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Stadtplanung: Warum wir ohne Autos besser dran wären

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Stadtplanung: Warum wir ohne Autos besser dran wären

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„Stadt für Menschen statt für Autos“ lautet einer der diesjährigen Grünen-Wahlkampfslogans. Ist ein PKW-Verbot in Innenstädten tatsächlich zukunftsträchtig? Oder sorgen derartige Auflagen bloß für eine Intensivierung der Konflikte, die unsere Gesellschaft seit Jahren spalten? Wir gehen der Sache auf den Grund.

Die Idee der autofreien Innenstadt galt lange Zeit als links-grüne Utopie. Zwar gab es schon in den 1950er Jahren sogenannte „autofreie Tage“, diese wurden jedoch vor allem als Reaktion auf Ölknappheit und andere wirtschaftliche Ereignisse etabliert. Mittlerweile ist der Gedanke an eine Stadt ohne PKWs im Mainstream angekommen, steht im Zentrum vieler lokalpolitischer Wahlkämpfe und sorgt regelmäßig für hitzige Diskussionen zwischen Gegner*innen und Unterstützer*innen. Welche Gruppen die beiden Positionen besetzen, ist hierbei von Stadt zu Stadt unterschiedlich: In Berlin wurden bis Ende Juli knapp 40.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, welches die Nutzung privater PKWs innerhalb des S-Bahn-Rings verbieten möchte. In Halle an der Saale hingegen stammte der Vorschlag zur Reduzierung des Autoverkehrs vom Stadtrat selbst – und wurde von den Bürger*innen abgelehnt. Fakt ist jedoch, dass es sich bei der autofreien Innenstadt um ein ernstzunehmendes politisches Konzept handelt, welches unseren Alltag und unsere Gesellschaft grundlegend verändern würde.

Was genau bedeutet „autofrei“?

Konkrete Vorschriften oder Pläne für autofreie Städte existieren in Deutschland aktuell nicht. Vielmehr ist es jeder Ortschaft selbst überlassen, ob und wenn ja wie sie das Verkehrsaufkommen im Stadtgebiet verringern möchte. Ein klassisches Vorgehen ist die Festlegung einer bestimmten Zone, meistens begrenzt durch einen Innenstadtring oder andere markante Straßen, zu der PKWs keine Zufahrt erhalten. Ausnahmen gelten in der Regel für Polizei– und Rettungsfahrzeuge, Taxen, Wirtschaftsverkehr sowie die Transportmittel derjenigen Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht auf ein Auto verzichten können. Einige Städte vermeiden zunächst eine gänzliche Sperrung und fokussieren sich stattdessen auf die Einrichtung verkehrsberuhigter Bereiche.

Grundsätzlich geht der Beschluss über eine autofreie Innenstadt auch mit Verbesserungen im Bereich des Rad- und Fußverkehrs einher. Es werden neue Fußgängerzonen geschaffen, Radwege modernisiert, Fahrradständer aufgestellt oder Vorfahrtsregeln reformiert. Darüber hinaus streben viele Städte auch einen Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs an. Kurzum: Der Fokus verschiebt sich vom allseits beliebten Kraftfahrzeug hin zu nachhaltigeren, energiesparenden Verkehrsmitteln.

Welche Vorteile bieten autofreie Innenstädte?

Damit ist der wichtigste Pluspunkt autofreier Innenstädte auch bereits geklärt: Die Reduzierung von CO2-Emissionen und Schadstoffbelastungen steht im Vordergrund des Projekts. Darüber hinaus bieten PKW-freie Zonen aber noch viele weitere Vorteile: Durch den Wegfall von Parkplätzen, sowohl am Straßenrand als auch in Wohn- und Gewerbegebieten, können neue Flächen erschlossen werden. Es entsteht Platz für Grünanlagen, Sportstätten, Sitzmöglichkeiten oder Spielplätze; Räume, die zur Entschleunigung anregen und den öffentlichen Charakter der Städte wiederherstellen. Die Problematik der überdurchschnittlichen, gesundheitsgefährdenden Luftverschmutzung in deutschen Innenstädten gehört der Vergangenheit an, ebenso wie die Bedenken besorgter Eltern, die ihre Kinder aufgrund der Unfallgefahr lieber nicht allein über die benachbarte Kreuzung schicken.

Bewohner*innen autofreier Regionen, die nicht täglich durch Motorenlärm und Staus vor der eigenen Haustür belästigt werden, sind nachweislich gesünder und zufriedener. Ihr psychisches und physisches Wohlbefinden steigt; die Stadt wird in Zeiten der Suburbanisierung wieder zum attraktiven und lebenswerten Wohnort. Auch auf die Wirtschaft hat ein PKW-Verbot in Innenstädten positive Auswirkungen: So fand der Ökonom Oliver Falck heraus, dass die Umsätze des Einzelhandels in autofreien Distrikten keinesfalls rückläufig sind – vielmehr könnten kleinere Geschäfte sogar von der Regelung profitieren, da mehr Laufkundschaft in die Städte gelangt. In Zeiten des Online-Shopping-Booms, der vor allem während der Pandemie vielen Händler*innen ihre Existenz gekostet hat, muss das Einkaufserlebnis in den Innenstädten wieder attraktiver werden – autofreie Bereiche könnten einen wesentlichen Teil dazu beitragen.

Was spricht gegen autofreie Innenstädte?

Dem*der Ein oder Anderen mag sich angesichts dieser Aufzählung vielleicht die Frage stellen, ob es denn überhaupt relevante Argumente gegen eine autofreie Innenstadt gibt. Tatsächlich klingen die erwähnten Punkte erst einmal ziemlich gut, Kritiker*innen zufolge reichen sie jedoch nicht aus, um das PKW-Verbot zu einer durch und durch sinnvollen Maßnahme zu machen. Ursprüngliche Gegenargumente wie die Bedrohung des Einzelhandels sind mittlerweile zwar weitestgehend entkräftet, die Sorge vor der konkreten Umsetzung der Pläne aber bleibt. Viele Stadträte oder Parteien plädieren für autofreie Innenstädte, ohne zuvor ein ausgereiftes Konzept erarbeitet zu haben. Wenn tausende Menschen ihr Auto am Stadtrand parken sollen, müssen dafür entsprechende Flächen geschaffen werden. Die Taktung und Zuverlässigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln wie S-Bahnen, Bussen oder Trams muss sich erhöhen, Anwohner*innen und Gäste rechtzeitig auf die Änderungen vorbereitet werden. Derartige Überlegungen kommen für viele Gegner*innen zu kurz.

Leider ist die Debatte um PKW-freie Innenstädte auch stark ideologisch aufgeladen. In der deutschen Kultur nimmt das Auto als Fortbewegungsmittel einen hohen Stellenwert ein: Vor dem 18. Geburtstag seinen Führerschein zu machen ist heutzutage mindestens genauso selbstverständlich wie die Tatsache, dass bei der Planung und Gestaltung von Städten der PKW-Verkehr an erster Stelle steht. Die Fahrt in die Waschstraße, allseits beliebter Sonntagsausflug kleinbürgerlicher Vorstadtfamilien, soll das Statussymbol Auto in Ehren halten, es wird gewienert, aufgehübscht und geputzt; nicht selten ist in den Medien die Rede von „Autofetischismus“. Vielen Deutschen ist die Nutzung ihres PKWs so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich nicht einmal mehr vorstellen können, regelmäßig in öffentliche Verkehrsmittel zu steigen.

Nicht zuletzt rücken vermehrt auch soziale Aspekte in den Vordergrund. Die Diskussion um die autofreie Innenstadt verschließe die Augen vor denjenigen, die ohne Auto ihren Alltag nicht bewältigen könnten, bemängeln Kritiker*innen aus dem linken Spektrum. Während es für die einen lediglich einen Luxusverzicht darstelle, den SUV von nun an in der Garage zu lassen, müssten andere ihren kompletten Tagesablauf umstrukturieren. Für alleinerziehende Elternteile, Schichtarbeiter*innen oder Handwerker*innen würde ein PKW-Verbot vieles verkomplizieren und letztendlich womöglich dazu führen, dass sie sich nach einer neuen Bleibe außerhalb der autofreien Zone umschauen würden. Prekäre Milieus würden demzufolge in die Randbezirke verdrängt und die Gentrifizierung beschleunigt werden.

Die Zukunft ist autofrei

Klar ist also: Der Übergang zu einer autofreien (Innen-)Stadt muss bereits im Voraus gut durchgeplant sein. Ohne Änderungen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, der Fahrradfreundlichkeit sowie der Kommunikation zwischen Bürger*innen und Entscheidungsträger*innen ist das Projekt in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt. Wenn jedoch Politik und Wirtschaft mit verschiedenen Bevölkerungs- und Berufsgruppen in einen Dialog treten, sodass alle Perspektiven berücksichtigt werden, kann die gesamte Stadt von einer Reduzierung des PKW-Verkehrs profitieren.

Auch scheinbar ablehnende Stimmen richten sich selten gegen das Vorhaben an sich, sondern eher gegen die Umsetzung bzw. die mangelnden Rahmenbedingungen. Wird dieser Konflikt überwunden, haben autofreie Innenstädte das Potenzial, gesteigerte Lebensqualität und Umweltschutz langfristig zu vereinen. Dabei sind sie viel mehr als eine grüne Ideologie: Tatsächlich könnte aus den zahlreichen Verkehrsversuchen, die in deutschen Großstädten auf der Agenda stehen, das Mobilitätsmodell der Zukunft erwachsen.

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