Motorräder

Naked Bike

Nicht für die Vitrine, sondern für die Straße

Ein Ritt auf der Wakan ist ein unerhörtes Erlebnis. Nicht nur für die Ohren. Selten erregte eine Fotoproduktion so viel Aufsehen wie diese.

Diese Maschine ist zweifellos die Show: Sensationelle Verarbeitung, edelste Teile, spektakuläres Design. Trotzdem hielt sich die Begeisterung beim Autor zunächst in Grenzen. Zeigt doch die Erfahrung, dass die Qualitäten bei selbstgebauten Einzelstücken oft auf die Optik beschränkt sind. Dabei hat er durchaus ein Faible für Konstruktionen jenseits des Mainstreams, insbesondere großvolumige Zweizylinder, jedoch kombiniert mit einer eher pragmatischen Einstellung zum Thema Funktionalität: In erster Linie muss ein Motorrad laufen, sprich fahren, dann muss es einigermaßen alltagstauglich sein – Stichwort Ergonomie, Wendekreis, Bedienung etc. -, und erst dann kommt die Optik.Doch ist die Wakan kein Einzelstück, sondern wird in Kleinserie gefertigt. Über den Ort der Entstehung Wetten abzuschließen, sollten im Übrigen nur ausgesprochene Zockernaturen ins Auge fassen. Wer aufgrund des Markennamens Wakan, der aus der Sprache der Sioux-Indianer stammt und soviel wie „heilig“ bedeutet, des gewaltigen Harley-Davidson Triebwerksklons des US-amerikanischen Zulieferers S&S sowie der Hubraumangabe in Cubic-Inches auf „gods own country“ tippt, handelt zwar nachvollziehbar, liegt aber daneben. Und zwar ziemlich genau um eine Atlantikbreite.
Der Erfinder, Entwickler und Erbauer Joël Domergue sitzt nicht in der texanischen Prairie, sondern in Frankreich, in der Provence, genauer gesagt in dem idyllischen Flecken Aniane. Dort werden vor allem Trial-Motorräder der Marke Scorpa produziert. Und dies hinreichend erfolgreich, sodass sich Domergue seinem Traum einer zweirädrigen AC-Cobra – dieser vierrädrigen Brigitte Bardot des auto- und rennsportverrückten Texaners Carroll Shelby aus den 1960er-Jahren – erfüllen konnte.

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Die elektronisch gesteuerten Ansaugklappen erinnern bestimmt nicht nur zufällig an einen Dragster.

Optisch passt der Vergleich, die beiden fetten weißen Rallyestreifen stehen der Wakan ebenso gut wie der Cobra. Für den machotauglichen Auftritt sorgen die beiden elektronisch gesteuerten Ansaugklappen auf der Tankattrappe, die als Airbox fungiert und einen tapferen, wenngleich vergeblichen Kampf gegen die Ansauggeräusche führt. Der Zufall will es, dass der Fahr-und Fototermin ebenfalls in Südfrankreich stattfand, rund 200 Kilometer vom Entstehungsort entfernt.Selten erregte eine Fotoproduktion – sie fand direkt an der Strandpromenade von La Ciotat statt – so viel Aufsehen wie diese. Reihenweise blieben Autofahrer mitten auf der Straße stehen, um ein Auge zu werfen, Jogger verließen ihren aeroben Bereich, Rentner vergaßen kurzzeitig ihre Yorkshire-Terrier. Einige Motorradfahrer machten sogar kehrt und legten eine spontane Pause ein. Viele Fragen mussten beantwortet werden, etwa die nach Hubraum (1647 cm3), Leistung und Drehmoment (gemessene 111 PS/153 Nm) oder Preis (33320 Euro). Für die größte Verblüffung sorgte aber stets die Nachricht, dass die Wakan quasi aus der Nachbarschaft stammt.Während der Fotoproduktion gab es hinreichend Gelegenheit, die Roadster eingehend unter die Lupe zu nehmen. Dabei fiel auf, das Joël Domergue in punkto Verarbeitungs- und Oberflächenqualität nur ungern Kompromisse eingeht. So zieren den fetten S&S-Bigblock zahlreiche aus dem Vollen gefräste oder polierte Deckel, Halter und Kleinteile, die extrem steil stehende, voll einstellbare Upside-down-Gabel von Ceriani klemmt in filigranen Gabelbrücken. Das selbsttragende Rahmenheck fügt sich passgenau ins Konzept ein und bunkert nebenbei 14 Liter Sprit. Der Detailverliebtheit stehen die geschmiedeten Marchesini-Felgen, deren Oberflächen komplett mit der Fräse nachgearbeitet sind, in nichts nach. Schade, dass man das während der Fahrt nicht sieht, im Gegensatz zu dem recht langweiligen und obendrein billig wirkenden Digitalcockpit.Womit wir bei der eigentlichen Bestimmung angelangt sind, dem Fahren. Die anfängliche Euphorie erhält beim Aufsitzen bereits den ersten Dämpfer, denn das winzige Sitzbrötchen ist nicht nur steinhart, sondern bietet auch keinerlei Halt. Dafür fallen die Hände wie von allein auf die Lenkerstummel. Die Startprozedur des von einem Keihin-Flachschieber-Vergasers versorgten V-2 zieht sich bei Kälte etwas hin, und wenn er dann läuft, kann das der halbe Landkreis bezeugen. Wie die Wakan zu ihrem schwarzen Kennzeichen kam, ist schleierhaft.
Von der wirklich exorbitanten Geräuschentwicklung und der Tatsache, dass der hintere Krümmer gerne Löcher in Hosenbeine brennt, abgesehen, kann die Roadster süchtig machen. Bereits nach wenigen Metern wird klar, dass dieser Ami-Franzose nicht für die Vitrine, sondern für die Straße gebaut ist. Ab Standgas gibt es Drehmoment mehr als genug, nebenbei bekommt der Pilot eine bis in den mittleren Drehzahlbereich angenehme Ganzkörpermassage verabreicht. Eine Bremsscheibe vorn genügt, um die lediglich 208 Kilogramm schwere Roadster mit zwei Fingern einzubremsen. Einlenkverhalten und Neutralität sind deutlich besser als bei einer Buell XB 12. Schräglagenfreiheit ist kein Thema. Die nächste Gerade kommt in Sicht, auf sie mit Gebrüll! Fazit: Die Wakan Roadster ist ein Spielzeug mit hohem Unter-haltungswert für Menschen mit genügend Kleingeld. Mit etwas sozialverträglicheren Äußerungen wäre sie nicht nur Brüller, sondern Knüller des Jahres.

Technische Daten

nicht für die vitrine, sondern für die straße Zeichnung: Archiv

Diagramm: Leistung an der Kurbelwelle; Messungen auf Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5 %.

Motor:Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-45-Grad-V-Motor, eine untenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Stoßstangen, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, Flachschiebervergaser, Ø 41 mm, Batterie 12 V/19 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kette.Bohrung x Hub 101,6 x 101,6 mmHubraum 1647 cm3Verdichtungsverhältnis 10,3:1Nennleistung 89,0 kW (121 PS) bei 5750/minMax. Drehmoment 165 Nm bei 4250/minFahrwerk:Einschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 46 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, Scheibenbremse vorn, Ø 340 mm, Sechskolben-Festsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel.Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 5,75 x 17Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17Maße und Gewichte:Radstand 1380 mm, Lenkkopfwinkel 68,0 Grad, Nachlauf 85 mm, Federweg v/h 105/70 mm, Sitzhöhe* 790 mm, Gewicht vollgetankt* 208 kg, Tankinhalt 13,0 Liter.Garantie zwei JahreFarben Grau, Schwarz, Weiss, RotPreis 33320 EuroNebenkosten 400 Euro
*MOTORRAD-Messungen

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