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Original-Test: Renault Espace I : Das revolutionäre Großraum-Auto

Sorgt die Reise im Franzosen für eine ganz andere Lebensqualität? Am Steuer des Tests für Heft 4/1985 saß Redakteur Götz Leyrer.

original-test: renault espace i : das revolutionäre großraum-auto

Für den Sprint bis Tempo 100 benötigt er 12,0 Sekunden.

Fast 100 Jahre sind seit der Erfindung des Automobils vergangen, und man könnte durchaus der Ansicht sein, dass die Entwicklung heute ein Niveau erreicht hat, das spektakuläre Fortschritte nicht mehr zulässt. Doch scheinbar weit gefehlt: Noch nie waren in den Konstruktionsabteilungen mehr graue Zellen tätig, um genau das Gegenteil zu beweisen, um durch neue Technik ständig neue Kaufanreize zu schaffen. Ganz gleich, ob es ein echtes Bedürfnis gibt oder nicht – die Turbowelle rollte, gefolgt vom Allrad-Boom und einer Schwemme von Vierventilern. ,

Aber das kann doch noch nicht alles sein? Natürlich nicht – schon ist die Idee vom Großraum-Auto geboren, forciert zunächst von den Japanern und neuerdings vertreten durch den Espace von Renault. Dabei ist der Gedanke noch nicht einmal neu: Die Van-Kultur in den USA war ihr Vorreiter – mit Autos, die ihren Zweck hauptsächlich als üppig herausgeputztes Spielzeug erfüllten und der amerikanischen Eigenart entgegenkamen, möglichst alles im Auto zu erledigen.

Großraum-Auto mit Lebensqualität

Renaults Espace ist da ganz ähnlich talentiert. Eine Großfamilie kann in seinem geräumigen Gehäuse beispielsweise picknicken, man kann sich auch mit Gesellschaftsspielen beschäftigen oder – wie in der Renault-Werbung – der mitgebrachten Sekretärin einen eiligen Geschäftsbrief diktieren.

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Bleibt zu erwähnen, dass er natürlich auch die wichtigste Aufgabe eines Automobils erfüllt: das Fahren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Reise im Großraum-Auto tatsächlich für eine ganz andere Lebensqualität sorgt – anders als in einer profanen Limousine oder einem geräumigen Kombi. Mit der serienmäßigen Sitzbestückung, bestehend aus fünf Einzelsitzen, die sich mit wenigen Handgriffen in den verschiedensten Gruppierungen aufstellen lassen, befördert der Espace fünf Personen, die in jeder Hinsicht eine üppige Bewegungsfreiheit genießen – hier kann man die Beine wirklich bequem ausstrecken.

Bei voller Bestuhlung nur geringer Stauraum

Das so erzielte Komforterlebnis allerdings wird etwas eingeschränkt durch die Sitze selbst. Um sie, wie in der Espace-Konzeption vorgesehen, leicht transportabel zu machen, verboten sich ausladende und entsprechend bequeme Clubsessel von selbst; das Gestühl geriet deshalb recht zierlich, weist eine reichlich kurze Sitzfläche auf und bietet wenig Seitenführung – besonders spürbar für die in der Wagenmitte platzierten Passagiere, die ohne seitliche Armlehnen auskommen müssen. Ein weiteres Zugeständnis ans Espace-Konzept ist, dass bei den hinteren Sitzgelegenheiten auf Dreipunktgurte verzichtet werden musste; hier gibt es nur einfache Beckengurte, die am Sitzunterbau verankert sind.

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Zusätzliches Mobiliar gibt es gegen Aufpreis. Mit ihm avanciert der Espace zum veritablen Siebensitzer, ohne dass die einzelnen Mitfahrer ihren Platzbedarf spürbar reduzieren müssten. Nur ihr Reisegepäck sollten sie auf das Notwendigste beschränken, denn bei voller Bestuhlung schrumpft der normalerweise 800 Liter große Stauraum im Heck auf Kleinwagenformat. Wird der Espace zum Zweisitzer degradiert, kann er dafür auch schwierige Transportaufgaben erfüllen. Es entsteht ein riesiger Laderaum mit vollkommen glatter Ladefläche, der sich durch die weit herunterreichende Heckklappe auch gut beladen lässt.

Fahrer und Beifahrer haben die besten Plätze

Das beträchtliche Volumen des kastenförmigen Aufbaus, so praktisch es in bestimmten Fällen auch sein mag, sorgt aber ebenfalls für ein Klimatisierungsproblem, denn so viel Luft will schließlich erst einmal erwärmt sein. Die Wirkung der Heizung, das zeigte sich an kalten Wintertagen deutlich, ist allenfalls durchschnittlich – zudem bleibt es völlig unverständlich, weshalb auf zusätzliche hintere Ausströmer verzichtet wurde. In der Praxis bedeutet dies, dass es den beiden Vornsitzenden eben warm genug ist, wenn die Hinterbänkler noch über kalte Füße klagen.

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Am besten sind im Espace also Fahrer und Beifahrer untergebracht, zumal ihre zwar drehbaren, aber ansonsten fest arretierten Sessel großzügiger dimensioniert und entsprechend bequemer ausfielen als das hintere Gestühl. Diese bieten so durchaus den von einer herkömmlichen Limousine gewohnten Komfort, ändern aber nichts daran, dass speziell der Fahrer sich an einige Espace- Eigenheiten gewöhnen muss. So tritt er, wie ein Bus-Chauffeur, fast senkrecht von oben auf die Pedale ein und hat zunächst etwas Mühe, mit dem etwas zu weit hinten platzierten Schalthebel zurechtzukommen. Das Lenkrad indessen steht mit fast limousinenhafter Neigung im Raum, und auch die wichtigsten Bedienungsorgane im Armaturenbrett sind übersichtlich und leicht erreichbar angeordnet. Allein bei den Rundinstrumenten wäre weniger Styling mehr gewesen; die kleinen, im Stil von Digitalanzeigen gehaltenen Ziffern lassen sich nur schlecht ablesen.

Kürzer als ein VW Jetta

Schließlich ist auch der mächtige Vorbau gewöhnungsbedürftig. Wo sich bei konventionellen Autos die Motorhaube erstreckt, befindet sich im Espace ein riesiges Armaturenbrett. Der Abstand zur Frontscheibe ist entsprechend groß – gut für das Raumgefühl, aber schlecht für die Sicht bei starkem Regen, denn schließlich wirkt eine beschmutzte Scheibe umso undurchsichtiger, je weiter man von ihr entfernt ist.

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Ohnehin ist die Sicht nach vom eingeschränkt. Allein durch die hohe Sitzposition ergibt sich zwar eine gute Übersicht über das Verkehrsgeschehen; die nach vorn abfallende Motorhaube aber entzieht sich den Blicken und erschwert so zielsicheres Rangieren. Ansonsten sieht man gut heraus aus dem Espace, was aber nichts daran ändert, dass es mit der Handlichkeit nicht zum Besten bestellt ist. Denn seine Formgebung lässt den Espace viel größer erscheinen, als er tatsächlich ist – vom Fahrersitz aus möchte man wirklich nicht glauben, dass er sogar noch fünf Zentimeter kürzer ist als ein VW Jetta.

Nur leichte Untersteuerneigung

So freundlich der Innenraum des Espace auch gestaltet ist – beim Fahren bleibt doch der Eindruck, es mit einem kultivierten Nutzfahrzeug zu tun zu haben. Schon allein die Sitzposition stempelt dieses Auto mehr zum Bus als zur Limousine, mit dem Ergebnis, dass sich fast von selbst auch eine entsprechende Fahrweise einstellt. Nicht unbedingt ein Auto zum Schnellfahren also, weil sich in der Höhe rein subjektiv das Gefühl einstellt, als sei der Renault in Kurven früher am Ende als tief auf dem Boden kauernde Limousinen.

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Die Skepsis allerdings, das zeigt sich rasch, ist eigentlich gar nicht angebracht. Denn wenn die ersten Hemmungen erst einmal überwunden sind, offenbart der Espace ein ganz untückisches Fahrverhalten, wie sich das für einen modernen Fronttriebler gehört. In Kurven stellt sich eine nur leichte Untersteuerneigung ein, die von der ausreichend leichtgängigen Servolenkung gut kaschiert wird; die Seitenneigung bleibt überraschend gering.

Hohe Zuladung von 670 kg

Das freilich ist auch kein Wunder, denn die Abstimmung der Federung geriet betont straff – vor allem auch deshalb, weil angesichts der Raumfülle auch für eine entsprechend hohe Zuladung (670 kg) gesorgt wurde. Der so gefundene Kompromiss jedenfalls kann nicht befriedigen – zweifellos wäre es eleganter gewesen, durch eine zusätzliche Niveauregulierung dafür zu sorgen, dass der Espace bei voller Belastung nicht in die Knie geht. Die harte Federung nämlich schränkt den Fahrkomfort nur allzu deutlich ein. Selbst kleine Bodenunebenheiten werden spürbar, grobe Schlaglöcher gar führen zu harten Stößen, die den ganzen Aufbau erzittern lassen.

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Die daraus resultierenden Karosseriegeräusche machen deutlich, dass die Verarbeitung des in kleiner Serie bei der Firma Matra gebauten Espace keine allzu hohen Ansprüche erfüllen kann. Immerhin aber bescheinigt ihm der Hersteller gewisse Langzeit-Qualitäten: Das gesamte Karosseriegerippe aus Stahl ist verzinkt, die Karosse selbst besteht aus glasfaserverstärktem Polyester.

176 km/h Spitze

Schon allein wegen seines dürftigen Federungskomforts fühlt man sich im Espace auf glattflächigen Autobahnen am wohlsten, zumal auch hier von der eingeschränkten Handlichkeit nichts zu spüren ist. Der gute Geradeauslauf sorgt für entspanntes Fahren, auf Wunsch mit einem Reisetempo, das man einem Auto von solcher Statur gar nicht Zutrauen möchte. Aber schließlich erinnert die Formgebung der Espace-Front nicht nur optisch an den französischen Train Grande Vitesse (TGV) – sie ist auch entscheidend mit dafür verantwortlich, dass sich ein überdurchschnittlich guter cw-Wert von nur 0,32 realisieren ließ.

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Zusammen mit der kräftigen Motorisierung, im Fall des TSE ein zwei Liter großer Leichtmetall-Vierzylinder mit 109 PS (90 kW), ist so eine Höchstgeschwindigkeit von 176 km/h möglich, die allerdings wegen des als Schongang ausgelegten fünften Gangs nur im Vierten bei immerhin 5700/min erreicht wird und damit in einem Drehzahlbereich, in dem der Motor zu einer recht brummigen Tonart neigt. Der oberhalb von 4.000/min stark anschwellende Geräuschpegel lässt es bei normaler Fahrweise geraten erscheinen, unterhalb dieser Marke zu bleiben, was angesichts des günstigen Drehmomentverlaufs auch kein Problem darstellt. Bei rund 2.000/min zieht der Vierzylinder kräftig durch; die Übergänge beim Gasgeben erfolgen weich und ruckfrei, in dieser Hinsicht hinterlässt der Vergasermotor des Espace einen besseren Eindruck als das Einspritztriebwerk des R 25.

Im Test knapp 15 Liter verbraucht

Die gute Durchzugskraft, die ein betont schaltfaules Fahren ermöglicht, ist aber nicht nur im Sinne eines niedrigen Geräuschpegels vorteilhaft. Sie sorgt ebenfalls dafür, dass der Renault nur relativ wenig Benzin verbraucht, wenn seine Drehzahlreserven nicht ständig angetastet werden. So ist es ohne weiteres möglich, mit elf L/100 km auszukommen; der Maximalverbrauch im Test wurde mit knapp 15 Liter/100 km ermittelt. Im Durchschnitt ergaben sich 12,6 L/100 km, durchaus akzeptabel, wenn man den Espace als Kleinbus betrachtet, aber nicht gerade wenig, wenn man bedenkt, dass er in serienmäßiger Form eben auch nicht mehr kann als ein fünfsitziger Personenwagen.

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Wer deshalb die Idee des Großraum-Autos nüchtern beurteilt, dem kommen natürlich Zweifel daran, ob mit diesem Konzept jetzt das Ei des Kolumbus entdeckt wurde. Von einem Trend zur Großfamilie kann schließlich gerade bei uns keine Rede sein, und nicht jeder hat täglich eine Tiefkühltruhe zu transportieren. So bleibt es den Käufern überlassen, ob sie in diesem Konzept eine fortschrittliche Alternative zu regulären Limousinen und Kombis sehen – oder ob der Espace die Antwort auf eine Frage ist, die niemand gestellt hat.

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