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Hövding 3 im Praxis-Test: Der smarte Fahrradhelm, der keiner ist

Die intelligente Halskrause Hövding 3 setzt neue Maßstäbe bei der Sicherheit von Fahrradfahrern. Der praktische Test zeigte aber: Sie eignet sich nicht überall, jederzeit und für jedermann.

hövding 3 im praxis-test: der smarte fahrradhelm, der keiner ist

Nicht so auffällig wie ein Helm – und doch sticht er ins Auge: der Kopfschutz Hövding 3.

Testfazit

Der Fahrrad-Airbag Hövding 3 ist die konsequente Weiterentwicklung eines bereits innovativen Produkts. Er ist nachweislich sicherer als reguläre Radhelme und irgendwie auch ein schickes Lifestyle-Produkt. Dabei bleiben Trage- sowie Fahrkomfort aber ein bisschen auf der Strecke. Besonders zur kalten Jahreszeit stört der Hövding 3 zwischen Schal und dicker Jacke. Ebenfalls lästig ist die stetige Angst eines versehentlichen Auslösens – es sei denn, der Akku ist leer. Wem schon ein normaler Helm zu klobig ist, hat mit dem schwedischen Umschnall-Airbag wohl nur bedingt Freude. Es ist kein Produkt für jeden Fahrradfahrer, jedoch ein potenzieller Lebensretter für seine (schmale) Zielgruppe – was sich der Hersteller fürstlich bezahlen lässt.

Pro

  • Sicherer als herkömmliche Helme
  • Zerstört die Frisur nicht
  • Jetzt auch größenverstellbar
  • App mit Tracking-Funktion
  • Cooles Design

Kontra

  • Je nach Haltung unbequem
  • Stört in Kombination mit Kapuze oder Schal
  • Sehr teuer
  • Angst vor plötzlichem Auslösen
  • Einwegprodukt
  • Muss aufgeladen werden

Warum tragen Sie eigentlich keinen Fahrradhelm? Die Frage stelle ich ins Blaue hinein, aber die Statistik gibt mir recht: Wenn Sie ein Fahrradfahrer sind, dann aller Wahrscheinlichkeit nach einer, der ohne Helm unterwegs ist. Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) des Bundesverkehrsministeriums trugen 2017 nur 19 Prozent der Fahrradfahrer in deutschen Städten einen Schutzhelm. Das ist wenig, erst recht, wenn man die inexistente Unfallknautschzone eines Fahrrads bedenkt. Vielen ist die lebensrettende Hartschale zu sperrig, sie passt nicht problemlos in den Rucksack, sie zerstört die Frisur. Gute Gründe für einen gebrochenen Schädel? Sicher nicht. Der schwedische Hersteller Hövding liefert mit dem Hövding 3 einen Fahrrad-Airbag, der Mängeleien am herkömmlichen Fahrradhelm beseitigen und gleichzeitig sicherer sein soll. Im Praxis-Test erfahren Sie, was er kann – und was nicht.

Hövding 3: Helm mit Hirn

Neu ist der Hövding-Fahrrad-Airbag nicht: Bereits 2011 ging das Unternehmen mit der ersten Generation an den Markt. Seitdem hat sich einiges getan, die Technik und der Tragekomfort des Geräts sind verbessert. Man trägt den Hövding 3 um den Hals und schließt ihn vorne mit einem Reißverschluss. In dem mit Plastik verstärkten Nackenbereich, wo der „Helm“ deutlich breiter ausfällt, befinden sich der Akku, notwendige Sensorik, eine Gaskartusche und ein Bluetooth-Empfänger. Die mit Helium gefüllte Gaskartusche füllt das kapuzenförmige Luftkissen im Inneren der Halskrause bei einem Unfall explosionsartig in 0,1 Sekunden auf. So schirmt das Kissen – aus reißfestem Nylon – neben der Schädeldecke insbesondere die Seiten des Kopfes ab und fixiert den Nacken. 2016 ermittelte eine Studie der Stanford Universität, dass der Airbag bis zu achtmal besser vor Erschütterungen schützt als herkömmliche Helme. Das klingt durchdacht – und ist es auch: Auf einem Event in der Hamburger Innenstadt Ende September 2019 konnte ich mich davon überzeugen, dass der Hövding-Kopfschutz bei einem Sturz tatsächlich funktioniert. Die Technik im Inneren überprüft dafür 200-mal in der Sekunde, wo sich der Fahrer im Raum befindet. Verändert sich die horizontale oder vertikale Position abrupt, vergleicht eine Software die aufgezeichnete Situation mit eingespeicherten Unfallmustern. Entscheidet sie, dass der Träger gerade stürzt, löst der Hövding aus.
hövding 3 im praxis-test: der smarte fahrradhelm, der keiner ist

Einmal ausgelöst, schützt der Hövding-3-Airbag Kopf und Nacken – besser als herkömmliche Fahrradhelme.

Hövding 3: Eiertanz mit Sprengsatz


Nachdem ich den Hövding 3 in Aktion gesehen und auch in der Hand gehalten hatte, konnte ich es kaum erwarten, damit zu fahren. Das erste Umschnallen ist gewöhnungsbedürftig, aber nachdem man die richtige Größe eingestellt hat, geht es einfach. Die doch etwas schwere Krause liegt erstaunlich angenehm auf den Schultern. Vor dem ersten Tritt in die Pedale rastet man eine magnetische Lasche an der Vorderseite des Hövding in die dafür vorgesehene Öse ein – es folgt ein akustisches Signal und eine grüne LED leuchtet auf: Erst jetzt ist der Helm aktiv. Zugegeben, es fühlt sich nicht gut an, einen scharfen Sprengsatz um den Hals zu tragen. Der Hersteller versichert, dass der Airbag nicht so einfach auszulösen sei – gefühlt könnte aber bereits ein kräftiger Nieser ausreichen, und „poff“, hat man einen Kopf wie der Michelin-Mann. Auch nach einer Woche legte sich dieses unangenehme Gefühl nicht und zog einen ungewohnt steifen Fahrstil nach sich.

Hövding 3: Unterwegs mit Halskrause

Ein weiterer Grund für mein ungelenkes Radeln liegt in der Form des Hövding. Die Technik im Nackenbereich ist für einen aufrechten Fahrstil mit geradem Rücken sicher kein Problem – mein Rennrad forciert aber eher eine Körperhaltung mit horizontal ausgerichteter Brust. Dabei verhindert der Hövding, dass man den Kopf angemessen hebt, und drückt unangenehm. Die Größe zu verstellen, half nur bedingt: Ich konnte den Kopf danach einigermaßen heben, dafür rutschte die Halskrause zur Seite. Als die Tage kälter wurden und ich mich hinsichtlich Außenkleidung für eine Jacke mit Kapuze sowie einen Schal entschied, stand ich vor einem neuen Problem: Es war kompliziert, zwischen den Stoffschichten einen Platz für den Airbag zu finden. Die Kombination aus Hövding, Schal, Kapuze und Rucksack ging irgendwie, war aber alles andere als hübsch oder bequem und behinderte meinen Schulterblick. Ich will ehrlich sein: Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich regelrecht über das Produkt geärgert.
hövding 3 im praxis-test: der smarte fahrradhelm, der keiner ist

Im geöffneten Zustand gut zu erkennen: der für die Elektronik vergrößerte Nackenbereichbereich (Mitte).

Hövding 3: App mit Sinn

Wirklich begeistert war ich vom Hövding bis hierhin nicht. Neben dem unkomfortablen Tragen störte mich das Aufladen des (auf einem Bürotisch doch recht sperrigen) Geräts. 15 Stunden hält der Hövding mit einer Ladung durch, was bei meiner täglichen Strecke etwa zwei Wochen Fahrzeit entspricht. Aber ich soll neben Handy, Kopfhörern, Fahrradlicht, Zahnbürste und Laptop jetzt auch meinen Fahrradhelm tanken? Das erschien mir lästig. Was die Funktionen der kostenlosen Hersteller-App nur bedingt änderten. Das Programm ist wirklich aufgeräumt sowie ansprechend gestaltet und informiert mich – wenn ich den Hövding via Bluetooth mit dem Smartphone verbinde – bei Bedarf über meine zurückgelegte Strecke, meine Durchschnittsgeschwindigkeit, die beim Fahren verbrauchten Kalorien und mein eingespartes CO2 im Vergleich zum Auto. Die App erlaubt zudem, einen Notfallkontakt einzurichten, den der Hövding beim Auslösen per SMS über meinen Unfallort und -zeitpunkt informiert. Damit nicht genug: Er dürfte der einzige Helm sein, der auch andere Fahrradfahrer schützt – so zumindest die Vision des Herstellers. Die vom Produkt gesammelten Daten fließen (wenn man die Erlaubnis dazu gegeben hat) in eine große Studie mit ein, die Unfallschwerpunkte und fahrradunfreundliche Orte auf einer Karte sichtbar macht. Hövding stellt die so erzeugten „Heatmaps“ den jeweiligen Städten zur Verfügung, damit diese ihre Infrastruktur an den nötigen Stellen nachbessern.
hövding 3 im praxis-test: der smarte fahrradhelm, der keiner ist

Hövdings übersichtliche und intuitive App ist sehr gelungen.

Hövding 3 – Fazit: Innovation mit Beigeschmack


Der Hövding 3 ist für die Stadt und ihre Fahrradfahrer konzipiert. Nicht für Mountainbiker im Gelände und auch nicht für professionelle Rennradler. Vielleicht ist dieser Kopfschutz einfach nicht für mich, meinen Fahrstil, meine Kleidung, mein Fahrrad und meine Bedürfnisse auf der Straße gemacht. Ohne das Testprodukt hätte ich mir den Hövding auch keinesfalls geleistet: 299 Euro verlangt der Hersteller für den Airbag, der sich nach einmaligem Auslösen zudem nicht wiederverwenden lässt. Angenommen, ich fahre morgens mit einem E-Bike meine fünf bis zehn Kilometer zur Arbeit, womöglich sogar im Anzug statt im Hoodie – der Hövding 3 könnte mich mehr überzeugen. Man merkt ihm seine Qualität und die vielen hineininvestierten Stunden Ingenieursgeschick auf jeden Fall an. Nachweislich funktioniert er und ist besonders sicher. Gerade jetzt, wo flinke Elektrofahrzeuge wie E-Scooter und E-Bikes vermehrt die Straßen sowie Radwege der Innenstädte bevölkern, sollte man nicht auf einen Helm verzichten, denn die Unfälle häufen sich. Wer also ein Trekking- oder Elektrofahrrad für den Stadtverkehr besitzt und viel sowie schnell unterwegs ist, kann sich überlegen, ob er in die Halskrause investiert. In vielen Fahrradläden kann man sie ausprobieren und sich selbst ein Bild davon machen.

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