DI Helfried Brunner, MSc, Experte für Planung und Betrieb elektrischer Netze, inklusive der Integration von Elektromobilität, am AIT Austrian Institute of Technology, beleuchtet für electric WOW das Thema, das nach wie vor zahlreiche Fragen aufwirft.
Die Entwicklung der Elektromobilität schreitet weltweit voran und mit ihr entstehen neue Möglichkeiten für die Integration von Elektrofahrzeugen in das Stromsystem. Eine dieser Entwicklungen ist das bidirektionale Laden, bei dem Elektrofahrzeuge nicht nur Strom aus dem Netz beziehen, sondern auch wieder zurückspeisen können. Diese Technologie bietet potenziell erhebliche Vorteile für den Leistungsausgleich im Stromnetz und dessen Stabilisierung sowie der Optimierung des Eigenverbrauchs in Haushalten. Für ein besseres Verständnis der Möglichkeiten und damit verbundenen Herausforderungen muss zwischen einzelnen Ausprägungen des bidirektionalen Ladens unterschieden werden:
1. Vehicle-to-Load (V2L):
2. Vehicle-to-Home (V2H):
V2H ermöglicht es, das eigene Haus mit Strom aus der Fahrzeugbatterie zu versorgen. Diese Funktion ist besonders vorteilhaft in Kombination mit Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen, da so eine höhere Eigenverbrauchsquote erreicht werden kann. Dies führt zu einer Reduzierung der Energiekosten und einer Erhöhung der Energieautarkie.
3. Vehicle-to-Grid (V2G):
Bei V2G wird verfügbare Energie aus der Fahrzeugbatterie in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Diese Funktion ermöglicht es, Elektrofahrzeuge als dezentrale Energiespeicher zu nutzen, die bei Bedarf zur Netzstabilisierung beitragen können.
Auf dem Weg zur flächendeckenden Verfügbarkeit des bidirektionalen Ladens müssen noch einige technische, wirtschaftliche und rechtliche Herausforderungen bewältigt werden.
Technische Herausforderungen
Rechtliche Rahmenbedingungen
Fragen zur Vergütung eingespeister Energie, zu Tarifen für die Lieferung von Netzdienstleistungen und zu möglichen steuerlichen Auswirkungen sind teils noch ungeklärt. Zudem besteht die Notwendigkeit, klare Standards für die Zertifizierung der verwendeten Technologien festzulegen, um eine rechtssichere Anwendung zu gewährleisten.
Wirtschaftliche Aspekte
Damit sich bidirektionales Laden in der Breite durchsetzen kann, müssen wirtschaftliche Anreize gegeben sein. Dies könnte durch staatliche Förderprogramme oder durch eine entsprechende Vergütung für die Einspeisung von Strom ins Netz geschehen. Auch die Kosten für die erforderliche Infrastruktur müssen berücksichtigt werden, um die Technologie für eine breite Nutzerbasis attraktiv zu machen. In den nächsten Jahren wird jedoch eine deutliche Reduktion der Kosten für bidirektionale Ladeinfrastruktur erwartet.
Nutzerverhalten
Ein zentraler Faktor für bidirektionales Laden ist das Verhalten der Fahrzeugnutzer und da vor allem die Standzeiten des Fahrzeuges. Eine Rückspeisung ist nämlich nur möglich, solang das Fahrzeug steht und an einer Ladesäule angeschlossen ist.
Zu den wichtigsten Nutzergruppen für bidirektionales Laden gehören der motorisierte Individualverkehr, Handelsdienstleistungen, Taxis, der öffentliche Verkehr, der Fernverkehr und der Güterverkehr. Dabei ergeben sich unterschiedliche Nutzungsweisen und damit unterschiedliche Anforderungen und Potenziale für die Rückspeisung: Privatfahrzeuge haben zumeist geringere Batteriekapazitäten und Reichweiten und die Ladezeiten orientieren sich an den täglichen Routinen wie Pendeln und Besorgungen. Die Fahrzeuge haben üblicherweise lange Standzeiten. Handelsdienste und Taxis, die eine hohe Zuverlässigkeit und eine schnelle Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge erfordern, nutzen häufig Batterien mit höherer Kapazität, aber schnelleren Ladelösungen und haben somit kürzere Standzeiten. Der öffentliche Verkehr und der Fernverkehr erfordern eine robuste Infrastruktur, um eine häufige und umfassende Nutzung zu ermöglichen. Hier erfolgt die Ladung meist in Depots oder bei ausgewählten Busstationen. Der Güterverkehr mit leichten, mittelschweren und schweren Nutzfahrzeugen stellt je nach Ladung und Entfernung spezifische Anforderungen, wobei der Schwerpunkt auch hier auf depotbasiertem Laden liegt. Bei Depotladung bestehen eher die Herausforderungen, die Fahrzeuge in den Standzeiten, meist über Nacht, wieder voll aufzuladen. Somit ergibt sich weniger Potenzial für eine Rückspeisung.