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Hypercar fährt absoluten Nürburgring-Rekord - Mercedes-AMG One mit Formel-1-Technik

Mercedes-AMG bringt mit dem One Formel-1-Technik auf die Straße. Wie schnell das extrem aufwändig konstruierte und produzierte Hypercar ist, hat Werksfahrer Maro Engel auf der Nordschleife bewiesen.

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Hypercar fährt absoluten Nürburgring-Rekord – Mercedes-AMG One mit Formel-1-Technik

“Viele mögen über die Dauer der Entwicklungszeit hinweg gedacht haben, das Projekt wäre unmöglich umzusetzen.” So ungewöhnlich das Statement von AMG-Chef Philipp Schiemer erscheint, so außergewöhnlich ist der One: ein Sportwagen mit Formel-1-Motor. Doch jetzt, 55 Jahre nach der Gründung von AMG durch Aufrecht und Melcher in Großaspach, darf das Hypercar auf die Straße. Zugelassen, zertifiziert und mit Euro-6-Abgasnorm im RDE-Zyklus, also im echten Straßenverkehr.

In 6:35,183 Minuten zum Nürburgring-Rekord

Nun zeigt sich endgültig, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Mercedes-Werksfahrer Maro Engel scheuchte den Mercedes-AMG One am 28. Oktober 2022 in einer Zeit von 6:35,183 Minuten über die 20,832 Kilometer lange Variante der Nürburgring-Nordschleife. Das ist neuer absoluter und notariell beglaubigter Rekord für Serienfahrzeuge mit Straßenzulassung und satte acht Sekunden schneller als der bisherige Bestwert, der vom Porsche 991 GT2 RS mit Manthey-Performance-Kit gehalten wurde. Die etwas kürzere Streckenvariante, die beim sport auto-Supertest gefahren wird, umrundete der One in 6:30,705 Minuten.

Engel jagte den One laut AMG im absoluten Serienzustand, aber mit den maximalen Sturzwerten innerhalb der Auslieferungstoleranz über die Nordschleife. Und das bei herbstlichen, also bestimmt nicht idealen äußeren Bedingungen: Es war zwar sonnig bei 20 Grad Luft- und Asphalttemperatur; die Strecke war zum Zeitpunkt des Rekordversuchs am späten Nachmittag dennoch teils rutschig: “In manchen entscheidenden Streckenbereichen war es noch nicht komplett abgetrocknet und daher knifflig”, sagt der DTM-Fahrer. Zudem war es für ihn eine besondere Herausforderung, über die Runde hinweg die elektrische Energie optimal einzuteilen und die DRS-Funktion bestmöglich zu nutzen.

Wartungskosten: bis zu 850.000 Euro

Wer den One derart heftig beansprucht, sollte sich auf ausufernde Unterhaltskosten gefasst machen. Laut dem Post eines Instagram-Nutzers weist Mercedes-AMG im Kaufvertrag darauf hin, dass der One “zusätzlich zu den regulären Serviceintervallen alle 31.000 Meilen (ca. 49.890 km) einen Service benötigt, damit kritische Komponenten des Antriebsstrangs überprüft und erforderlichenfalls ersetzt werden können.” Dieser Service kann “bis zu maximal 850.000 Euro” kosten, wie der Hersteller auf Nachfrage bestätigte. Dies sei ein Worst-Case, wenn der ganze Triebstrang überarbeitet werden müsste. Ein Service, bei dem unter anderem alle Flüssigkeiten gecheckt und gewechselt werden, ist einmal jährlich oder alle 5.000 Kilometer fällig. Zu den Kosten dieser Jahresinspektion macht AMG keine Angaben.

Wie das Portal carscoops.com berichtet, hat sich der Hersteller offenbar entschlossen, den One nicht in den USA zu zertifizieren. Die Bedingungen für eine US-Straßenzulassung zu erfüllen, hätte demzufolge spürbare Kompromisse bei der Leistungsfähigkeit und dem Charakter des F1-Triebwerks erfordert. Ob das tatsächlich so ist, hat AMG auf Nachfrage nicht bestätigt. Das Portal nannte zudem den möglichen Ausweg einer Sonderzulassung mit begrenzter Jahresfahrleistung, wie er auch bei anderen Hypercars angewendet würde.

Kaufpreis: 2,75 Mio. Euro netto

Seinen ersten Auftritt feierte der AMG One beim Festival of Speed in Goodwood (23. bis 26. Juni). Wer ihn kaufen will, sollte 2,75 Millionen Euro netto auf der hohen Kante haben. Dafür gibt es einen Hypersportwagen, der in jeder Hinsicht ungewöhnlich ist – und den es so womöglich auch nicht noch einmal geben wird. Der One hat zwei Sitzplätze, eine Carbon-Karosserie und im Carbon-Monocoque einen Antriebsstrang, der aus einem Formel-1-Mittelmotor mit Hybridtechnik und einer elektrisch angetriebenen Vorderachse besteht. Das vor fünf Jahren erstmals gezeigte und mehrmals verschobene Auto fährt bis zu 352 km/h – und kurze Strecken auch rein elektrisch.

Mercedes-AMG hatte den One auf der IAA 2017 gezeigt und angekündigt, den Sportwagen mit Formel-1-Motor 2019 auf den Markt zu bringen. Aus dem Termin wurde nichts. Weil der Antriebsstrang Probleme machte, vertröstete Daimler die Kunden zunächst auf 2021. Software-Probleme führten zu einer weiteren Verzögerung: AMG musste seine Kunden ein zweites Mal um Geduld bitten. Jetzt ist der One endlich da. Entwickelt haben den Hypersportwagen Ingenieure in Affalterbach und Brixworth, der Heimat der Mercedes-Formel-1-Motoren. Was laut AMG-Boss Schiemer nicht einfach war: “Mit dem Mercedes-AMG One haben wir das Limit mehr als ausgereizt. Die immensen technischen Herausforderungen, einen modernen Formel-1-Triebstrang tauglich zu machen für den alltäglichen Straßenbetrieb, haben uns zweifellos an unsere Grenzen gebracht.”

In 7 Sekunden von null auf 200 km/h

Statt eines Teams aus Ingenieuren mit Laptops ist zum Start des Triebwerks nur ein Knopfdruck nötig. Los fährt der One jedoch zunächst einmal elektrisch – mit je 120 kW starken Elektromotoren an den Vorderrädern und einem an der Kurbelwelle. Ein vierter E-Motor bringt mit 90 kW den Turbolader in Schwung. Der 1,6-Liter-V6 aus der Formel-1-Saison 2015 springt erst an, wenn vier Metall-Katalysatoren vorgeheizt sind. Je zwei Keramik-Katalysatoren und Otto-Partikelfilter kümmern sich um den Rest. Die Abgasnachbehandlung des kleinen hochdrehenden Formel-1-Motors bezeichnet AMG-Chef Schiemer als “Herkulesaufgabe”.

Jetzt sind alle ECE-Zertifizierungen bestanden, das Hypercar darf offiziell auf die Straße. Auch offizielle Daten gibt es jetzt: In sieben Sekunden sprintet der One aus dem Stand auf 200 km/h. Die Energie im 8,4-kWh-Akku reicht für 18,1 Kilometer, nachgeladen wird während der Fahrt oder an der Steckdose mit 3,7 kW. Die Systemleistung liegt bei 1.063 PS.

1,6-Liter-V6 mit 11.000 U/min

Der Verbrenner leistet bei 9.000/min 574 PS. Literleistung und Drehfähigkeit liegen über dem in Straßenautos Üblichen: 359 PS pro Liter Hubraum. Stirnräder treiben die vier obenliegenden Nockenwellen an. Pneumatische Federn öffnen und schließen die Ventile. Damit dreht das Triebwerk bis zu 11.000/min. Weniger als in der Formel 1, weil das Straßenauto Super Plus tankt statt Rennsprit und der Motor länger halten soll. Den Spagat zwischen hoher spezifischer Leistung – wie geschrieben, 359 PS pro Liter Hubraum – und dem Einhalten der Euro-6-Abgasnorm lösten die Techniker mit zwei Einspritzsystemen: Wie in manchen Straßenautos auch verfügt der Motor über Kanal- und Direkteinspritzung. Je nach Situation spritzen Düsen den Kraftstoff mit bis zu 270 bar direkt in den Brennraum oder indirekt in den Ansaugkanal.

Turbotechnik aus der Formel 1

Das Prinzip des elektrischen Turboladers entspricht dem im aktuellen Formel-1-Motor. Im Turbolader befindet sich auf der Welle zwischen Abgas- und Verdichterturbine ein Elektromotor, der das Verdichterrad auf bis zu 100.000/min beschleunigt. So baut der Turbo Ladedruck auf, bevor der Abgasstrom stark genug ist. Dadurch steht beim Gasgeben schnell Kraft zur Verfügung. Bis zu 3,5 bar erzeugt die Turbine. Überschüssige Energie aus dem Abgas nutzt der Elektromotor, um als Generator elektrische Energie zu erzeugen. Der Strom fließt dann entweder direkt an einen der Elektromotoren oder in einen Hochvolt-Lithium-Ionen-Akku. Technik und Name – Motor Generator Unit Head (MGU-H) – stammen aus der Formel 1.

MGU-K und 800 Volt

Auch das Kürzel MGU-K für Motor Generator Unit Kinetic ist aus der Formel 1 bekannt. Ein 120 kW starker Elektromotor am Verbrennungsmotor ist über einen Stirnradantrieb mit der Kurbelwelle verbunden. Zwei weitere Elektromotoren mit jeweils 120 kW treiben die Vorderräder an – über eigene Untersetzungsgetriebe und Leistungselektronik radselektiv. Die Vorderachse kann also rechts und links mit unterschiedlichem Drehmoment (Torque Vectoring) das Kurvenverhalten beeinflussen. Die Kraft an die Hinterachse überträgt ein automatisiertes Sieben-Gang-Schaltgetriebe mit Vier-Scheiben-Carbon-Kupplung und Sperrdifferenzial. Es ist in den Karosserie-Rohbau integriert, was Gewicht sparen soll.

Zurück zur Vorderachse: Mit bis zu 80 Prozent Rekuperation gewinnen die Elektromotoren in Schub- und Bremsphasen Energie zurück. Die fließt in einen Lithium-Ionen-Akku, dessen Aufbau sich so ähnlich auch im AMG GT 63 S E Performance findet. Die Batterie sitzt im Wagenboden hinter der Vorderachse, sie soll besonders schnell Energie aufnehmen und wieder abgeben können. Das liegt auch an einer Direktkühlung: Eine Pumpe schickt das Kühlmittel von oben nach unten durch die Batterie an jeder Zelle vorbei und durch einen Wärmetauscher. So soll der Akku immer bei seiner optimalen Arbeitstemperatur von 45 Grad gehalten werden. Auch die Spannung von 800 Volt – wie in Hyundai Ioniq 5 und Porsche Taycan – dient der Effizienz.

Abschaltbares ESP

Vorder- wie Hinterräder sind an je fünf Lenkern mit Pushrod-Federbeinen geführt. Die Dämpfung des Fahrwerks ist in drei Stufen einstellbar: Comfort und Sport stehen in vier für die Straße gedachten Fahrprogrammen zur Verfügung. Die Stellung Sport+ ist den beiden Rennstrecken-Fahrprogrammen vorbehalten. Die Karosserie lässt sich außerdem vorn um 37 Millimeter und hinten um 30 Millimeter absenken. Ein Vorderachslift schützt die Schnauze. Im Gegensatz zu einem Formel-1-Auto hat der One ABS und ESP – letzteres mit Handlingmodus für höhere Gierwinkel und abschaltbar.

Die Carbon-Keramik-Verbundbremsanlage besteht aus innenbelüfteten und gelochten Bremsscheiben, die vorn 398 und hinten 380 Millimeter Durchmesser haben. Vorn haben die Festsättel sechs, hinten vier Kolben. Die Räder – serienmäßig Aluminium, optional Magnesium – sind teilweise mit Carbon-Blenden abgedeckt, damit sie dem Wind möglichst wenig Widerstand bieten. Die Reifen, Pilot Sport Cup2R M01, hat Michelin extra für den AMG One entwickelt, was an der Fahrzeug-Silhouette auf der Seitenwand zu sehen ist. Vorn sind Reifen der Größe 285/35 ZR 19 montiert, hinten 335/30 ZR 20.

Aktive Aerodynamik

Die aktive Aerodynamik erzeugt ab 50 km/h Abtrieb. Mit drei Programmen kann der Fahrer die Stellungen von Louvers (Öffnungen in den Radhäusern), Flaps, Frontdiffusor und Heckflügel beeinflussen. In den Straßen-Fahrprogrammen “Race”, “Race Safe”, “EV” und “Individual” sind die Louvers geschlossen, die aktiven Flaps am Frontdiffusor ausgefahren und der Heckflügel eingefahren.

“Track”, in den Fahrprogrammen “Race Plus” und “Strat2” schaltbar, klappt die Frontflügel Flaps hoch, fährt den Heckflügel voll aus, öffnet die Radhausabdeckungen und senkt das Auto ab; vorn um 37 und hinten um 30 Millimeter. Damit steigt der Abtrieb im Vergleich zur Straßenstellung laut AMG bis zum Fünffachen.

“Race DRS” nimmt einen Teil des Abtriebs zurück, damit der One schneller beschleunigt. Dafür fahren die Heckflügel-Flaps ein, die Louvers über den Radhäusern werden geschlossen.

Sechs Fahrprogramme

Im Standard-Fahrprogramm “Race” fährt der One elektrisch an, der Verbrennungsmotor schaltet sich zu, wenn der Fahrer mehr Gas gibt. In “Race” läuft der Verbrenner immer mit und lädt den Akku stärker auf. In Stellung “EV” fährt der One rein elektrisch. Unter “Individual” kann der Fahrer sein eigenes Straßen-Fahrprofil ablegen. Zwei weitere Fahrprogramme sind ausschließlich für die Rennstrecke gedacht: “Race Plus” mit Karosserie-Absenkung, strafferem Fahrwerk, aktiver Aerodynamik und speziellem Leistungs-Management. In “Strat2” geben die Motoren außerdem ihre volle Leistung ab.

Die Fahrprogramme kann der Fahrer steuern, ohne seine Hände vom eckigen Lenkrad mit Racetex-Bezug nehmen zu müssen. Auch die Tasten für die neunstufige Traktionskontrolle und die Fahrwerkseinstellungen befinden sich in dem Airbag-Lenkrad. Im oberen Lenkradbereich ist ein Schaltblitz integriert.

Aufwändige Produktion

Wie die Entwicklung läuft auch die soeben gestartete Produktion des Mercedes-AMG One zweigeteilt: Alle Antriebskomponenten inklusive Batterie entstehen in Brixworth und werden dort auf dem Prüfstand nach Formel-1-Standard getestet. Die Montage der auf eine Anzahl von 275 Exemplaren limitierten Gesamtfahrzeuge übernimmt Multimatic aus dem nahegelegenen Coventry. Das auf die Prototypen- und Kleinserienfertigung von Autos spezialisierte Unternehmen, das bereits die Produktion des Aston Martin Vulcan und der Rennversionen des Ford GT verantwortete, baut die Hypercars komplett in Handarbeit auf. Die ersten beiden Kundenfahrzeuge sollen in der zweiten Jahreshälfte ausgeliefert werden.

Der Produktionsprozess, an dem insgesamt 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt sind, ist extrem aufwändig und besteht aus 16 Montage- und Prüfstationen. Viele Baugruppen werden vormontiert, auf ihre Funktion geprüft, wieder demontiert und später final in den AMG One eingebaut. Zum Beispiel das Kohlefaser-Monocoque mit integriertem Dach und alle Karosserie-Anbauteile, die zudem von Hand lackiert werden. Ist ein Auto fertig und wurde an den Prüfstationen gecheckt, nimmt ein Werkstestfahrer jeden One auf einem Versuchsgelände ab. Anschließend kommt es in einen geschlossenen Lkw und reist nach Affalterbach, wo es an die Kundin oder den Kunden übergeben wird.

Lewis Hamilton hat bei der Abstimmung geholfen

Bei der Abstimmung des Hypercars hat Weltmeister Lewis Hamilton geholfen, was dem ganzen Projekt noch zusätzlichen Formel-1-Glanz verlieh. Das Gleiche gilt auch für die Liste der Kunden: Zu den Käufern, die ihre Bestellung verbindlich abgegeben haben, gehören neben dem siebenfachen F1-Weltmeister zum Beispiel auch Ex-Teamkollege Valtteri Bottas und die Ex-Grand-Prix-Piloten Nico Rosberg und David Coulthard. Ein erstes Teaser-Video zeigte den damals noch getarnten One im Sommer 2020 in seinem damaligen Entwicklungs-Status. “Das Auto verhält sich wie eine Kanonenkugel”, sagte der F1-Champion darin, “es beschleunigt unglaublich und klingt wie ein Rennwagen.”

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