angemessen ist, oder?

Das Schöne ist: Trotz der astreinen Performance ist der blassblaue Volvo auch bei ruhigeren Geschwindigkeiten ein interessantes und unterhaltsames Erlebnis. Die steife Struktur ist deutlich spürbar und sie trägt dazu bei, dass die Federung auch auf schlechten Straßen ein akzeptables Fahrverhalten bietet.

Wenn er nicht gerade unter Volllast röhrt, klingt der Motor etwas trashig und kakophonisch, nichtsdestotrotz gäbe dieser Volvo immer noch ein gutes Fahrzeug für sonntagnachmittägliche Fahrten zur Eisdiele ab. Das einzige wirkliche Problem ist das unangenehme Ruckeln des Antriebsstrangs – selbst im fünften Gang bei Autobahntempo zuckt der Cyan P1800 bei jedem noch so kleinen Zupfer am Gaspedal.

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Cool zu sein kostet

Am Ende eines brillanten Fahrtags geht es dann endlich um die wirklich wichtige Frage: Wie viel? Baath wird ein wenig kleinlaut und sagt, dass jedes Auto nach den Wünschen des Kunden gebaut werde, bis hin zu Getriebe, Lenkübersetzung und Komfortausstattung. Zudem dauere das alles mehr als ein Jahr, da es so viele Anpassungsmöglichkeiten gäbe. Letztlich gibt er zu, dass “mein” P1800 mit allem drum und dran 700.000 Dollar kostet.

Mit dieser unglaublichen Summe könnte man eine ganze Reihe cooler Autos kaufen. Ein von Singer neu gestalteter Porsche 911 etwa kostet ab 450.000 Dollar. Theoretisch zumindest. Aufgrund der langen Warteliste müssen Ungeduldige derzeit mehr als eine Million Dollar für ein gebrauchtes Exemplar bezahlen. Das rückt den Cyan schon fast wieder in ein neues Licht.

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Diejenigen, die sich für einen Volvo P1800 von Cyan Racing entscheiden, werden viel vorfinden, was man lieben kann  – ein Fahrgefühl wie in alten Zeiten, eingepackt in beeindruckende Technik, viel Leistung und eine dicke Schicht Kontrolle und Involvierung. 

Übrigens war Baaths Ratschlag goldrichtig. Stellen Sie den Scheck aus, vergessen Sie ihre Unsicherheit und vertrauen Sie einfach dem Auto. Ich beneide Sie sehr, wenn Sie das tun können.

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