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Lancia Delta Integrale Evo 2 (1994): Die Rallye-Legende im Test von heute

Also dieses Früher, das hat einfach die beste Geschichte parat. Und Geschichten wie die des Lancia Delta, der einst als Integrale neben der Rallye-WM von Monte bis Akropolis auch unsere jungen Gemüter aufwühlte. So, Freunde, und jetzt kommt er als Evo 2 nach Hockenheim. Wir werden sehen, ob er als “Alter im Test” Held, was er verspricht.

lancia delta integrale evo 2 (1994): die rallye-legende im test von heute

Der Rallye-Integrale wühlte einst unsere jungen Gemüter auf. So, Freunde, und jetzt kommt er als Evo 2 nach Hockenheim. Wir werden sehen, ob er als „Alter im Test“ Held, was er verspricht.

Und die Moral von der Geschichte, denkst du dir, als sich durch das Morgengrauen die Silhouetten der Hügel aus der zurückweichenden Dunkelheit der Nacht abzeichnen. Die Moral jedenfalls, wenn es um Rennsport geht: Es gibt keine moralischen Sieger, nur moralische Verlierer. Oh, das klingt jetzt aber schwermütig? Na, vielleicht fangen wir einfach noch mal zusammen an – eine Dreiviertelstunde früher und nicht auf der A 6, sondern noch im Treppenhaus. Also komm, traben wir runter in U2 unserer Tiefgarage.

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Dort steht im flackerigen Grell des Neonlichts, rückwärts eingeparkt, damit er sich direkt die Auffahrt emporstürzen kann: der Delta HF Integrale 16V Evo 2. Erst denkst du dir: Echt jetzt, den gibt es wirklich! Da du immer kurz zweifelst, triffst du einen Helden deiner Jugend. Helden deiner Jugend verrätst du nicht – was auch passieren mag oder passiert sein mag.

Was alles so passierte, darüber können wir auf der Fahrt plaudern. Also komm, mein Freund, steig ein und schnall dich an. Denn das hier ist der HF Integrale, für den das erste Stück der Strecke nicht die Auffahrt zum Rolltor, sondern der Col de Garage ist. Ein Schlüsseldreh, der Twin-Cam, in der Urform von Aurelio Lampredi entwickelt, heisert sich in einen Leerlauf, rabaukt aber gleich auf den ersten Tapser Gas los. Nie eine Startampel da, wenn man eine braucht.

Egal. Fünf, vier, drei, Drehzahl hoch, zwei, Kupplungsfuß zuckt, ei…, Kupplung schnapp, losloslos. Aus der Parkbucht. Die zwei Kurven hoch: Dramatische Bremsung vor dem Rolltor, das die Eile der Lage wohl nicht erkannt hat. Drunter durch, raus in die Nacht, durch die Stadt, auf die Autobahn und zurück nach 1979.

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Da feiert der Lancia Delta nach fünf Jahren Entwicklungszeit auf der IAA Premiere. Für das Design nutzt Giorgetto Giugiaro seine Studie des Maserati Medici II. Oho, der Zweite. Jaja, denn gerade die italienischen Patrizierfamilien schätzen alles, was nach einer Dynastie klingt. Das verschafft dem Delta eine Extravaganz, mit der die Technik nicht recht mithalten kann. Die bescheidet sich anfangs in Mittelmäßigkeit, stammt großteils vom Fiat Ritmo. Klar, mit Ausnahme der Camuffo-Hinterachse, eine Einzelradkonstruktion mit Dreistablenker plus einem MacPherson-Federbein pro Rad, entwickelt, Sie ahnten es, von Sergio Camuffo. 1980 kürt die “Car of the Year”-Jury den Delta zum Auto des Jahres – ein Titel, der schon manch hoffnungsvolle Karriere vereitelte. Wir erinnern an Simca Horizon, Renault 9, Fiat Tipo, Opel Ampera. Immerhin verkauft sich der Delta ordentlich – in Schweden und Dänemark übrigens als Saab Lancia 600.

Pizza Cinque Formaggi

Aber zu einem Helden wird er in der Rallye-WM. Da marodiert er als Delta S4 im Wahnwitz der Gruppe B mit. Doch davon bleiben nur Tragödien (Toivonen/Cresto, Korsika). Triumphe und Legenden gibt es ab 1987 in der Gruppe A, und alles bereits bei der allerersten Rallye, der Monte.

Martini Racing, Lancias Rallye-Werkstruppe unter Cesare Fiorio, ausgebufftester aller Teamchefs, macht vom 17. bis 22. Januar 1987 in den Seealpen alles richtig und dazu alles falsch. Mit den neu entwickelten Delta HF 4WD demontieren Miki Biasion und Juha Kankkunen die Konkurrenz. Kankkunen noch mehr, was aber von Fiorios Drehbuch abweicht.

Das schreibt nicht nur einen Premierensieg des Delta vor, sondern einen Premierensieg mit italienischem Fahrer. So stallregiert er mit besten Absichten und schlechtestem Ausgang. Alle sehen, wie Kankkunen trödelt, bis sein Teamkollege vorbeikommt. Da man sich das nur bei immensem Vorsprung leisten kann, beleidigt es die anderen Hersteller. Deren Teamchefs lungern am Lancia-Servicepark herum und ereifern sich über die Technikdetails am Delta, die sie nie durch die Homologation bekommen hätten. Cesare Fiorio schon.

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Man muss sich das so vorstellen: Nehmen wir an, es gäbe eine FIA-Weltmeisterschaft nach dem Reglement der, sagen wir, Pizza Quattro Formaggi mit den klassischen Käsesorten (Parmigiano Reggiano, Mozzarella, Gorgonzola, Provolone). Dazu die Vorgabe, 5.000 solcher Pizzen zu backen, um an der WM teilnehmen zu dürfen. Dann würde Fiorio die Pizza noch mit einer fünften Sorte (etwa serbischer Pule aus der Milch von Balkan-Eseln) belegen, dazu mit reichlich Parmaschinken, Austern und Trüffeln. Dann würde er den FIA-Funktionären so lange Käse erzählen, bis sie nicht mehr bis vier zählen können. Und erst recht nicht bis 5.000. Ach, die 5.000 Homologations-Pizzen? Alle da. Stimmt, hier sehen wir nur ein paar Dutzend. Der Rest ist in der Küche. Müssten wir jetzt halt holen lassen oder anschauen gehen. Aber Amici, wozu der Umstand, sind wir nicht Freunde? Wollen wir uns nicht einfach vertrauen?

Die anderen Teamchefs meinen, am HF 4WD unerlaubt durchlöcherte Stoßfänger für mehr Kühlung zu erkennen, längere Radkästen für größere Räder und eine Hinterachsabstützung mit Zug- und Schubstreben. So jubeln bei der Monte alle Walter Röhrl zu, der den Audi 200 Quattro auf Platz drei wuchtet. Der moppelige 200 auf dem Turini, das kann man sich so heiter vorstellen, wie wenn man Omas Küchenschrank in den achten Stock zerren soll. Altbau. Ohne sich im engen Treppenhaus zu verkanten. So gilt Röhrl als moralischer Sieger. Gibt trotzdem nur Bronze.

Lancia dagegen gewinnt mit dem Gruppe-A-Delta nicht nur den ersten, sondern noch 45 weitere WM-Läufe. Das bringt sechs Markentitel am Stück, dazu vier Fahrermeisterschaften ein – durchaus unter Nutzung von mehr als nur ein paar Tricks. Aber das verklärende Licht der Erinnerung lässt Regelverstöße erst zu Schlitzohrigkeit changieren, dann als Schauerlegenden glänzen. Klappt in Italien schon seit Nero, der seinen Halbbruder und Thronrivalen Britannicus bei einem Festmahl vergiftete (ist solch Geschichtswissen, ganz nebenbei beim Geburtstagskaffeekränzchen Ihrer kinderlosen Erbtante vorgetragen, nicht geradezu unerlässlich, wollen Sie die Frage der Erbfolge gegenüber Ihren Geschwistern/Cousins/Cousinen in Ihrem Sinne voranbringen?). Ehrlichkeit dagegen erscheint im Rückblick wie, tja, schade, schade: Einfallslosigkeit. Die höchste Eskalation kaum der Ehrlichkeit, aber der Delta-Saga, ist der Integrale 16V (Sedicivalvole!) Evo 2. Der gurgelt sich nun in Hockenheim den Tank voll.

Seen und gesehen werden

Das dauert ein Weilchen, der Zweiliter-Turbo kann eben was vertragen. Sollte es je Zweifel an der Legendenhaftigkeit des Delta geben, genügt es, ihn kurz nach sechs in einer kleinen Stadt zu betanken. Trotz der frühen Stunde eilen Menschen herbei, umringen den Delta, dass Otto, Hans und ich kaum zusammenfinden. Die umjubelte Abfahrt zum Motodrom gelingt nur nach dem Versprechen, aus der Tankstelle zu starten, als gelte es, die Wertungsprüfung Ouninpohja auf der 1.000-Seen-Rallye anzugehen.

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Der Evo bringt alles mit, was einen Delta ausmacht: die breitesten Radkästen, den hochgetakeltsten Dach-spoiler, die am tiefsten heruntergezogenen Seitentüren und die stufigste Motorhaube, deren Mittelteil den vom Thema 16V abgeleiteten aufragenden Vierventil-Zylinderkopf überwölbt. Dazu, klar, Turbo, Ladeluftkühler, die vom Thema 8.32 abgeleitete Fünfgangbox und Permanent-Allrad mit Zentraldifferenzial und Viscosperre – das System verteilt 47 Prozent der Kraft nach vorn, 53 an die Hinterachse, wo ein Torsendifferenzial sitzt. Dann hat der Evo 2 noch 80 kg Dachlast. Nur so zur Vollständigkeit.

Wir wiegen ihn erst mal vollgetankt, was uns die ersten Messwerte bringt: 1.334 kg – 850 vorn, 484 hinten. Richtig hell ist es noch nicht, also vermaßen wir den Innenraum. Der bietet dafür, dass sich all die An- und Vortriebstechnik breitmacht, erstaunlich viel Platz für vier. Wobei es sich auf den Alcantara-bezogenen Sportsitzen vorn netter reist als im niedrigen Fond. Ganz groß ist im Kofferraum weniger sein Volumen von 200 Litern als die Hutablage mit Single Bubble als Ausbeulung, damit das Reserverad drunterpasst.

Nun die Messelektronik angebaut, GPS-Sender aufs Dach, raus auf die Strecke. Da checken wir zuerst den Tacho, der großspuriger anzeigt, als es ein Auto vom Rang des Delta nötig hätte. Keine Diskrepanz lässt sich bei der Geräuschmessung heraushören. Der Delta ist den Werten nach exakt so brülllaut, wie er klingt.

Damit sind wir ausreichend wach und der Delta warm gefahren für die Bremsmessung. Der Evo 2 hat schon ein ABS von Bosch, das noch etwas gröber regelt. Deswegen kann es mit der brachialen Verzögerung des Delta kaum mitstottern. Der stoppt mit 10,6 m/s², was wieder beweist: Weltmeisterschaften gewinnt man nicht nur durch Schnellfahren, sondern auch durch Schnellbremsen.

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Nun rüber in die Spitzkehre zum Start der Beschleunigung. Um den Motor auf Touren zu bringen, nur ein-, zweimal aufs Gas tippen – schon da fürchten wir, der Sturm, der aus dem Auspuff wütet, könnte den halben Hardtwald hinter uns entblättern. Drehzahl hoch. Kupplung schnappt. Drehzahl fällt. Denn wegen des immensen Grips drehen die Räder nicht durch, stattdessen drückt sich der Delta voran. Mit Gebrüll, mit 211 PS, mit 304 Nm, mit maximal 6.200/min, mit dem zweiten, mit dem dritten Gang, ja: mit allem. Aber auch mit runtergedrehtem Ladedruck. Statt mit einem bar Überdruck plustert der Garret T3 nur reduzierte 0,7 zusammen. Ganz im Sinne der Haltbarkeit und fast ganz auch in unserem. Allzu arg wollen wir den Delta nicht strapazieren, da lassen wir es gut sein mit den siebeneins auf hundert. Schon die fühlen sich aber wilder, ungestümer, echter an als dreiacht in einem hochtransformierten 455-kW-Elektro-SUV-Klotz (fühl dich da ruhig doof von der Seite angemacht, BMW iX M60).

Mit Kist und Lücke

Seine wahre Macht, seinen Zauber, seine Grandiosität packt der Delta dann beim Slalom aus. Er ist kein Straßenwagen für Rallyes, sondern ein Rallyeauto, mit dem man sich auf Straßen wagen kann. Die an sich nicht mal so direkt übersetzte Lenkung (15,44 : 1) spricht mit gezielter Giftigkeit an, ist fordernd beim Zupacken, millimetergenau in der Präzision, detailverliebt in der Rückmeldung. Stünde das Lenkrad nicht so steil und nicht in solch ungeschickter Position zur Sitzhaltung, Otto könnte die Rasanz, mit welcher der Lancia um die Pylonen zackt, noch steigern, da der HF so extrem handlich, agil, straff herumwitscht. Dabei grippt sich die Vorderachse in die Linie, der Allradantrieb stabilisiert die Neutralität. So schubbert der Evo 2 nicht ins Unter-, drückt nicht ins Übersteuern.

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Mag sein, dass sie bei Martini Racing alle Reglementlücken kannten und eine Trickkiste hatten, in die man so tief hineingreifen konnte wie in den Marianengraben. Aber mit Tricks allein gewinnt keiner 46 WM-Läufe. Das gelingt nur mit technischer Brillanz und – vielleicht sogar mehr noch – mit Leidenschaft.

Womit die Geschichte, kurz bevor wir nach Hause fahren, doch noch eine Moral hat. Nämlich die, dass es keine moralischen oder unmoralischen, keine guten und keine bösen Autos gab, gibt und geben wird. Für uns, Freunde der Kraftfahrt, gibt es nur belanglose und begeisternde Autos. Und der Delta gewinnt heute unsere Weltbegeisterschaft.

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