Nissan

Nissan Ariya: Stromern auf fast schon luxuriöse Art

Der Ariya brauchte lange, um auf die Straße zu kommen. Trotzdem weist das neue Elektroauto von Nissan noch Schwächen auf.

Nissan zählt zu den Pionieren der Elektromobilität – viele haben das bereits vergessen. Der Nissan Prairie Joy war 1996 das weltweit erste Elektroauto überhaupt, das von einer Lithium-Ionen-Batterie angetrieben wurde. Und der Nissan Leaf, der im Dezember 2010 auf den Markt kam, zählt mit über 600.000 verkauften Einheiten bis heute zu den meistverkauften Elektroautos weltweit. Doch der Ruhm des Modells ist inzwischen verblasst. Und der Eifer, mit der die Japaner lang die Antriebswende betrieben, schien lange über den Streitereien mit Partner Renault nach dem unrühmlichen Abgang des langjährigen Doppel-CEOs Carlos Ghosn zu lahmen.

Doch jetzt ist Nissan zurück im Rennen, haben die Japaner mit dem Elektro-SUV Ariya ein neues heißes Eisen im Feuer – drei Jahre nach der Weltpremiere des Modells. Und dabei soll es nicht bleiben: Nach der Neuaufstellung der Zusammenarbeit mit Renault (und Mitsubishi als Juniorpartner) will die Allianz bis 2030 auf gemeinsam entwickelten Plattformen insgesamt 35 neue Elektroautos auf den Markt bringen. Auf Nissan sollen davon allein 15 Modelle entfallen.

nissan ariya: stromern auf fast schon luxuriöse art

Brüderlein und Schwesterlein Nissan Ariya und Renaults Megané E-Tech nutzen die gleiche Elektro-Plattform. Nur auf unterschiedliche Weise.

Der neue Nissan Ariya, der sich die CMF(„Common Module Family“)-EV-Plattform bereits mit dem Renault Megané E-Tech teilt, ist gewissermaßen also die Vorhut der Modelloffensive, die gerade anrollt. Und sie demonstriert, was die Technikbasis an Vielseitigkeit und Modularität hergibt. Bei einem Zusammentreffen beider Modelle im winterlichen Rheinland konnten wir das kürzlich selbst überprüfen.

Nissan mit dem größeren Akku

Rein äußerlich haben beide Fahrzeuge wenig gemein. Der 4,20 Meter lange und nur 1,50 Meter hohe Renault kommt als windschnittige Kompakt-Limousine im Crossover-Stil daher, mit einer niedrigen Dach- und einer hohen Gürtellinie, mit sinnlich ausgestellten Hüften und Türgriffen, die bei der Annäherung an der Fahrzeug ausfahren. Der Ariya hingegen ist ein ausgewachsener Elektro-SUV, 49 Zentimeter länger und 15 Zentimeter höher, ebenfalls sehr stylish wie windschnittig gezeichnet, aber kantiger – so als hätten die Nissan-Designer das Tonmodell final noch ein wenig mit einem Samurai-Schwert bearbeitet. Die konventionellen Türgriffe haben sie dabei aber stehengelassen.

Auch technisch unterscheiden sich beide Fahrzeuge durchaus. Den Frontantrieb mit einer Spitzenleistung von 160 kW oder 218 PS sowie einem maximalen Drehmoment von 300 Newtonmetern gibt es zwar für beide Fahrzeuge. Bei unserem Test-Ariya mobilisierte der fremerregte Synchronmotor an der Vorderachse allerdings bis zu 178 kW (243 PS). Und die Lithium-Ionen-Batterie im Fahrzeugboden konnte netto bis zu 87 kWh Strom speichern – dem Franzosen müssen maximal 60 kWh genügen. Die Ladeleistung von maximal 130 kW wiederum haben beide gemeinsam. Was ein echtes Handicap ist, wie sich noch herausstellen sollte.

nissan ariya: stromern auf fast schon luxuriöse art

Mit Schlitzaugen LED-Scheinwerfer und -Leuchten sorgen bei beiden Elektroautos für einen prägnanten Auftritt, tagsüber wie nachts.

Bevor es mit dem Ariya (oder der Ariya – immerhin handelt es sich auch um einen weiblichen Vornamen indischen Ursprungs) auf die Piste ging, genossen wir zunächst das besondere Ambiente, mit der der Nissan seine Fahrgäste empfängt. Mit einem großzügigen Platzangebot und edlen Materialien, die das aufpreispflichtige Evolve-Paket beinhaltet: Sitze in Lederoptik, wildlederähnliche Bezüge für Türverkleidungen und den Armaturenträger sowie eine Mittelkonsole, die sich nicht nur elektrisch verschieben lässt, sondern auch noch mit Holzfurnier belegt ist.

Darin eingelassen sind „kapazitive“ haptische Schaltflächen – vollintegrierte hinterleuchtete Knöpfe, um beispielsweise das Fahrprogramm zu wählen oder (wiederum elektrisch) eine große Schublade aus dem unteren Teil des Armaturenträgers herauszufahren. Der Fußraum vorne wird von einer Art japanischer Papierlaterne illuminiert, auch in den Türen taucht dieses Muster auf. Und es gibt ein riesiges Panoramadach, das sich nicht nur mit einer Blende verschatten, sondern auch öffnen lässt. Elektrisch, versteht sich.

Keine Platzangst im Fond

Es geht luftig zu im Ariya. Über den Köpfen wie auch im Knieraum hinten – 17 Zentimeter mehr Radstand machen sich da bemerkbar. Und während die Fondpassagiere im Renault schon mal unter Platzangst leiden, können sie im Nissan durchaus die Beine übereinander schlagen und sich an kalten Wintertagen zudem den Popo wärmen. Elektrisch, versteht sich. Der Fahrer freut sich derweil über das beheizbare Lenkrad (wie im Renault) und ein Head-up-Display – das jeder Renault-Fahrer schmerzlich vermissen wird, wenn er die Vorzüge der Technik erst einmal kennengelernt hat.

Aber genug der Vorrede. Wir fahren die Mittelkonsole vor, bis der Fahrschalter exakt unter der rechten Hand liegt. Ein kurzer Druck auf den Startknopf, dann den Shifter nach hinten gezogen (die Logik vertehe, wer will) – und vorwärts geht’s. Nicht unbedingt sportlich dynamisch, denn wir bleiben vorerst im Komfort-Modus, der nur etwa 250 Newtonmeter Drehmoment freisetzt. Das reicht völlig für den Stadtverkehr und Überlandfahrten.

nissan ariya: stromern auf fast schon luxuriöse art

Schöner Wohnen Stilvoll zeigt sich der Nissan Ariya auch im Innenraum. Die kapazitiven Schaltflächen sehen nicht nur gut aus. Sie geben dem Nutzer auch eine gute Rückmeldung, wenn sie gedrückt werden. Da hat man schon schlechtere Lösungen gesehen.

Der Ariya ist nicht nur größer als sein französischer Halbbruder. Er wiegt aufgrund der größeren Abmessungen und der mächtigeren Batterie in unserer Version über zwei Tonnen (exakt 2121 Kilogramm) – in Summe also über 400 Kilogram mehr als der Renault Megané. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Fahrleistungen und den Energieverbrauch des Elektro-SUV. So beschleunigt der Ariya weder schneller als der Megané auf Tempo 100 (7,6 Sekunden), noch kommt er im Alltagsverkehr viele Kilometer weiter.

530 Kilometer Reichweite bleiben unerreicht

Der versprochene Prospektwert von 530 Kilometer bleibt zumindest unter winterlichen Rahmenbedingungen ein Traumwert. Mit einem Verbrauch von durchschnittlich knapp 24 kWh auf 100 Kilometer kam der Elektro-Nissan (inklusive Ladeverluste) nicht über 350 Kilometer weit. Hier herrscht dann wieder Gleichstand mit dem Renault, den wir parallel mit einem Durchschnittsverbrauch von 17,3 kWh/100km bewegten. Auf der Autobahn mit maximal 120 km/h, versteht sich.

Und an der Ladesäule hatte der Megané sogar die Nase vorn, stand der Franzose etliche Minuten weniger als der Japaner. Nicht nur, weil hier ein kleinerer Akku zu füllen war, sondern auch, weil der Strom einen Tick schneller in den Renault floss: Die Ladeleistung des Nissan kam nicht über die Marke von 92,9 kW hinaus. Dafür war allerdings bei ihm die Performance bis zu Ladestand von knapp unter 80 Prozent erstaunlich stabil: Auf die Ladekurven, die an den Schnellladern angezeigt wurden, hätte man ein Lineal legen können.

nissan ariya: stromern auf fast schon luxuriöse art

Kein Verbrauchswunder Das hohe Gewicht fordert Tribut: Unter winterlichen Bedingungen kommt der Elektro-Nissan im Drittelmix nicht über eine Reichweite von 350 Kilometer hinaus. Auf der Autobahn sollte dann aber nicht schneller als 120 km/h gefahren werden.

In dem Punkt ist der Renault deutlich sprunghafter: Es ging zwar schnell rauf bis auf 130 kW – um dann aber schon bald danach steil wie stetig abzufallen. Die Ingenieure von Renault und Nissan sollten sich also alsbald mal zusammenhocken und über ein Software-Update für beide Fahrzeuge nachdenken. Mit einer maximalen Ladeleistung von 130 kW hinken beide Elektroautos den meisten Wettbewerbern ohnehin schon deutlich hinterher.

Ariya geht eigene Wege

Auch sollten die Partner einmal über eine Angleichung ihrer Software-Systeme nachdenken. Renault setzt bei seinem „openR Link“ genannten Infotainment-System auf Google und Android. Das erleichtert nicht nur die Bedienung und Anpassungen des Fahrers an persönliche Vorlieben. Es sorgt auch für hochaktuelle Verkehrs- und Ladeinformationen für die Navigation.

Nissan hingegen geht seinen eigenen Weg. Um aktuelle Verkehrsinfos und verfügbare Ladesäulen entlang der Route angezeigt zu bekommen, muss über Nissan Connect zunächst ein kostenpflichtiger Service freigeschaltet werden. Und die Darstellungen des Straßenetzes und der Landschaft auf dem 10,8 Zoll großen Zentraldisplay ist weder so brilliant noch so feingezeichnet wie auf dem 12-Zoll-Touchscreen des Renault und wirkt deshalb etwas old-fashioned. Immerhin lässt sich Apple Car Play drahtlos in das System integrieren und über diesen Umweg so etwas wie Gleichstand herstellen.

nissan ariya: stromern auf fast schon luxuriöse art

Grauer Alltag? Keineswegs Auch in punkto Design hat Nissan einen Sprung nach vorne gemacht. Der Ariya gibt der SUV-Flotte eine neue Note.

Aber damit soll mit der Mäkelei denn auch schon Schluss sein. Oder fast. Wünschen würden wir uns beim Fronttriebler noch eine etwas feinfühligere Steuerung des Fahrpedal: Auf schneebedeckter Straße musste der rechte Fuß sehr sensibel eingesetzt werden, um die Vorderräder nicht sofort durchdrehen zu lassen. Für Bewohner von Bergregionen ist deshalb die allradgetriebene Version e-4ORCE sicher die bessere Wahl. Auch weil hier bei gleicher Akkukapazität bis zu 225 kW Leistung zur Verfügung stehen, um beispielsweise eine Anhängerlast von 1500 Kilogramm zu ziehen. An den Haken unseres grauen Testwagens hätten maximal 750 Kilogramm gedurft.

Sprung nach vorn – auch bei den Preisen

Festzuhalten bleibt: Mit dem Ariya macht Nissan tatsächlich einen großen Sprung nach vorn, optisch wie technisch. Der Ariya ist ein echter Wohlfühl-Stromer, der in vielen Punkten an der Luxusklasse kratzt. Zu Preisen allerdings auch, die weit über denen des Nissan Leaf, aber auch des Renault Megané E-Tech liegen: Unser Testwagen kam mit Nappaleider-Sitzen und 20-Zoll-Rädern auf einen Preis von 65.990 Euro. Das sind über 10.000 Euro mehr als für den Franzosen hingelegt werden müssen. Der Nissan Leaf in Topausführung ist sogar über 20.000 Euro günstiger: Der Fortschritt hat lleider seinen Preis.

TOP STORIES

Top List in the World