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Ich wurde mit dem Auto durch Berlin chauffiert – der Fahrer saß kilometerweit weg

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Gründerszene-Redakteurin Sarah Heuberger (links) unterwegs im Vay-Auto. Der Sicherheitsfahrer neben ihr greift nur im Notfall ein

Gründerszene-Redakteurin Sarah Heuberger (links) unterwegs im Vay-Auto. Der Sicherheitsfahrer neben ihr greift nur im Notfall ein

Fast könnte ich vergessen, dass das Auto nicht von Chris gesteuert wird, der neben mir auf dem Fahrersitz sitzt. Doch dann dreht sich das Lenkrad wie von selbst und der Blinker blinkt, ohne dass er seine Hände bewegt hätte. Unser eigentlicher Fahrer James sitzt wenige Kilometer von uns entfernt und lenkt das Auto aus der Ferne sicher durch den zähflüssigen Verkehr in Berlin-Tempelhof.

Ich bin auf einer Testfahrt mit dem Berliner Startup Vay unterwegs. Das hat sich vorgenommen, die pragmatische, europäische Antwort im autonomen Fahren zu werden. Dass es dafür aktuell sogar gleich zwei Fahrer pro Auto beschäftigt – in unserem Fall Chris und James – kollidiert nur auf den ersten Blick mit dem Konzept des autonomen Fahrens. Denn mit sogenannten Tele-Fahrten will die Firma die Zeit überbrücken, die es noch dauert, bis tatsächlich autonom fahrende Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden.

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Die Fahrerzentrale im Berliner Büro von Vay: Gute Sicht auf vier riesigen Bildschirmen

Die Fahrerzentrale im Berliner Büro von Vay: Gute Sicht auf vier riesigen Bildschirmen

Unser Tele-Fahrer heute ist James. Er sitzt wenige Kilometer von uns entfernt im Berliner Ullsteinhaus in der Fahrerzentrale von Vay, dort hat das Startup seinen Firmensitz. Er ist uns über Lautsprecher zugeschaltet und sagt alles an, was er sieht: „Ein Fahrradfahrer kommt von hinten“, „eine Fußgängergruppe überquert die Kreuzung, ich warte.“ So soll sich Chris neben mir sicher sein, dass der Tele-Fahrer nichts übersieht.

Chris hat seine Hände mit den Handflächen nach oben auf die Knie gelegt, theoretisch jederzeit bereit, einzugreifen. Ein zusätzlicher Sicherheitsmechanismus, der bald überflüssig sein soll. Zumindest wenn es nach dem Startup geht. Seit nun mehr drei Jahren testet Vay seine Technologie auf Berlins Straßen, seit einem Jahr auch in Hamburg. In der Hansestadt soll das Startup bald ohne Sicherheitsfahrer fahren dürfen.

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Enge Straßen, unübersichtliche Kreuzungen – durch den Verkehr lenkt nicht der Sicherheitsfahrer (im Bild), sondern der Telefahrer (nicht im Bild)

Enge Straßen, unübersichtliche Kreuzungen – durch den Verkehr lenkt nicht der Sicherheitsfahrer (im Bild), sondern der Telefahrer (nicht im Bild)

Bis dahin müssen einige rechtliche Fragen geklärt werden: Wie soll zum Beispiel die Polizei damit umgehen, wenn sie ein fahrerloses Fahrzeug von Vay kontrollieren will? Dafür arbeitet das Startup eng mit der Stadt zusammen. Bald soll die Genehmigung der Verwaltung kommen – wann genau, darauf will sich die Firma lieber nicht festlegen. Es ist jedenfalls ein wichtiger Meilenstein für die Firma: Vay wäre dann das erste Unternehmen in der EU, dem das gelungen wäre.

Die Konkurrenz ist groß – mit anderem Ansatz

Die Konkurrenz ist groß, auch wenn die einen anderen Ansatz als Vay wählt: VW etwa gab gerade bekannt, im Jahr 2025 1.000 Robotaxis auf die Straße bringen zu wollen – ebenfalls in Hamburg. Mercedes wiederum hat eine sogenannte Systemgenehmigung für hochautomatisiertes Fahren erhalten. Der Fahrer kann sich zwischenzeitlich komplett vom Verkehrsgeschehen abwenden. Und dann ist da noch Tesla: Der E-Auto-Pionier lässt in den USA bereits mehr als 100.000 Kunden seine als „Full Self Driving” bezeichnete Assistenzsoftware im Straßenverkehr testen. Dabei vertrauen die Fahrzeuge ausschließlich auf Kamerabilder.

Auf einer Straße in Berlin-Tempelhof bleiben wir kurz hinter einem DHL-Van eingeordnet, bevor James auf die Gegenfahrbahn ausschert, um zu überholen. Weiter die Straße runter steht ein Ordnungsamtsmitarbeiter auf der Straße, der sich das Nummernschild eines geparkten Autos am Straßenrand aufschreibt. James fährt langsam an ihm vorbei.

Hinter mir auf dem Rücksitz sitzt Daniel Buchmüller, Senior Vice President of Engineering bei Vay. Er sagt: „Das sind klassische Situationen, die ein Mensch viel besser meistern kann als der Computer. Wir können schneller einschätzen: Ah, da steht jemand und schreibt sich etwas auf, er wird aller Wahrscheinlichkeit also nicht sofort losrennen. Da können wir uns elegant vorbeischieben.“ Ein Computer würde vielleicht erst mal ein Hindernis auf der Straße und würde das Fahrzeug anhalten.

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Daniel Buchmüller ist aus den USA zurück nach Berlin gezogen für seinen Job als Engineering-Chef bei Vay

Daniel Buchmüller ist aus den USA zurück nach Berlin gezogen für seinen Job als Engineering-Chef bei Vay

Von Elon Musks Boring Company zu Vay

Buchmüller arbeitet seit gut einem Jahr bei dem Startup. Der gebürtige Schweizer hat zuvor viele Jahre Silicon Valley gelebt, dort war er bei großen Namen wie Microsoft und Amazon. Das Thema Autonomie beschäftigt ihn nach eigenen Angaben schon lang, egal ob in der Luft oder am Boden. Bei dem E-Commerce-Händler arbeitete er an der Idee, Pakete mit Drohnen auszuliefern. Dabei hatte er Vay-Gründer Thomas von der Ohe zunächst eine Abfuhr gegeben. Neben dem Jobangebot der Berliner hatte er auch eines von Elon Musks Boring Company – und entschied sich für Musk. Doch von der Ohe sei hartnäckig gewesen, erzählt Buchmüller später. Jede Woche habe er ihn angerufen. Schließlich entschied sich Buchmüller doch dafür, zurück nach Berlin zu wechseln.

Neben dem Team hat ihn vor allem der pragmatische Ansatz von Vay überzeugt. So erzählt er es, als wir später in einem Meetingraum von Vay sitzen. Bei allen Autonomie-Programmen, an denen er beteiligt gewesen sei, war immer die volle Autonomie schon vom Start an das Ziel – also das komplett selbstfahrende, Computer-gesteuerte Fahrzeug. Er zitiert einen Witz, der unter Ingenieuren kursiert: „Full Autonomy ist immer ab jetzt fünf Jahre in der Zukunft.“ Was konstant bleibe, sei das Versprechen. Autonomes Fahren funktioniere vielleicht in der Wüste in Arizona, aber bei den realistischen Verhältnissen auf den Straßen einer Großstadt, etwa von Berlin, so Buchmüller, da klappe das einfach noch nicht. „Wir fangen deshalb mit Telefahrern an, das kann man heute schon machen.“

Nach Hamburg will das Startup seinen Service auch in anderen Großstädten ausrollen. In fünf Jahren will Vay Buchmüller zufolge in den großen deutschen Metropolregionen vertreten sein. Wie bei anderen Sharing-Diensten sollen Nutzer über eine App Vay-Fahrzeuge buchen können. Die werden dann fahrerlos zu ihnen gefahren, dann übernimmt der Nutzer selbst das Lenkrad.

Weniger Geld, aber besserer Product-Market-Fit?

Insgesamt 125 Millionen US-Dollar sammelte Vay bislang ein. Damit ist es zwar das weltweit am höchsten finanzierte Startup, das auf Tele-Fahrten setzt. Im Vergleich zu Branchenriesen wie Tesla oder auch Mercedes sind die 125 Millionen jedoch immer noch eine geringe Summe. Daniel Buchmüller sieht darin, ganz in Silicon-Valley-Manier, gleichzeitig einen Vorteil: „Wir haben nicht die Mittel, zehn bis 15 Jahre irgendwas zu entwickeln, ohne wirkliches Kunden-Feedback. Das müssen wir auch nicht, weil wir unseren Product-Market-Fit mit den Tele-Fahrten gefunden haben.“

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Seine Technologie baut das Startup in herkömmliche E-Autos anderer Produzenten ein.

Seine Technologie baut das Startup in herkömmliche E-Autos anderer Produzenten ein.

Tatsächlich hat Vay geringere Kosten als etwa Tesla. Denn ein voll autonom fahrendes Auto zu bauen ist teuer: Ein einzelnes Fahrzeug kann schnell bis mehrere hundert Tausend Euro kosten. Vay hingegen baut keine eigenen Autos, sondern stattet E-Autos anderer Produzenten mit seiner Technologie aus. Wieviel das genau kostet, will das Berliner Startup nicht verraten. Aber der reine Anschaffungspreis für die Vay-Ausstattung – Kameras, Mikrofone, das Kommunikationssystem – betragen nicht mehr als einige tausend Euro. Also nur ein Bruchteil der Kosten für ein mit teuren Sensoren ausgestattetes, voll autonom fahrendes Auto.

Sobald die Genehmigung aus Hamburg da ist, will Vay anfangen, Geld zu verdienen mit seinem Geschäftsmodell. Preislich soll sich der Service des Startups am klassischen Carsharing orientieren. Doch auch diese Anbieter schaffen es bislang größtenteils nicht, profitabel wirtschaften – wie soll das dann Vay in absehbarer Zeit gelingen? Auch mit den aktuell kurzen Wartezeiten bei Fahrdiensten wie Uber und Co. wird die Firma vermutlich zunächst nicht mithalten können.

Doch Vay spekuliert darauf, durch seinen Ansatz eine deutlich kleinere Flotte zu benötigen als vergleichbare Anbieter. Denn die Autos bei Vay sind dank der Tele-Fahrer mobil: Sobald die Kunden sich selbst zu ihrem Ziel chauffiert haben, würden wieder James und seine Telefahrer-Kollegen übernehmen und das Auto direkt zum nächsten User bringen. So will Vay ein größeres Gebiet abdecken können als herkömmliche Carsharing-Anbieter. Außerdem entfällt die lästige Parkplatzsuche für die Nutzer. Ein langfristiger Wettbewerbsvorteil, hofft das Team von Vay.

Mit wie vielen Autos die Firma in Hamburg starten will, darauf will sich das Startup nicht festlegen. Fahrer rekrutiert das Unternehmen aber schon fleißig für seinen Hamburg-Start.

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