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Teslas "Full Self-Driving" braucht alle 21 Kilometer menschliche Hilfe

Harsche Kritik gibt es am Full Self-Driving von Tesla. Das System sei unglaublich gefährlich und unberechenbar, sagen Tester.

Gleich zwei unabhängige Tests stellen den Fahrassistenzsystemen von Tesla ein vernichtendes Zeugnis aus. In den USA musste ein Testfahrer einen Frontalaufprall verhindern, weil der Tesla in einer Kurve in den Gegenverkehr lenkte. In Deutschland brach ein Gerichtssachverständiger die Fahrt mit einem Model 3 ab, weil er um sein Leben fürchten musste. All das sind keine guten Vorzeichen für die Vorstellung der Robotaxiflotte in zwei Wochen.

Full Self-Driving im Test

AMCI ist ein Unternehmen aus den USA, das sich auf unabhängige Fahrzeugtests spezialisiert hat. Die Dienste des Unternehmens werden hauptsächlich von Autoherstellern selbst in Anspruch genommen, in der Hoffnung, mit einem guten unabhängigen Testergebnis werben zu können.

Bei Tesla wird man die aktuellen Resultate aber eher nicht in den Unterlagen finden: Die AMCI-Tester haben sich Full Self-Driving (FSD) vorgenommen und sind damit rund 1600 Kilometer durch Südkalifornien gefahren. In diesem Zeitraum mussten die Tester über 75-mal eingreifen, oder anders ausgedrückt: Alle 21 Kilometer musste der Fahrer selbst eine Gefahrensituation entschärfen.

AMCI hat die FSD-Builds 12.5.1 und 12.5.3 in vier verschiedenen Umgebungen getestet. Diese umfassten Stadtverkehr, zweispurige Landstraßen, Bergstraßen und Autobahnen. Wie mehrere Videos von den Tests zeigen, ist Full Self-Driving grundsätzlich zu einem recht fortschrittlichen Fahrverhalten fähig. So kann das System etwa in eine Lücke zwischen geparkten Autos fahren, um ein entgegenkommendes Fahrzeug durchzulassen.

FSD kann auch nach links ausweichen, um Fußgängern Platz zu machen, die an einem Zebrastreifen warten und dabei schon beinahe auf der Straße stehen. Auch das Verhalten von FSD in unübersichtlichen Kurven sei vorbildlich, loben die Tester.

“Unglaublich gefährlich”

Aber: Sich auf die unbestreitbaren Vorzüge des Systems zu verlassen, kann sehr schnell zu gefährlichen Situationen führen. Die vermittelte Unfehlbarkeit erzeuge eine gewisse Ehrfurcht, die unweigerlich zu gefährlicher Selbstgefälligkeit führe, erklärt AMCI-Testleiter Guy Mangiamele poetisch. Jedenfalls sei das Fahren mit den Händen im Schoß unglaublich gefährlich, so das Urteil. Denn wenn FSD einen Fehler macht, bleiben nur Sekundenbruchteile, um einzugreifen. Das habe selbst die hauptberuflichen Tester manchmal ins Schwitzen gebracht.

Zu den Fehlern von Full Self-Driving im Test von AMCI gehörte etwa das Überfahren einer roten Ampel. In einer Situation fuhr der Tesla auf einer kurvenreichen Straße auf die Gegenfahrbahn und frontal auf ein entgegenkommendes Auto zu.

Besonders kritisieren die Tester die Unvorhersehbarkeit des autonomen Fahrens: Man könne nicht feststellen, ob es an Rechenleistung mangelt, es ein Problem mit dem Buffering gibt, wenn der Computer mit den Berechnungen in Rückstand gerät, oder ob Details in der Umgebung vom System falsch interpretiert werden.

Darüber hinaus weise das System noch deutliche Mängel in der Programmierung auf. So beginnt der Spurwechsel zu einer Autobahnabfahrt erst etwa 160 Meter vor der Ausfahrt selbst. Auf einer stark befahrenen Autobahn eine viel zu kurze Distanz. All diese Kritikpunkte lassen Zweifel an der Gesamtqualität der Basisprogrammierung aufkommen, heißt es in dem Bericht.

Ähnliche Ergebnisse aus Bayern

Ein davon unabhängiger Test eines Sachverständigen in Deutschland kommt sogar zu einem noch vernichtenderen Ergebnis: Ein Gerichtsgutachter musste den Test von Teslas Fahrassistenzsystemen aus Sicherheitsgründen abbrechen.

Der Hintergrund: Am Landgericht Traunstein in Bayern läuft aktuell ein Prozess gegen Tesla. Ein Kunde hatte wegen Problemen mit dem Fahrassistenzsystem geklagt und will einen Austausch seines Fahrzeuges erreichen, wie Golem berichtet. Konkret geht es um sogenannte Phantombremsungen, die das Fahrzeug immer wieder ohne ersichtlichen Grund durchführen soll, wie aus dem 19-seitigen Gutachten hervorgeht.

Der Sachverständige war rund 600 Kilometer auf bayerischen Autobahnen unterwegs. Dabei hat sich das Fahrzeug in fünf Situationen “unplausibel” verhalten. Der Gutachter konnte auch das Phänomen der Phantombremsungen selbst miterleben. Zwei davon ereigneten sich im Baustellenbereich. In einer Situation war auf der rechten Fahrbahn ein langsameres Fahrzeug, das der Tesla wohl nicht passieren wollte, um den Abstand einzuhalten.

Unerwartete Bremsmanöver

Zu zwei weiteren Bremsungen kam es auf regulären Autobahnabschnitten. Das Fahrzeug drosselte hier die Geschwindigkeit plötzlich auf 80 beziehungsweise 90 km/h. Richtig gefährlich wurde es auf einem dreispurigen Streckenabschnitt ohne Tempolimit. Hier bremste das Tesla Model 3 unerwartet von 140 km/h auf 94 km/h stark ab.

“Durch diese Situation kam es im nachfolgenden Verkehr zu erheblichen Gefahrensituationen. Dort konnten Ausweichmanöver und starke Bremsmanöver der nachfolgenden Fahrzeuge beobachtet werden”, heißt es in dem Bericht. Daraufhin beschloss der Gutachter, die Fahrt aus Sicherheitsgründen abzubrechen. Das Fazit: Der Gutachter sieht die Existenz von Phantombremsungen bestätigt.

Der Anwalt des Klägers zeigte sich schockiert: Schließlich sei es zu spät, wenn solche gravierenden Sicherheitsrisiken erst im Rahmen eines Zivilrechtsstreits bemerkt werden.

Das sind sehr schlechte Nachrichten für Tesla, hat das Unternehmen doch immer vehement abgestritten, dass es zu Phantombremsungen kommt. Stattdessen hat der Elektroautobauer auf Bedienfehler der Lenkerinnen und Lenker verwiesen. Laut einem Bericht im Handelsblatt äußerte sich Tesla nicht zu den Ergebnissen des Sachverständigen.

Tesla rudert zurück

Die wenig schmeichelhaften Testergebnisse dürften zumindest intern bei Tesla kein großes Erstaunen hervorrufen. Das Unternehmen rudert nämlich in der Darstellung der Fähigkeiten des Systems immer weiter zurück. So wird der FSD-Modus nun mit dem Zusatz “Supervised” als “unter Überwachung” beworben. Gemeint ist der Kunde selbst.

Vom Versprechen, wirklich “vollständig selbstfahrend” agieren zu können, scheint die Tesla-Software hingegen noch immer weit entfernt. Umso spannender wird die Enthüllung der von CEO Elon Musk angekündigten Robotertaxiflotte sein. Diese soll am 10. Oktober in einem Hollywoodstudio erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden. (pez, 27.9.2024)

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