Viele Ferrari-Fans feiern mit dem Purosangue den längst überfälligen Crossover aus Maranello. Doch die Norditaliener tun so, als wäre der allradgetriebene SUV gar kein solcher. Ist er aber – besser und teurer denn je. Da ist er nun und seien wir ehrlich: er war lange überfällig – sagen die einen. Die anderen, echte Sportwagenfans mit einem eingebrannten Cavallino Rampante im Herzen, hätten auf den ersten Crossover aus dem Hause Ferrari wohl gut und gerne noch ein paar Jahre verzichten können. Puristen reichen Modelle wie 812 GTS, 296 GTB oder Portofino. Doch die Norditaliener konnten sich dem allgegenwärtigem SUV-Trend auch in der Topliga der Sportler nicht noch länger verschließen ohne Geld zu verbrennen und Kunden zu vergrämen, die sich wohnlich in Range Rover, Bentley Bentayga, Lamborghini Urus oder BMW XM einrichten.
Und die Diskussion, ob ja – ob nein, oder wieso und überhaupt – wird Mitte des Jahres niemanden mehr interessieren, denn wer den Ferrari Purosangue einmal gefahren ist, wird sich schneller in ihn verlieben als es ihm lieb ist. Trotz seiner Makel, seiner Fehler und weil er eben vieles anders macht als viele andere seiner so engagierten Kollegen.
Der Purosangue ist wahrhaft optisch gelungen, gerade von hinten eine echte Schau und die gegenläufig öffnenden Türen stehen ihm als Unterscheidungsmerkmal zur Konkurrenz von Aston Martin DBX, Range Rover, Porsche Cayenne Coupé oder Lamborghini Urus überaus gut; doch da gibt es noch einiges mehr. Wer meint, dass beim Wettbewerb der neue SUV mit dem wiehernden Cavallo auf der Haube über Nacht zum Volumenmodell mutieren würde, der sieht sich getäuscht. Maximal 20 bis 25 Prozent Verkaufsanteil soll er bekommen, damit die Marke eine waschechte Sportwagenmarke bleibt. Ob das mittelfristig so bleibt, darf bezweifelt werden, denn auch bei Aston Martin, Bentley, Porsche oder Lamborghini wurde die SUV-Liebe schnell zur Sucht und die Verkaufszahlen explodierten. Was an der Verkaufszurückhaltung in Maranello dran sein mag, wird die mittlere Zukunft zeigen, denn einst hatten die Ferrari-Verantwortlichen obligatorisch ausgeschlossen, dass es einmal einen SUV geben würde. Was dagegen spricht, dass der 4,98 Meter lange Purosangue (übersetzt Vollblut) zum Volumenmodell im Hause mutiert, dürfte jedoch der Preis ein, denn während der direkte Wettbewerb nach Elektrizität hechelt, kostet er kaum mehr als 150.000 bis 250.000 Euro. Der Basispreis des Ferrari Purosangue – bitte festhalten: rund 380.000 Euro – ohne Ledersitze, Navigationssystem und nennenswerte Fahrerassistenzsysteme. Da wird selbst vielen Ferrari-Fans der Mund trocken und lechzt nach einem kühlen Chianti. Dabei ist die Bedienung des Purosangue mit einem überfrachteten Lenkrad und fehlendem Zentraldisplay unvorstellbar schlecht – das macht jeder Basis-Dacia ein paar Klassen besser. Drei Bedienebenen allein an der unsichtbaren Hinterseite des Lenkrades, ein wildes Schalter-Wirr-Warr vorne mit überforderter Spracheingabe und einem Navigationssystem, das seine Daten allein vom Smartphone des Fahrers holt – nicht nur in dieser Liga schlicht inakzeptabel. Das wird auch nicht dadurch rausgeholt, dass der Beifahrer ein eigenes Display bekommt oder die Sportsitze gerade vorne klimatisiert und angenehm konturiert sind. Serienmäßig ist der Purosangue-Innenraum übrigens mit schickem Alcantara ausgeschlagen und betört, wenn das Triebwerk einmal in den Hintergrund treten soll, mit ebenso spektakulärem Burmester-Sound. Unglaublich für ein 2024er-Modell: auch bei Fahrerassistenzsystem oder Over-the-Air-Updates patzt der Crossover, ohne dafür auch nur einen Hauch mit seinen stämmigen Schultern zu zucken. Bei den weichen Faktoren da hakt es bei dem Purosangue – ganz anders beim Fahren, denn die Kombination aus prächtigen 6,5-Liter-V12, variablem Allradantrieb und einem fein abgestimmten Fahrwerk nebst geradezu perfekter Gewichtsverteilung von 49:51 kennt keine Schwäche. Die Lenkung ist mit der präzisen Rückmeldung von Fahrbahn und Rad eine Klasse für sich, wenngleich die serienmäßige Hinterradlenkung für Parkmanöver gerne ein paar Grad mehr einschlagen könnte, um den über zwei Tonnen schweren Italo-Koloss noch wendiger zu machen. Nick- und Wankbewegungen – nichts dergleichen, so hart man den Allradler bei schnellen Bergab- oder Bergaufpassagen auch herannimmt.
Immer wieder verliebt man sich in diese Lenkung und ist überrascht, wie viel Komfort gerade bei lässiger Fahrt auch das achtstufige Doppelkupplungsgetriebe seinen Insassen bieten kann. Die Fahrprogramme lassen sich wie bekannt bei Ferrari über einen kleinen Dreh-Drück-Steller am pickepacke-vollen Lenkrad justieren. Die Spreizung der einzelnen Modi passt und gerade komfortable Dämpfer mit angespanntem Muskelpaket sind auf kurvigen Bergstraßen trotz Winterpneus eine Bestbesetzung. Der Vorteil der gegenläufig öffnen Türen ist kaum ein solcher, doch es sieht einfach gut aus und die hinteren Einstiege lassen sich elektrisch öffnen. Viel Platz für groß gewachsene Insassen bietet der Fond jedoch nicht – hier unterstreicht er ebenso wie mit seinem gerade einmal rund 470 Liter großen Laderaum seine Sportwagenqualitäten ohne dies wirklich zu wollen.
Stefan Grundhoff; press-inform
Technische Daten: Ferrai Purosangue
Motor: V12 SaugmotorHubraum: 6498 ccmLeistung: 533 kW / 725 PSMax. Drehmoment: 716 Nm ab 6250 U/minHöchstgeschwindigkeit: 312 km/hBeschleunigung 0 – 100 km/h: 3,3 SekundenNormverbrauch: 17,3 Liter / 100 km/ 393 g CO2Antrieb: AllradGetriebe: Achtgang-Doppelkupplung
Ladevolumen: 465 Liter