Test

Mercedes Vision EQXX im Test: Der Rest der Welt ist kurzsichtig

Extreme Aerodynamik und obsessiver Leichtbau als Schlüssel zu hoher Reichweite

mercedes vision eqxx im test: der rest der welt ist kurzsichtig

Der Vision EQXX gleitet über die Strecke im Testzentrum Immendingen, als hätte Mercedes nicht 18 Monate in die Entwicklung des Autos gesteckt, sondern viele Jahre. Eine so kurze Entwicklungszeit für ein Concept Car ist nicht ungewöhnlich, aber der EQXX ist keine normale Designstudie.

Der EQXX ist eher ein rollender Prüfstand als eine fragile, handgefertigte Designstudie für eine Automesse. Kürzlich absolvierte der EQXX schon seine zweite Reichweiten-Rekordfahrt. Dabei schaffte das Auto die 1.202 Kilometer von Stuttgart nach Silverstone und kam damit noch weiter als bei der erste, 1.000 km langen Fahrt von Sindelfingen nach Cassis.

Jetzt fuhr ich das Auto rund um das Werk in Immendingen. Wer denkt, dass extreme Reichweite extreme Opfer erfordert, wird durch den kultivierten und reichhaltig ausgestatteten EQXX eines Besseren belehrt. Gleichzeitig beweist Mercedes damit, dass die aktuellen Elektroautos das Thema Effizienz noch nicht richtig angegangen haben.

Bildergalerie: Mercedes Vision EQXX Concept im Test

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Eine Fahrt zum Stromsparen

Effizienz war auch das Mantra für meine erste Testfahrt. Ich sollte die vorgegebene Strecke so sparsam wie möglich absolvieren und mich dabei mit den anderen Medienvertretern messen. Mit Antriebs-Ingenieur Julien Pillas als Beifahrer, einem der Piloten, die den EQXX von Sindelfingen nach Cassis fuhren, war ich fest entschlossen, zu gewinnen.

Ein sanfter Umgang mit dem Gaspedal ist wichtig, aber effizientes Fahren ist mehr. Statt der Scheibenbremsen sollte möglichst die rekuperative Bremse genutzt werden. Der EQXX bietet dazu einen Modus, der wesentlich mehr Bremskraft zur Verfügung stellt als die stärkste Rekuperationsstufe im EQS oder EQE .

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So sind die am Lenkrad montierten Wippen meine Bremsen. Mit dem Paddle links erhöht man die Bremskraft, rechts verringert man sie, wobei zwischen maximaler und ausgeschalteter Rekuperation nie mehr als drei Stufen liegen. Und selbst bei starker oder sehr starker Rekuperation (im Instrumentendisplay angezeigt als “D-” oder “D–“) lässt sich das Gas problemlos dosieren.

Noch spannender ist, was passiert, wenn man die Aerodynamik arbeiten lässt. Ein niedriger Luftwiderstand sorgt für wenig Windgeräusche und erleichtert es, das Tempo auf der Autobahn zu halten. Doch der EQXX ermöglicht durch seine windschnittige Karosserie zudem das Dahinrollen auf langen Strecken.

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Beschleunigen Sie sanft, deaktivieren Sie die Rekuperation und nehmen Sie das Gas zurück, um zu spüren, wie der EQXX nur durch seinen Schwung vorwärts schießt. Sobald dieser Schwung nachlässt, übernimmt die Schwerkraft die Kontrolle: Der EQXX wird selbst beim sanftesten Gefälle schneller. Mehrmals musste ich die Rekuperation verstärken, um unter den Tempolimits von 60 bis 100 km/h zu bleiben.

Die Aerodynamik des EQXX ist eine Kombination aus Neuem und Bekanntem. So leitet ein Air Curtain die Luft um die Räder herum, um Turbulenzen zu reduzieren. Die Colaflaschen-Form und das extrem lange Heck sind ebenfalls bekannte Aerodynamik-Tricks. Aber der EQXX nutzt auch neue Details.

So gibt es vorne und hinten aktive Elemente wie den ausfahrbaren Heckdiffusor, der so wirksam ist wie ein Heckflügel in Esstischgröße. Die hintere Spur ist zudem fünf Zentimeter enger als die vordere, wodurch die hinteren Reifen bündig mit dem sich verjüngenden Heck sind. Aktive Klappen in der Frontschürze und eine Kühlplatte im Unterboden regeln den Luftstrom, ohne die Kühlung zu beeinträchtigen (besonders wichtig bei dem luftgekühlten Akku des EQXX).

Das fast endlose Dahinrollen ohne Antrieb war der Schlüssel, um den EQXX ohne Nachladen von Deutschland nach Cassis und Silverstone zu bringen. Ebenso wichtig war es bei meinem Test. Ich kam auf einen Verbrauch von nur 7,4 kWh pro 100 Kilometer und schlug damit die 7,9 kWh/100 km des Mercedes-Testfahrers auf derselben Strecke. Allerdings war meine Durchschnittsgeschwindigkeit etwa 5 km/h niedriger als bei dem Mercedes-Fahrer, so dass ich das Ergebnis als unentschieden bezeichnen würde.

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Jedenfalls verbrauchte der EQXX kaum mehr als ein Drittel, wenn man ihn mit den Serien-Elektroautos vergleicht, die ich normalerweise teste. Die meisten Kollegen kamen auf Werte von 8,0 bis 8,5 kWh/100 km, kamen bei der Geschwindigkeit aber näher an die 49 km/h des Mercedes-Fahrers heran. Diese Werte sind nicht weit von den 8,3 kWh/100 km entfernt, die Mercedes auf der Fahrt von Stuttgart nach Silverstone gemessen hat.

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Eine Fahrt für den Fahrspaß

Bei einer zweiten Fahrt rund um Immendingen fuhr ich den EQXX eher wie mein eigenes Elektroauto. Mein Fazit in Kurzform: Wenn man sich nicht darum schert, Elektronen zu sparen, tut es der EQXX auch nicht. Wie die besten Grand Tourer verbirgt er seine extremen Fähigkeiten so lange, bis sie gebraucht werden. Mit einem Gewicht von 1,7 Tonnen und einem 241-PS-Elektromotor hat der EQXX mehr Leistung und weniger Gewicht als die Single-Motor-Version des Polestar 2 (231 PS und 2 Tonnen) und des VW ID.4 (201 PS und 2 Tonnen). Das Leistungsgewicht des EQXX ist sogar besser als das eines EQS 450.

Der Vision saust fröhlich vor sich hin, wenn man ihm einen kräftigen Tritt aufs Gas verpasst, und beschleunigte einmal bergauf mit überraschender Autorität auf 100 km/h. Der EQXX wird keine Sprintwettkämpfe gegen das Tesla Model S Plaid oder einen Porsche Taycan gewinnen, aber der Wagen ist fast jedem anderen 2WD-Elektroauto auf der Straße ebenbürtig.

Wenn Sie sich nicht darum scheren, Elektronen zu sparen, tut es der EQXX auch nicht. Wie die besten Grand Tourer versteckt er seine extremen Fähigkeiten so lange, bis sie gebraucht werden.

Das Fahrwerk ist eher straff, wie schon Brett T. Evans von Motor1 USA bei seiner Probefahrt feststellte. Aber das hat mich nicht gestört; der EQXX fühlte sich an wie ein gutes Mittelding zwischen der sportlichen Steifigkeit eines Mittelklasse-AMG und dem Fahrkomfort eines normalen Mercedes-Modells. Die Fahrgeräusche der superdünnen Bridgestone-Reifen sind zu hören, aber in Anbetracht der Tatsache, dass es im EQXX keine Windgeräusche, keinen Motorengeräusch und nicht einmal ein Radio gibt, hatte ich mehr Reifengeräusche erwartet.

Ich durfte den EQXX nicht zu hart in die Kurven prügeln – bei einem unbezahlbaren Konzeptauto eigentlich klar. Die Lenkung schien gut gewichtet zu sein. Aber trotz der steifen Aufhängung war das Handling nicht so souverän, wie ich es von einem Mercedes erwarten würde. Das Gewicht fühlte sich schlecht ausbalanciert an, auch wenn der Schwerpunkt sehr niedrig lag, und so waren die Karosseriebewegungen stärker als erwartet. Ich bezweifle, dass Mercedes so viel Zeit in die Abstimmung des Fahrwerks gesteckt hat wie in die des Antriebsstrangs. Schließlich ist das Ding in nur eineinhalb Jahren entstanden.

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Die Zukunft

Von der weltbesten Reichweite und Effizienz des EQXX lässt man sich leicht einwickeln. Und ich gebe zu, dass ich mich damit ausgiebig beschäftigt habe. Aber das verfälscht das Bild. Ja, der EQXX kann mit einer einzigen Ladung sehr weit fahren, aber das hätte Mercedes auch mit einer riesigen Batterie erreichen können.

Der EQXX ist ein Leitbild, ein Prüfstand und eine Inspiration für Design und Technik der Zukunft. Die Erkenntnisse, die Mercedes bei der Entwicklung und bei den beiden Rekordfahrten gewonnen hat, werden bei den Serienautos zu intelligenteren, effizienteren Modellen führen. Der EQXX trägt den Namen “Vision”, weil er genau das bietet, was der Autohersteller für die Zukunft des Autofahrens braucht.

Mercedes Vision EQXX Concept

Motor 1 Elektromotor (PSM)

Leistung 241 hp

Antrieb Hinterradantrieb

Batterie ca. 100 kWh

Elektrische Reichweite ca. 1.200 km

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