Auto-News

Autotests

So funktioniert die automatische Notbremsung - Notbremsassistent bei Campingbussen im Test

Moderne Assistenzsysteme unterstützen Fahrende mehr und mehr. Doch die Systeme haben auch ihre Grenzen. Wie der Notbremsassistent funktioniert — promobil hat’s ausprobiert.

so funktioniert die automatische notbremsung - notbremsassistent bei campingbussen im test

So funktioniert die automatische Notbremsung – Notbremsassistent bei Campingbussen im Test

“Aber jetzt muss ich bremsen!”, schießt es mir panisch durch den Kopf. Es fällt schwer, dem Marco Polo auf Mercedes V-Klasse-Basis das Ruder komplett zu überlassen. Indessen setzt er in aller Seelenruhe erst eine Warnmeldung im Display vor mir ab, bremst dann leicht an, strafft den Gurt und bringt die Fuhre per Vollbremsung im allerletzten Moment sicher zum Stehen – kaum zehn Zentimeter vor dem Hindernis. Puh – das war echt knapp.

In diesem Fall wäre ein Crash nicht ganz so dramatisch gewesen, denn das vermeintliche Auto vor der Stoßstange ist ein Dummy. Zwar auch stolze 24.000 Euro teuer, aber so gebaut, dass die Einzelteile aus Schaumstoff im Crashfall in ein paar Minuten ohne größeren Schaden wieder zusammengeklettet werden können.

Dieses Wissen macht es mir leichter, dem Marco Polo beim Bremsvorgang voll zu vertrauen. Tempo 30, 40, 50 – der Dummy bleibt heil. Bei Tacho 60 kann sich die Steuerelektronik dann nicht mehr entscheiden, die Warnmeldung kommt, der Bremsvorgang wird aber nicht eingeleitet. Nur mit beherztem Pedaltritt und Lenkeingriff kann ich einen Crash noch verhindern. Trotzdem wird der Dummy unsanft zur Seite geschubst. Beim Zurechtrücken der verschobenen Schaumkarosserie schauen mich die Heckleuchten irgendwie beleidigt an. Sorry, kleiner Dummy, war keine Absicht.

Warum hat der Notbremsassistent versagt?

Im Gespräch mit Manuel Neumann von Driving Concept, dem deutschen Servicepartner des österreichischen Dummy-Herstellers 4active Systems, diskutieren wir über die Ursache dafür, dass der Notbremsassistent nicht ausgelöst hat. “Viele Systeme schalten bei etwa 60 km/h ab, weil sie als City-Notbremsassistent nur für den Stadtverkehr ausgelegt sind”, gibt der Experte zu bedenken. Der Marco Polo war bei dieser Fahrt offenbar gerade im Bereich der Grenzgeschwindigkeit unterwegs.

Notbremsassistent im Fiat vs. Mercedes

Fahrzeugwechsel. Jetzt ist der Hobby-Campingbus dran. Basis ist der Fiat Ducato, der seit rund einem Jahr in erneuerter Form und damit auch mit mehr Assistenzsystemen einschließlich Notbremssystem antritt. Gleich vorweg: Auch der Fiat schafft es sicher bis knapp Tempo 60, den Dummy unbelästigt zu lassen.

Die Eskalationsstufen sehen hier zunächst einen Warnton vor, dann erscheint im Zentraldisplay unübersehbar die Aufforderung “Bremsen!”, bevor die Vollbremsung eingeleitet wird. Kurz vor dem Stillstand wird die Bremse hier allerdings wieder gelöst, so dass der Wagen am Ende langsam auf das Hindernis aufrollt – wenn nicht der Fahrende auf die Bremse steigt. Hintergrund: Da der Test-Ducato ein Schaltgetriebe hat, bremst er nicht bis zum Stillstand, um den Motor nicht abzuwürgen. Beim Mercedes Marco Polo mit Automatik ist das nicht nötig.

Nach einer Notbremsung warnen übrigens beide Testwagen im Display, dass der Assistent zunächst ausgeschaltet bleibt. Der Ducato empfiehlt zusätzlich, eine Kontrolle des Systems vornehmen zu lassen. Nach Zündungsneustart fahren die Assistenten jedoch wieder hoch und sind einsatzbereit.

Erkennt der Assistent Fahrräder auf der Fahrbahn?

Als zweites Target hat Manuel Neumann einen Fahrradfahrer mitgebracht. FußgängerInnen und Radfahrende, die die Straße queren, werden von den meisten aktuellen Systemen ebenfalls erkannt. Schwieriger zu erfassen sind Fahrradfahrende, die längs auf der Straße stehen oder fahren – darum stellen wir den Dummy längs am Rand der Fahrspur auf.

Der Marco Polo fährt darauf zu – und zeigt keinerlei Reaktion. Ohne beherzten Lenkeingriff würde es schlecht für den Dummy ausgehen. Fairerweise muss man dazu sagen, dass in der Systembeschreibung des Mercedes-Notbremssystems auch nicht versprochen wird, dass diese Art von Hindernis erkannt wird. Als neuere Konstruktion ist der Ducato hier im Vorteil. Das System detektiert auch dieses Hindernis zuverlässig und leitet rechtzeitig die Notbremsung ein – dem Radler-Dummy wird kein Haar gekrümmt.

AEBS – das steckt an Technik drin

Notbremsassistenten werden im Fachjargon als Advanced Emergency Breaking Systems, kurz AEBS, bezeichnet. Es handelt sich dabei um Systeme, die per kamera-, lidar- oder/und radarbasierter Sensorik in erster Linie stehende und fahrende Fahrzeuge erfassen können und gegebenenfalls eine Notbremsung einleiten. Damit sollen Schäden vermieden oder zumindest abgemildert werden, die durch Fahrer entstehen können, die entweder abgelenkt sind oder nicht mehr reagieren können, etwa bei einem medizinischen Notfall.

Die Systeme werden von den einzelnen Herstellern jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt. Allen gemeinsam ist, dass zuerst eine meist mehrstufige Warnung des Fahrenden erfolgt, bevor tatsächlich die finale Notbremsung eingeleitet wird. Mögliche Warnsignale sind Warntöne, Anzeigen im Display, ein vibrierendes Lenkrad oder ein kurzes Anbremsen. Damit soll der abgelenkte Fahrer aufmerksam gemacht werden, damit er bestenfalls selbst eingreifen kann.

Wann die erste Warnung erfolgt und wie groß der zeitliche Abstand bis zur Notbremsung ausfällt, ist eine Frage der Markenphilosophie. Will der Hersteller den Fahrer möglichst frühzeitig animieren, noch selbst einzugreifen, oder will er ihn erst dann “belästigen”, wenn es wirklich brenzlich wird, um dann die Notbremsung einzuleiten? Letztere Strategie hat den Vorteil, dass der Pilot kaum noch Möglichkeit hat, durch eine Fehlreaktion die Situation womöglich zu verschlimmern.

Beitrag zur Verkehrssicherheit

Eng damit verbunden ist auch die Frage, ob das System so frühzeitig bremst, dass das Fahrzeug vor dem Hindernis zum Stehen kommt, oder die Geschwindigkeit nur reduziert, damit der Crash möglichst wenig Schaden anrichtet. Einigkeit herrscht aber insgesamt darüber, dass Notbremsassistenten einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten können, weil sie Unfälle vermeiden oder die Schäden abmildern.

Welche Marken bieten welche Assistenten?

K = Kastenwagen (für Campingbusse); F = Fahrgestell (für Alkovenmobile oder Teilintegrierte)

K = Kastenwagen (für Campingbusse); F = Fahrgestell (für Alkoven, Teilintegrierte); W = Windlauf (für Integrierte); 1) vorerst nicht für Triebköpfe; 2) nicht mit Allradantrieb; 3) nicht mit Zwillingsbereifung; 4) inklusive Anhänger; 5) nicht als Dreiachser und Radstand 4,9 m; 6) nicht bei 5-Tonnern mit Zwillingsbereifung bzw. bei Radstand 4,9 m.

Notbremssysteme sind Pflicht seit 2022

In der Europäischen Union müssen darum seit 6. Juli 2022 alle neu typgenehmigten Pkw- und Transporter-Modelle bis 3,5 Tonnen mit einem City-Notbremssystem ausgestattet sein. Das ist auch der Grund, warum die meisten Systeme nur bis knapp 60 km/h ausgelegt sind, also im innerstädtischen Geschwindigkeitsbereich.

Bei höheren Geschwindigkeiten, etwa auf Autobahnen, kann dann übrigens ein anderes System diese Funktion übernehmen: der Abstandsregeltempomat (ACC). Er hält nicht nur die Geschwindigkeit konstant, sondern bremst auch aktiv herunter, teils bis zum Stillstand, wenn langsamere oder gar stehende Hindernisse auf der Fahrbahn erkannt werden. Damit ist der ACC nicht nur ein Komfort-, sondern auch ein Sicherheitsgewinn.

Für die meisten neuen Lkw sind Notbremssysteme, die über den ganzen Geschwindigkeitsbereich funktionieren, bereits seit November 2015 vorgeschrieben. Dass es trotzdem noch die berüchtigten Auffahrunfälle am Stauende auf der rechten Spur gibt, hängt aber nicht nur damit zusammen, dass noch viele ältere oder Nicht-EU-Lkw auf den Autobahnen unterwegs sind, sondern auch mit der Tatsache, dass die Notbremssysteme hier deaktivierbar sind.

Nicht wenige Lkw-FahrerInnen fühlen sich offenbar gegängelt vom AEBS, etwa wenn sie etwas dichter auf den Vordermann auffahren wollen, um im Windschatten Schwung für den Überholvorgang zu holen. Bevor dann Warnungen nerven oder gar automatisch gebremst wird, drücken sie lieber den Off-Schalter.

Umgang mit AEBS: Vertrauen oder Übersteuern?

Generell sind AEBS so ausgelegt, dass sie stets von der Person hinterm Lenkrad übersteuerbar sind. Durch Lenkeingriff oder den Tritt aufs Brems- oder Gaspedal übernimmt die FahrerIn wieder die Kontrolle – auch wenn der Mensch dann eventuell schlechter reagiert als das Notbremssystem. Die KollegInnen der promobil-Schwesterzeitschriften “Fernfahrer” und “Lastauto Omnibus” fordern darum schon seit Längerem Schulungen für Lkw-FahrerInnen zum richtigen Umgang mit dem AEBS. Aber das wäre durchaus auch für Fahrende anderer Fahrzeugkategorien sinnvoll, um im Zweifelsfall richtig zu reagieren und nicht nur auf das AEBS zu vertrauen.

Es gibt genug Situationen im täglichen Straßenverkehr, wo ein Übersteuern des Systems sinnvoll sein kann. Etwa wenn ein abbiegendes Auto anhalten muss und vom Folgefahrzeug als Hindernis erfasst wird, der Fahrende aber erkennt, dass keine Notsituation vorliegt. Dann reicht es, sanft zu bremsen oder aufs Gas zu gehen und das Hindernis zu umschiffen.

Aber es ist auch eine Haftungsfrage. Solange das System jederzeit übersteuerbar ist, bleibt das Haftungsrisiko im Falle eines Schadens in erster Linie beim Fahrenden. Das kann auch nicht anders sein, zumindest solange die AEBS-Sensorik nur unter bestimmten Bedingungen zuverlässig und korrekt funktioniert. Bei tiefstehender Sonne, Regen oder spätestens bei Schneefall sind die Systeme raus – in der Regel tun sie dies durch eine entsprechende Warnung im Display auch kund, so dass sich der Fahrer immerhin darauf einstellen kann.

Im Hinblick auf die vielfältigen Einflussfaktoren, die eine korrekte Funktion aktueller Notbremssysteme verhindern können, wird aber auch deutlich, dass der Weg bis zum vollautonomen Fahren noch weit ist. Insbesondere für die Transporterklasse, die die meisten Reisemobil-Basisfahrzeuge stellt und in der neue Techniken oft als Letztes ankommen. Ein Plus an Sicherheit bringen die Notbremssysteme aber allemal.

So testet promobil

Bremsassistenten zu testen ist komplizierter, als man denkt. Es reicht nicht, ein paar Umzugskartons auf die Straße zu stellen und darauf zuzufahren. Das Hindernis – offiziell GVT, Global Vehicle Target genannt – muss verschiedensten internationalen Vorgaben entsprechen, damit es von der radar-, lidar- oder/und kamerabasierten Sensorik des Fahrzeugs sicher erkannt wird. Andererseits soll auch kein größerer Schaden entstehen, wenn die Notbremsung mal nicht klappt. Spezialist für die Entwicklung und Herstellung von solchen Targets und allem, was mit den Tests zusammenhängt, ist das österreichische Unternehmen 4active Systems, mit dessen deutschem Servicepartner Driving Concept die Tests durchgeführt wurden. Der dabei eingesetzte Pkw-Dummy besteht aus mehreren Schaumformteilen, die mit Klettbändern innerhalb weniger Minuten zusammengesetzt werden können. Die Oberflächen sind so gestaltet, dass der Dummy nicht nur wie ein Auto aussieht, sondern auch von der Sensorik als solches erkannt wird. Genauso gibt es natürlich auch Dummys für andere Verkehrsteilnehmer: Fußgänger, Roller-, Fahrrad- und Motorradfahrer – aber auch Tiere.

Assistenzsysteme in modernen Lkw

Der Notbremsassistent ist seit 2015 Pflicht für fast alle neu eingeführten Lkw-Modelle ab acht Tonnen. Doch die gesetzlichen Vorgaben der EU sind relativ lasch, so muss das AEBS beispielsweise die Geschwindigkeit lediglich um ein bestimmtes Maß reduzieren, nicht bis zum Stillstand bremsen. Die meisten Lkw-Hersteller bieten heute Systeme, die deutlich über diese Vorgaben hinausgehen. Insbesondere Mercedes-Benz Trucks will Vorreiter sein auf dem Gebiet der Sicherheit. Der im Actros eingebaute Notbremsassistent kann stehende und sich bewegende Hindernisse erkennen, inklusive über die Fahrbahn laufender Fußgänger, und bis zum Stillstand abbremsen. Auch im Stop-and-go-Verkehr bremst der Actros automatisch und fährt innerhalb einer gewissen Zeitspanne auch wieder selbstständig los. Ebenfalls inbegriffen ist ein aktiver Spurhalteassistent, und auch eine Verkehrszeichenerkennung ist verfügbar.

Ein besonderes Sicherheitsfeature ist zudem der Abbiegeassistent, den Mercedes als erster Hersteller anbietet. Dabei wird der Raum rechts neben dem Lastzug überwacht und der Fahrer vor stehenden und sich bewegenden Hindernissen optisch und akustisch gewarnt, notfalls eine Bremsung eingeleitet. Das vermeidet nicht nur beim Überholvorgang zu frühes Einscheren, sondern verhindert vor allem beim Abbiegen, feste Hindernisse wie Verkehrsschilder oder gar einen Fahrradfahrer neben dem Laster zu übersehen und womöglich anzufahren.

TOP STORIES

Top List in the World