Der neue Reifen speziell für Elektroautos verbindet erstmals geringen Rollwiderstand mit Notlaufeigenschaften. Und öko ist er obendrein.
Die Antriebswende stellt auch die Reifenindustrie vor große Herausforderungen. Denn Elektroauto sind in der Regel nicht nur deutlich schwerer als konventionell angetriebene Pkw. Das hohe Drehmoment der Elektromotoren an den Antriebsrädern sorgt auch für einen höheren Verschleiß der Laufflächen. Zudem werden die Abrollgeräusche der Reifen deutlich wahrnehmbar, wenn kein Verbrenner mehr unter der Motorhaube brummt oder nagelt. Ganz zu schweigen von der wachsenden Bedeutung des Rollwiderstands in klimabewegten Zeiten: Je höher der Energieaufwand zur Bewegung der Fahrzeugmasse, desto geringer fällt die Reichweite des Autos aus.
„Ein Reifen mit zehn Prozent weniger Rollwiderstand lässt ein Elektroauto etwa zwei Kilometer weiter rollen“, weiß Pierangelo Misani, der Technikchef von Pirelli. Der Reifenhersteller aus Turin bringt mit dem P-Zero E im September einen neuen Performance-Reifen mit einer spezifischen Technologie für batteriegetriebene Elektroautos auf den Markt. Ein kleiner unscheinbarer Schriftzug „Elect“ auf der Reifenflanke weist darauf hin.

Polestar 4 Der neue Highperformance-Stromer kommt ohne Heckscheibe – aber mit den neuen Pirelli-Reifen. Foto: Polestar
Eingesetzt wird der neue Reifen bereits von BMW bei der Erstausrüstung des iX M60. Beim Lotus Eletre, dem Polestar 4 und weiteren 28 neuen Modellen befindet sich der überwiegend in Rumänien produzierte „grüne“ Reifen derzeit in der Homlogationsphase, berichtet der Chefentwickler im Gespräch mit EDISON stolz. Im Ersatzgeschäft wird er für bereits in den Markt eingeführte Hochleistungs-Stromer in 17 Größen zwischen 18 und 22 Zoll erhältlich sein.
Dreimal Note A
Pierangelo Misani Der 64-jährige Raumfahrtingenieur ist seit bald 40 Jahren in der Reifenentwicklung von Pirelli tätig. Seit Februar 2022 ist er Vorstand für Forschung und Entwicklung bei dem italienischen Reifenhersteller und Formel-1-Ausrüster.
Erfahrungen aus der Formel 1
Wie das gelang? Bleibt Betriebsgeheimnis. Wie Misani andeutet, spielte Pirelli die Virtualisierung der Reifenentwicklung in die Hände – die Konstruktion und Erprobung neuer Pneus am Computer. Dort lasse sich schnell feststellen, wie sich neue Gummimischungen oder Änderungen an der Geometrie etwa auf das Walkverhalten und den Abrieb von Reifen auswirken. „Da helfen uns die Erfahrungen auch aus der Formel 1 und dem Motorsport.“
Helfen soll die Simulationen in den kommenden Jahren auch, eine neue Herausforderung zu meistern. Bei der neuen Abgasnorm Euro 7 möchte die EU-Kommission mit Blick auf die Feinstaub-Problematik auch den Reifenabrieb stärker reglementieren. „Angesichts der Zunahme von Elektroautos seien Bremsen und Reifen auf dem Weg, die Hauptquellen von Partikelemissionen von Fahrzeugen zu werden“, wurde im vergangenen Jahr bei einem ersten Entwurf argumentiert.
Biobasierte Stoffe für weniger Abrieb
Der Pirelli-Cheftechniker hält das Problem gleichwohl für lösbar: „Neue Polymere sorgen heute schon für hoch abriebfeste Reifen, da gab es in den vergangenen Jahren einen ungeheuren Fortschritt.“ Die aktuelle Reifengeneration haben schon einen um 23 Prozent geringeren Abrieb als die Reifen der Generation davor. „Und mit dem wachsenden Anteil von biobasierten Materialien wird das Problem ohnehin kleiner.“
Stimmt, fast hätten wir es vergessen: Der neue P Zero E von Pirelli bestehen, wie von der nordischen TÜV-Organisation „Norske Veritas“ bestätigt, bereits zu 55 Prozent aus Recyclingmaterial oder Stoffen biologischen Ursprungs. Beispielsweise aus Reisschalen und Bioharzen. Misani: Im P Zero E setzten wir nun erstmals Lignin ein, einen Abfallstoff aus der Papierindustrie.“ Eine grüne Einfärbung stand bei der Reifenentwicklung trotzdem nicht zur Debatte: Trotz einer Reduzierung des Rußanteils bleiben die Pneus weiterhin schwarz.