Kia

Test: Kia EV6 GT, Bereit für die Champions League

Mit 585 Pferdestärken mischt Kia jetzt auch in der obersten Spielklasse mit: Der EV6 GT ist bereit für die RS-M-AMG-Liga und sorgt dort mit vernünftigen Preisvorstellungen für Spannung. Warum die Beschleunigung noch wilder als in Sportwagen ist, wie der Kuschelkurs für den Alltag funktioniert, welche geistigen Verbindungen zu BMW bestehen und warum beim Laden nur Porsche mithalten kann – alle Antworten im Test

Zuerst Auto des Jahres, jetzt auch Champions-League-Teilnehmer?
Der EV6 wurde 2022 zum „Car of the Year“ gewählt – das ist seit Jahrzehnten der wichtigste Autopreis in Europa. Ausgezeichnet wurde auch der Weitblick des Konzerns, Kia hat die Elektromobilität früh ernst genommen und bezahlbare Elektroautos mit hohen Reichweiten angeboten. Der Niro EV beispielsweise geht bereits in die zweite Generation. Die mit dem EV6 eingeführte Elektroplattform E-GMP ist eine technische Zäsur und wird künftig zahlreichen Modellen als Basis dienen.
Durchaus überraschend war allerdings, wie Kia mit dem EV6 sein Spielfeld erweitert hat: Schon die Normalversionen mit 170 bis 326 PS zielen nicht nur auf VW und Co. ab, sondern müssen zweifelllos auch BMW- und Audi-Fahrer interessieren. Die Topversion mit 585 Pferdestärken mischt überhaupt in der obersten Spielklasse mit. Als GT ist der EV6 bereit für die RS-M-AMG-Liga, in der er mit vernünftigen Preisvorstellungen für neue Spannung sorgt. Dieser Aufstieg in die Champions League hat nicht unwesentlich mit Albert Biermann zu tun, der im Jahr 2015, nach über 30 Jahren bei BMW, davon 15 in Führungspositionen bei BMW M, zu Kia/Hyundai wechselte und Entwicklungschef des Gesamtkonzerns wurde. Der EV6 ist eine der umfassendsten Entwicklungen seiner Ära.
 
Was ändert sich in der GT-Version?
Kia legt auf den EV6 mit 326 PS und Allradantrieb noch einmal 259 PS drauf. Und um diese 585 PS aus zwei Permanent-Synchronmotoren (Vorderachse 218 PS, Hinterachse 367 PS) samt ihrem 740-Newtonmeter-System-Drehmoment gut fahrbar zu machen, bleibt auch rundherum kein Stein auf dem anderen. Vor allem den Bereichen Antriebsregelung, Fahrwerk, Handling und Bremsen haben sich die Entwicklungsteams gewidmet – alles Biermann-Spezialgebiete.
 
Ist die Topversion auch optisch top?
Der EV6 ist durch seine Proportionen und Details ja grundsätzlich schon ein ziemliches Designspektakel. Ein familientaugliches Konzept so schnittig darzustellen und mit diesem Heck abzuschließen, ist eine Ansage.
Beim GT wurde der Look in vielen Details angepasst, um die Performance äußerlich sichtbar zu machen – aufdringlich wird der Auftritt aber nicht. Am auffälligsten ist der EV6 GT sicherlich mit dem Mattgrau, das der Testwagen trägt. Das coolste GT-Detail sind die neongelben Bremssättel, die hinter den freizügigen 21 Zoll-Rädern hervorleuchten.

test: kia ev6 gt, bereit für die champions league

Durch die Proportionen und Details ist der EV6 grundsätzlich ein Designspektakel. Der GT-Look wurde angepasst, um die Performance sichtbar zu machen.

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Das coolste GT-Designdetail sind die neongelben Bremssättel.

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Am auffälligsten ist der EV6 GT sicherlich in Mattgrau.

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Ein familientaugliches Konzept so schnittig darzustellen und mit diesem Heck abzuschließen, ist eine Ansage.

Wie sportlich ist der GT-Innenraum?
Schön geformte, sauber verarbeitete und äußerst passgenaue Sitzschalen mit grauen alcantara-ähnlichen Stoffen und neongelben Akzenten sorgen im Innenraum für erhebliche optische Beschleunigung. Dazu kommt eine neongelbe Taste am Volant, über die der in allen Parametern verschärfte GT-Modus aktiviert wird.
Cockpit-Layout und Bedienelemente sind sonst gleich wie bei den anderen EV6-Modellen. Man blickt auf große Bildschirme und hat eine freischwebende Mittelkonsole neben sich. Knöpfe gibt es fast keine mehr, die meisten Elemente wurden digitalisiert. Dafür klappt die Bedienung sehr gut: Lenkradfernbedienung und Multimedia-Touchscreen nehmen die übliche Benutzerfreundlichkeit von Kia in den EV6 mit. Auch die Sprachsteuerung funktioniert: Die Nennung eines Straßennamens führt sekundenschnell zum Start der Navigation, das Ausrufen eines Namens zum entsprechenden Anruf.
Nicht ganz intuitiv ist die doppelt belegte Digitalleiste unter dem Touchscreen, und manch elektronische Warnung nervt mitunter – man gewöhnt sich an beides. Das Armaturenbrett ist für diese Spitzenliga ein bisschen schlicht.
Premium-Niveau hat neben den Sitzen das phantastische 14-Lausprecher-Surround-Audiosystem des britischen Spezialisten Meridian, dieser Hörgenuss ist bei der Premiumkonkurrenz oft deutlich teurer. Praktisch: In der großen Ablagebox der Mittelkonsole und im überdimensionalen Handschuhfach lassen sich Laptop und Co. verstauen. Eine Steckdose unterhalb des mittleren Rücksitzes ermöglicht das schnelle aufladen von Handy und Computer.
Im Fond ist die Beinfreiheit erstaunlich gut. Das normale Kofferraumvolumen fällt mit knapp 500 Litern sehr ordentlich aus, ein Teil davon liegt unter dem Kofferraumboden. Mit 1.300 Litern Maximalvolumen und im Verhältnis 60:40 geteilt umklappbarer Rückbank ist der EV6 GT ein überzeugendes Familien- und Freizeitauto. Es gibt eine Ski-Durchreiche und der durch Umklappen entstehende Ladeboden ist nahezu eben. Dass die Türgriffe eingezogen werden, ist schick, ganz so griffig wie normale Schnallen sind die Sticks aber nicht.

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Das EV6-Cockpit: Der Fahrer blickt auf große Bildschirme und hat eine freischwebende Mittelkonsole neben sich.

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Über die eine neongelbe Taste am Volant wird der GT-Modus aktiviert.

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Auch der digitale Instrumentencluster wechselt in den GT-Modus.

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Optische Beschleunigung: Schön geformte und äußerst passgenaue Sitzschalen mit grauen alcantara-ähnlichen Stoffen und neongelben Akzenten.

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Freischwebende Mittelkonsole mit großen, praktischen Ablagem.

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Das Armaturenbrett ist für diese Spitzenliga ein bisschen schlicht.

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Mit 1.300 Litern Maximalvolumen und im Verhältnis 60:40 geteilt umklappbarer Rückbank ist der EV6 GT ein überzeugendes Familien- und Freizeitauto.

Wie fährt sich der 585-PS-Kia?
Die 3,5-Sekunden-Beschleunigung von null auf Hundert, aber auch derartige Zwischensprints bei 80 km/h, schaffen Verbrenner nur, wenn sie aus automobilen Nobelorten wie Maranello stammen. Wobei das elektrische Beschleunigungserlebnis im EV6 GT definitiv noch wilder als in Verbrenner-Sportwagen ist, weil die zwei Permanent-Synchronmotoren nicht nur fast ansatzlos losstürmen, sondern komplett ansatzlos. Das Beschleunigungsgefühl nimmt schwindelerregende Dimensionen an – Achterbahn nix dagegen – und Wiederholungen werden von Passagieren eventuell nicht goutiert werden. Schade, denn die mehrmalige Wiederholbarkeit dieser PS-Performance ist ohne Überhitzen möglich. Wer sich um Reichweite nicht kümmern muss und eine freie deutsche Autobahn vorfindet, genießt die Leichtigkeit, mit der die 260 km/h Topspeed erreicht werden. Das Auto vermittelt bei Höchstgeschwindigkeit das Gefühl, dass es weitermachen könnte.
Auch auf abrupte Spurwechsel reagiert der EV6 GT stoisch und zieht ohne Wanken rüber. Gute Fahrzeugbalance, ein durch die Batterien im Boden niedriger Schwerpunkt, eine im GT-Modus sehr straffe Lenkung und beflissene Kraftverteilung per Sperrdifferenzial ermöglichen schnelle Kurvenfahrt. Kraftüberschüsse werden dabei mit hohen Sicherheitsreserven verarbeitet, keine Angst. Bei rund 2,2 Tonnen Gewicht setzt die Physik aber auch Grenzen, der EV6 GT ist kein Kurvenräuber, sondern souveräner Gran Turismo.
Erstaunlich ist der Kuschelkurs, den der EV6 im Eco- und Normalmodus fahren kann. Ohne bei der Beschleunigung hektisch zu werden, lässt er sich entspannt durch den Stadt- und Alltagsverkehr steuern. Ein straffer als üblich eingestelltes Fahrwerk muss man in Kauf nehmen, sonst gibt es keine Einschränkungen. Das gilt auch für das Reisen, auf er Autobahn herrscht heilige Ruhe im Innenraum.
 
Wie schaut es mit Reichweite und Ladegeschwindigkeit aus?
Die Reichweite mit der 77,4-kWh-Batterie ist klarerweise etwas geringer als bei den normalen EV6-Modellen, der Testverbrauch von rund 24,5 kWh ermöglichte um die 330 Kilometer Reichweite, wohlgemerkt bei kalten Temperaturen. Die WLTP-Reichweite beträgt 423 Kilometer, bei besten Bedingungen sollten 400 zu schaffen sein.
Geladen wird durch die 800-Volt-Technik mit bis zu 350 kW, da können nur Porsche Taycan und der technisch verwandte Audi e-tron GT mithalten. DC-Ladestopps verkürzen sich dadurch erheblich, im Idealfall kommt man in 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent! Da geht sich McDonalds kaum aus.
 
Wie schaut es preislich aus?
Der EV6 GT steigt mit erstaunlich vernünftigen Preisvorstellungen in die oberste Spielklasse ein: Für 75.990 Euro kommt er in Komplettausstattung, in der Aufpreis-Spalte stehen nur noch Tarife von 200 bis 800 Euro für die Lackierung. Die Elektro-Konkurrenz wie Porsche Taycan GTS/Turbo, Audi RS e-tron GT und EQE AMG gibt es dagegen nicht unter 100.000 Euro. Preisvorteile von über 50.000 Euro sind nicht aus der Luft gegriffen, ausstattungsbereinigt sowieso.
Für PS-Freaks, die sich vom Staat nicht wie die berühmte Weihnachtsgans ausnehmen lassen wollen, ist der Umstieg auf Autos wie dieses schön langsam unumgänglich: Die Elektro-PS sind sowohl beim Kauf (NoVA) als auch bei der Nutzung (motorbezogene Versicherungssteuer) steuerbefreit.
 
Fazit?
Kia spielt plötzlich in der RS-M-AMG-Liga – und sorgt dort mit vernünftigen Preisvorstellungen für Spannung. Mit seiner surrealen Beschleunigungskraft und dem hochseriösen Fahrwerk ist der EV6 GT fit für die Champions League. Beim Ladetempo können nur Porsche und Audi mithalten. Erstaunlich ist der entspannte Kuschelkurs, den der EV6 GT, abseits seiner wilden PS-Performances, im Alltag fahren kann.

test: kia ev6 gt, bereit für die champions league

DATEN & FAKTEN

Kia EV6 GT

(März 2023)

Preis

75.990 Euro.

Antrieb

2 Synchron-E-Motoren, 218 / 367 PS, Gesamtleistung 585 PS, 740 Nm, Allradantrieb.
Batteriekapazität 77,4 kWh, DC-Laden mit bis zu 350 kW.
1-Gang Direktgetriebe.

Abmessungen

Länge 4.695 mm / Breite 1.890 mm / Höhe 1.545 mm. Radstand 2.900 mm. Kofferraumvolumen 480 – 1.260 Liter (+ 20 Liter vorne).

Gewicht

Eigengewicht ca. 2.125 kg.
Zulässiges Gesamtgewicht 2.610 kg.

Fahrwerte

Höchstgeschwindigkeit 260 km/h, Beschleunigung 0 – 100 km/h in 3,5 Sekunden, Verbrauch 22,7 kWh/100 km, Reichweite 423 km.

Testverbrauch

24,6 kWh – rund 330 Kilometer Reichweite (im Winter).

MOTORPROFIS WERTUNG

Fahrspass

8 Punkte

Vernunft

6 Punkte

Preis-Leistung

9 Punkte

Gesamturteil

8 Punkte

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