Heute dürften weltweit noch etwa 1500 Autos existieren, die den Namen Bugatti wirklich verdienen: rare Oldtimer, darunter ein Exemplar, das Anfang Februar in Paris versteigert wird – zusammen mit rund 230 weiteren Sammler-Fahrzeugen. Es handelt sich um einen Bugatti 57 «Atalante», einen der elegantesten Sportwagen, die jemals die Fabrikhallen im elsässischen Molsheim verlassen haben.
Aber Bugatti – waren das Automobile, wie wir sie heute kennen? Und wem ist diese Marke überhaupt noch geläufig? Es gibt zwar einen Sportwagenhersteller unter derselben Bezeichnung, der erst zur Volkswagen-Gruppe gehörte und heute von einem Joint Venture zwischen Porsche und dem kroatischen Automobilhersteller Rimac geführt wird. Das hat aber wenig mit den legendären Renn- und Sportwagen zu tun, wie sie von Ettore Bugatti gebaut wurden – fahrende Kunstwerke, begehrte Manufaktur-Autos sozusagen und vergleichbar mit handgefertigten Schweizer Chronografen.
Im Vergleich zu einem alten Bugatti sind die allermeisten Fortbewegungsmittel auf vier Rädern Massenware. Davon werden heute jährlich über 50 Millionen Stück produziert. Der grösste Automobilhersteller, Toyota, verkaufte allein im Jahr 2021 rund 10,5 Millionen Autos. Lediglich 8000 Exemplare produzierte hingegen die elsässische Automobilfabrik – nicht in einem Jahr, sondern während eines halben Jahrhunderts. Ettore Bugatti und sein (früh bei einem Autounfall verunglückter) Sohn Jean waren Tüftler und Erfinder, geniale Ingenieure. Und in ihren Adern floss Künstlerblut.
Patron mit Melone
Dazu zählt zweifellos der jetzt auf den Markt gelangende «Atalante» mit Baujahr 1936. Der vom französischen Versteigerer Artcurial vorgestellte Wagen ist ein sportlicher Zweisitzer, eine von nur vier Ausführungen dieses Typs mit Sonnendach, und – typisch für den Geschmack der Zeit – in eine zweifarbige Carrosserie gekleidet. So präsentiert er sich jetzt in Paris: in Schwarz und Elfenbein, mit bulliger Schnauze, aber ungemein elegant fliessenden Seitenlinien. Das gedrungene Dach nimmt die Rundungen der Kotflügel auf, die langgezogene, potente Motorhaube hat ihren harmonischen Gegenpart in einem runden, sanft abfallenden Heck.
Wer war der Schöpfer solch mobiler Eleganz? Der Patron von Molsheim, der stets eine Melone trug, wurde als Ettore Arco Isidoro Bugatti am 15. September 1881 in Mailand geboren. Er war 19 Jahre alt, als er an einer Mailänder Autoshow mit seinem ersten Entwurf eine Goldmedaille gewann. Der elsässische Industriellen-Baron de Dietrich liess das Vehikel in Lizenz bauen, den Vertrag unterzeichnete Ettores Vater, da der italienische Daniel Düsentrieb noch nicht unterschriftsberechtigt war. Es folgten Wanderjahre des Experimentierens. Bugatti ging zum Motorenhersteller Deutz nach Köln, wo er bald als Chefingenieur firmierte. 1912 entwarf er zwei Modelle für Peugeot. Da hatte er sich bereits mit einer Handvoll Mechanikern in einer alten Färberei in Molsheim eingerichtet.
Hier im Elsass entwickelte er seine Boliden, die meistens in Blau, der Rennsportfarbe Frankreichs, an den Start gingen – selbst auf der Rennstrecke in Monza in seiner italienischen Heimat. Mit dem Typ 35 entwarf Bugatti in den zwanziger Jahren, was unter Kennern als der vollendetste je gebaute Rennwagen gilt – eine stromlinienförmig verschalte Maschine auf vier unverkennbaren, in Aluminium gegossenen Felgen, die den Speichenräder-Look für passé erklärten und heute als Prototyp der modernen Autoreifen gelten.
Eine erste Extravaganz leistete sich Bugatti mit dem Typ 41 «Royale» – ein Automobil für Könige, das allerdings nie Eigentum eines Königs wurde. Im Jahr 1926 war Ettore Bugatti auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt, er hatte die nötigen Mittel, seinen Traum eines Luxusautos zu realisieren – grösser und besser als alles zuvor. Das Resultat war ein Monsterauto mit einem Radstand von 4,3 Metern und einem 12,7-Liter-Motor von 73 Pferdestärken – ein vielleicht noch am ehesten vergleichbares Luxusauto der Zeit wie etwa ein Rolls-Royce brachte es damals höchstens auf 40 PS. Die Kühlerhaube zierte ein sich aufrichtender Elefant, entworfen von Bruder Rembrandt.
Der Bugatti Typ 41 «Royale» mit der von Rembrandt Bugatti gestalteten Kühlerfigur. Stanislav Belicka / Imago
Von weiblichen Models beworben
Zu einer der erfolgreichsten Kollektionen von Bugatti gehört hingegen der in Paris angebotene Typ 57 «Atalante». Erstmals wurde für diese Serie der charakteristische hufeisenförmige Bienenwaben-Kühler mit einem Nickel-Silber-Grill versehen. Überdies wurde der Typ 57 im Katalog mit modisch gekleideten weiblichen Models beworben – ein Novum in den dreissiger Jahren. Der Slogan lautete: «Puissance, Sécurité, Confort, Précision (Kraft, Sicherheit, Komfort, Präzision).
Den 3,3-Liter-8-Zylinder-Wagen gab es als Limousine, Cabriolet und Sport-Coupé, wie das jetzt zum Verkauf stehende Modell. Dieses wurde an einen Juwelier in Marseille geliefert. Angeblich soll sich der Patron in Molsheim seine Kundschaft ausgesucht haben; die Eliten Europas standen Schlange bei Ettore Bugatti, um eines seiner Gefährte kaufen zu dürfen.
Der «Atalante» ist ein Stück Automobilgeschichte: Er hat Tausende von Kilometern zurückgelegt und nahm an den angesagtesten Rallys seiner Epoche teil: an jenem von Monte-Carlo ebenso wie am prestigeträchtigen Motorsport-Wettbewerb Liège–Rom–Liège, der über einige der schwierigsten Bergstrassen Europas führte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Wagen von einem belgischen Architekten erworben. Dieser lebte während der sechziger Jahre in Kongo, wo er den «Atalante» regelmässig ausfuhr. Als 1963 der Bürgerkrieg ausbrach, flüchtete er mit seiner Frau am Steuer seines Bugatti aus dem Land.
Zurück in Europa, gelangte der Sportwagen in den Besitz verschiedener Sammler. Jetzt wird er auf einen Wert von zwei bis drei Millionen Euro geschätzt. Teuer war er aber schon zur Zeit seiner Produktion: Damals musste man 109 000 Francs investieren, wie die Bugatti-Tarife vom Oktober 1936 ausweisen. Für denselben Preis hätte man gleich drei Exemplare der bekannten Gangster-Limousine von Citroën kaufen können.